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Der Weihnachtsmann

© Holger Bernhardt


Sie war in Gedanken noch einmal alles durchgegangen: Tannenbaum, Geschenke, Musik, Weihnachtsmann, Braten. Alles war da, alles war bestellt. Totale Kontrolle hatte Mal jemand gesagt, sie sei jemand, der immer die totale Kontrolle haben müsse. Sie schnaufte. Was die Menschen so sagten. Alle saßen zu Tisch und waren am Kauen. Es war noch genügend da, jeder konnte noch nachnehmen. Sie würden noch 10 Minuten essen. Zeit genug, in der Stube nach dem Rechten zu sehen. Sie schob die Tür auf, huschte hinein und schloss die Tür wieder hinter sich. Die Kerzen am Baum brannten, das Licht war ansonsten heruntergeschaltet. Die Geschenke lagen um den Baum herum. Sie nickte. Alles hatte seine Ordnung, an jedem Karton hin ein kleiner Zettel mit dem Namen des Beschenkten. Der Baum war dieses Jahr eine Nordmanntanne. Sie strich über seine Nadeln.
Perfekt, einfach perfekt. Mit dem linken Fuß schob sie eine Nadel in das Dunkel unter dem Baum, Sie kniete nieder und betrachtete die Figuren in der Krippe, dann drehte sie eine der Kühe zu sich, damit die Kuh den Betrachter ansah. Sie nickte befriedigt. Alles hatte seine Ordnung. Sie öffnete die Tür, drehte sich im Türrahmen um, noch lag der Raum friedlich und still. Das würde sich ändern, wenn sich die Kinder auf die Geschenke stürzen würden. Der Weihnachtsmann. Sie erschrak. Noch weinige Minuten und alle würden befriedigt die Bestecke hinlegen. Der Hausherr würde eine Rede halten über Weihnachten, das vergangene Jahr, die Firma, das kommende Jahr. Alle würden aufmerksam da sitzen und ihn ansehen.
Anschließend würden alle ihr Glas erheben und ihm zuprosten, die Erwachsenen mit Sekt, die Kinder mit Orangensaft. Fräulein Winterstein mit Orangensaft Sie trank nie etwas anderes, auch zu Sylvester nicht.
Wie sie so stand und daran dachte, dass der Weihnachtsmann noch nicht da war, klingelte es an der Tür. Da stand er, der bestellte Weihnachtsmann.
Sie war so erschrocken, dass sie keinen Ton herausbrachte. Er war betrunken. Sein Bart war verrutscht. Sie verstand nicht, was er sagte.
Als sie die Tür geöffnet hatte, hatte er irgendetwas Unverständliches gelallt, sich von der Wand abgedrückt und war auf sie zugetorkelt. Sie war so erschrocken, dass sie gar nicht reagieren konnte. In dem Wortbrei, der aus seinem Mund kam, kamen Worte vor wie ‚Weihnachtsmann', Studentischer Notdienst', ‚bestellt'. Dann schob sich das, was vor einigen Promille etwas wie ein respektabler Weihnachtsmann gewesen sein mochte, durch die Tür. Sie erklärte, welche Kinder zur Familie gehörten und was er den Kindern predigen sollte. Dann zeigte sie ihm kurz das Wohnzimmer, nur um hinter ihm die Tür laut und vernehmlich ins Schloss fallen zu lassen. Es würde eine Katastrophe geben, das spürte sie. Sie schloss kurz die Augen und versuchte, ihren Puls zu senken, es funktionierte nicht. Wer war nur auf die dumme Idee gekommen, einen dahergelaufenen Studenten zu nehmen, der für 10 Euro die Geschenke verteilte. Herr Gonschorrek aus dem 3. Stock hatte das jedes Jahr doch wunderbar gemacht.
Die Kinder kamen durch die Tür in die Diele und blieben wie jedes Jahr stehen, die Erwachsenen schoben sich hinter ihnen ebenfalls durch die Tür und bildeten einen Kreis um den Weihnachtsmann. Der rülpste laut.
Frau Direktor wandte sich ab. Herr Direktor versuchte, einen anderen Punkt im Zimmer zu fixieren.
Der Weihnachtsmann sagte seinen Vers auf. Jedes der Kinder sagte nacheinander sein Gedicht auf. Das befriedigte die Erwachsenen wieder und versöhnte sie mit der Gestalt des diesjährigen Weihnachtsmanns.
Die Tür wurde geöffnet, die Kinder stürzten sich auf die Geschenke unter dem Baum, den Erwachsenen wurde ein Glas Sekt gereicht, alle prosteten einander zu, man hörte laute Stimmen von den Kindern, dass man sich nicht unterhalten konnte, so tranken die Erwachsenen und betrachteten dabei den Nachwuchs, wie er die Papiere zerriss und die Geschenke auswickelte. Niemand sah, wie der Weihnachtsmann aus dem Zimmer dirigiert wurde. Draußen erbrach er sich in der Hydrokultur, bevor man ihn sanft aber deutlich aus der Tür schob. Es war jedes Jahr das Gleiche. Es gab eine Katastrophe, dieses Mal war es eben der Weihnachtsmann gewesen. 10 Euro, Herr Gonschorrek hatte es für umsonst gemacht. Man hätte ihn nur fragen müssen. Sollte sie nun Wasser in die Hydrokultur schütten oder die oberste Schicht der Steine austauschen, sie kniete vor dem Bottich. Es roch süßlich.



Eingereicht am 09. April 2006.
Herzlichen Dank an den Autor.
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