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Kein Weihnachten

© Olaf Trint


Dieses Jahr fiel Weihnachten aus, denn vor ein paar Tagen hatte sich die gesamte Menschheit verändert. Schlagartig, so als hätte eine höhere Macht ihre Fehler eingesehen und sie mit einem Fingerschnipsen korrigiert. Die Menschen waren jetzt durchgehend intelligenter, doch entscheidender war, dass die Liebe und das Mitgefühl, die in ihnen steckten, viel deutlicher zum Vorschein kamen. Plötzlich war niemand mehr egoistisch, jeder kümmerte sich mehr um die Belange der anderen als um sich selbst, und alle gingen freundlich und respektvoll miteinander um.
Weltweit wurden die Kriege eingestellt und die Waffen verschrottet.
Niemand war ob der vorangegangenen Feindseligkeiten nachtragend und gemeinsam wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. Natürlich wurde dabei, wie auch an allen anderen Orten und bei allen anderen Taten, auf ein nachhaltiges und ökologisch sehr verträgliches Vorgehen geachtet.
Wirkungsvolle Konzepte zur Aufforstung des Regenwaldes wurden erstellt, die Reduzierung der Treibhausgase und die Verkleinerung des Ozonlochs wurden konzentriert und effektiv in Angriff genommen. Strom würde bald nur noch aus sauberen, regenerativen Quellen stammen und bei der Produktion von Dingen aller Art wurde von nun an auf giftige Chemikalien verzichtet. Projekte zur Renaturierung von verödeten Industrielandschaften, zur Beseitigung der Umweltverschmutzung und zur Steigerung der globalen Biodiversität schossen wie Pilze aus dem Boden.
Die Welt würde bald schön und gesund sein, denn ihr wurde von allen Seiten die Achtung entgegen gebracht, die ihr gebührte.
Die Religionen veränderten sich. Keine von ihnen bestand mehr auf ihren Dogmen, keine behauptete noch, den einzig wahren Weg aufzuzeigen.
Toleranz hielt Einzug, unterschiedliche Auffassungen wurden sachlich und auf Fakten basierend diskutiert. Der Großteil der Zeit wurde jedoch darauf verwendet, entweder den alten, kranken und schwachen Menschen zu helfen oder für die optimale Bildung der Kinder zu sorgen, die ja die Zukunft waren.
Das Geld wurde abgeschafft, da ja nichts mehr finanziert werden musste.
Jeder konnte sich einfach nehmen, was er benötigte, wenn er es nicht sowieso gerade von irgendwem geschenkt bekam, und niemand kam auf die Idee, mehr abzugreifen, als er wirklich brauchte. Freiwillig und mit viel Elan tat jeder so gut er es vermochte seinen Beitrag für den großen Gesamtplan, wobei ein besonderes Augenmerk darauf gelegt wurde, dass die Tätigkeiten den Vorlieben und Talenten der Schaffenden entsprachen.
Arbeit machte riesigen Spaß und war durchgehend sinnvoll.
Weihnachten verschwand von der Bildfläche. Zum einen gab es keinen Konsumterror mehr, zum anderen wurde ein spezielles Fest der Liebe nicht mehr benötigt, da die Liebe jetzt das ganze Jahr über ausgiebig und intensiv praktiziert wurde.
Schweißgebadet wachte der Weihnachtsmann auf. Was für ein Albtraum! Ein solches Szenario hätte das Ende bedeutet. Das Ende seiner Werte und seiner Existenz. Um sich zu beruhigen, schaltete er den Fernseher ein.
Als er dort das "Dschungelcamp" über den Bildschirm flimmern sah, atmete er erleichtert auf. Alles war gut!



Eingereicht am 13. März 2006.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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