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Der Elfenzwerg

© Britta Dubber


Mit verschränkten Armen setzte sich Josie auf die Rückbank des Kleinwagens.
Ihr heiß geliebter Plüschrucksack war irgendwo im Haus, genauso wie Teddy, ihr Stoffbär. Nun lagen ihr Malzeug und Schnupp, die Plüschschildkröte, in einem alten braunen Rucksack, der Löcher an den Seiten hatte und dessen Trageriemen gerissen waren.
Teddy war auf wunderliche Weise verschwunden, dabei hatte sie ihm am Vortag noch vorgelesen; aus ihrem Lieblingsbuch "Der Elfenzwerg". Das Buch fand sich komischerweise auch nicht mehr, und ihre Mutter hatte sich geweigert noch länger danach zu suchen. Immerhin hatte die Suche nach dem Rucksack und nach Teddy schon fast zwei Stunden beansprucht.
Das Schreien und Weinen und auf den Boden Stampfen hatte ihre Mutter mit einem Gähnen kommentiert und so war Josie beleidigt zum Auto gegangen.
"Es tut mir leid, aber ich verpasse sonst noch meinen Flug. Du kannst doch wohl eine Woche ohne Teddy und das Buch auskommen", sagte ihre Mutter, als sie sich nach vorne setzte und den Motor startete.
Josie blickte aus dem Seitenfenster und tat so, als ob sie nichts gehört hätte. Ihr Blick war auf den großen Tannenbaum im Vorgarten gerichtet, der normalerweise um diese Zeit mit einer Lichterkette und bunten Kugeln geschmückt war. Nun sahen die Tannenzweige richtig mickrig aus, ohne ihren weihnachtlichen Schmuck.
Auch die Haustür des Einfamilienhauses sah ungewohnt nackt aus. Letztes Jahr hatte Josie zwei große Sterne aufgehangen, die sie in der Schule gebastelt hatte. Jedes Mal wenn ihre Mutter sie von der Nachmittagsbetreuung abgeholt und den Wagen ins Carport gefahren hatte, hatte die bunte Folie wie diamantenbesetzt geglitzert, sowie die Scheinwerfer darauf geschienen hatten.
Josie hatte sich vorgestellt, dass die Sterne verzaubert waren und kleine elfenartige Wesen darin lebten, die ihr mit ihren leuchtenden Händen zur Begrüßung zuwinkten. Oft hatte sie zurückgewinkt, auch wenn ihre Mutter das wahnsinnig gemacht hatte.
"Was machst du da? Hier ist doch keiner?", hatte sie immer gesagt. Josie hatte nur mit den Schultern gezuckt und gegrinst. Die Erwachsenen glaubten sowieso nicht an Elfen und Zwerge, aber Josie war sich ganz sicher, dass es sie gab.
"Du benimmst dich, hörst du? Ich will mir nicht von meiner Mutter und meiner Schwester sagen lassen, dass ich mein Kind nicht erziehen könnte", sagte ihre Mutter in strengem Ton und riss Josie aus ihren Gedanken.
"Oma ist auch da?", fragte Josie und riss die Augen auf.
"Natürlich, es ist doch Weihnachten", sagte ihre Mutter genervt und fuhr auf die Landstraße, die Josie nur allzu vertraut war. Jedes Mal wenn ihre Mutter geschäftlich verreisen musste, was etwa alle zwei Monate vorkam, dann wurde Josie zu Tante Rebecca gefahren.
Josie mochte ihre Tante nicht besonders. Sie lebte in einem alten Bauernhaus, in dem es komisch roch, und in den Zimmern war es kalt, weil sie kaum heizte. Außerdem verbot sie Josie Süßigkeiten und motzte sie bei jeder Gelegenheit an. Dann war da noch Karen. Josies Cousine. Sie war zehn, also ein Jahr älter als Josie und an Gemeinheit kaum zu übertreffen. Sie durfte außerdem Süßigkeiten ohne Ende essen, was man ihr auch deutlich ansah. Und immer wenn sie etwas kaputt machte, bekam Josie die Schuld. Ganz oft machte sie deshalb mit Absicht etwas kaputt. Josie hatte versucht ihrer Mutter zu erzählen, wie schrecklich sie es dort fand, doch die hatte gar nicht richtig zugehört. Sie musste halt Geld verdienen und zu ihrem Beruf gehörte nun einmal Flexibilität, sagte sie immer. Josie wusste nicht genau was das Wort bedeutete, aber sie vermutete, dass es viel mit Reisen zu tun hatte.
Noch nie zuvor jedoch hatte ihre Mutter über Weihnachten verreisen müssen. Josie hatte es erst gestern erfahren und so war kaum genug Zeit gewesen ihre ganzen Sachen zusammenzupacken. Sie verstand nicht, wieso ihre Mutter nicht wie andere Mütter Weihnachten zu Hause bleiben konnte.
Nach einer dreiviertel Stunde erreichten sie das Bauernhaus, das noch schäbiger als sonst aussah, denn die Fenster waren mit grässlichen Aufklebern beklebt.
Während ihre Mutter das Gepäck aus dem Kofferraum holte, ging Josie mit angewidertem Blick auf das Haus zu. Morgen war Heiligabend und nie hatte sie sich weniger auf das Fest gefreut. Mit Tränen in den Augen drehte sie sich zu ihrer Mutter um, die mit einer großen Reisetasche auf sie zukam. Doch sie blickte Josie gar nicht an, sie war viel zu sehr damit beschäftigt, ihren Ärmel frei zu bekommen, damit sie einen Blick auf ihre Armbanduhr werfen konnte.
"In knapp vier Stunden geht mein Flug, und ich muss noch ein paar Sachen besorgen", sagte sie, als sie die Tasche auf die Fußmatte gestellt hatte und den Klingelknopf drückte. Dann drehte sie sich um und lief zum Auto. "Muss los. Bis dann. Schöne Weihnachten!", rief sie, als Tante Rebecca die Tür öffnete.
"Guten Flug!", rief diese in ihrer kehligen Stimme, die Josie an Schleifpapier erinnerte. Dann nahm sie die Tasche hoch und hievte sie ins Haus. "Na komm schon, es zieht!"
Josie winkte ihrer Mutter hinterher, als diese auf die Straße zurückfuhr. Sie wartete auf ein Hupen oder einen kurzen Blick zurück, doch ihre Mutter bog einfach auf die nächste Straße.
"Komm schon!", keifte Tante Rebecca und Josie ging mit hängenden Schultern ins Haus.
Der Duft von Zimtsternen schlug ihr entgegen und augenblicklich konnte sie die mühevoll zurück gehaltenden Tränen nicht mehr bändigen. Nach und nach sprudelten sie hervor, rannen über ihre Wangen und tropften vom Kinn auf den Kragen ihres Mantels.
"Was ist denn?", fragte ihre Tante in genervtem Ton und ging in die Küche.
"Ich mag keine Zimtsterne. Ich mag gar nichts mit Zimt", schluchzte Josie, die ihr gefolgt war.
"Karen liebt Zimt. Und ich kann schließlich nichts dafür, dass du Weihnachten hier bist. Habe es selbst erst gestern spät abends erfahren. Denkst du ich kann in so kurzer Zeit die Einkaufliste für ein kleines verwöhntes Mädchen ändern? Die Zutaten sind längst gekauft."
Das Klingeln des Telefons übertönte den großen Schluchzer, den Josie ausstieß und sie setzte sich auf einen Küchenstuhl, dessen Kissen mit Kekskrümeln versehen war. Doch Josie war das egal.
Ihre Tante nahm das schnurlose Telefon von der Wandhalterung über dem Kühlschrank und flötete ein "Frohe Weihnachten" hinein.
"Hm, ahso ... ja ... gut ... sag ich ihr ... bis denn", sagte sie und legte auf. Dann drehte sie ihr rundes Gesicht Josie zu.
"Deine Mutter hat in der Eile deine Weihnachtsgeschenke zu Hause vergessen. Sie schafft es nicht mehr, die noch vorbeizubringen. Du bekommst deine Geschenke also etwas später. Ein Tag nach Neujahr kommt deine Mutter wieder, nicht?"
Josie nickte stumm, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und blickte auf die Küchenfliesen. Wenn sie wenigstens Teddy bei sich hätte. Schnupp fand sie schon seit Jahren blöd. Sie mochte keine Schildkröten, aber ihre Mutter hatte ihn einfach in den Rucksack gepackt.
Bis zum späten Nachmittag hockte Josie in der Küche und starrte vor sich hin, denn Karen besuchte eine Freundin, und da Josie die Woche in Karens Zimmer bleiben würde und Karen verboten hatte, dass Josie dort alleine blieb, musste sie warten.
Josie schlief wie jedes Mal, wenn sie dort war, in einem Schlafsack auf dem Fußboden. Ihre Kleidung musste in der Reisetasche bleiben, denn Karen weigerte sich Platz in ihrem Schrank zu machen und Tante Rebecca widersprach ihrer Tochter sowieso fast nie.
Karen kam gegen siebzehn Uhr. Sie nahm sich einen Keks vom Teller, den ihre Mutter auf den Tisch abgestellt hatte, dann warf sie Josie einen überaus garstigen Blick zu und tänzelte in ihr Zimmer.
Josie folgte ihr schweigend und fand Karen dann mit ziemlich verärgertem Gesichtsausdruck an ihrem Schreibtisch vor.
"Das ist mein Zimmer. Ich werde Mama fragen, ob du im Keller schlafen kannst."
Josie zuckte mit den Schultern und setzte sich auf den Fußboden, mit dem Rücken gegen den Schrank gelehnt, an dem lauter Poster von Musikstars geheftet waren.
Vielleicht war es im Keller gar nicht schlecht. Zumindest wäre sie dort vor den Launen ihrer Cousine sicher. Doch als Josies Tante kurze Zeit später ins Zimmer kam, um ihnen das Abendbrot zu bringen (einen Teller mit belegten Broten und zwei Gläser Saft), machte sie Karen klar, dass Josie nicht im Keller schlafen würde, da dort kein Platz war.
Karen schaltete ihren kleinen Fernseher an und sah sich einen Zeichentrickfilm nach dem anderen an, während Josie an ihrem Platz verharrte und sich damit begnügte die Stimmen ihrer Zeichentrickhelden zu hören, denn sich näher an den Fernseher heran zu setzen so dass sie etwas sehen konnte, traute sie sich nicht.
Karen guckte noch bis spät abends Fernsehen, aber irgendwann wurde sie müde und legte sich schlafen. Josie hatte inzwischen ihren Schlafsack bekommen. Er roch muffig und war ganz rau, aber sie legte sich rein und versuchte bald einzuschlafen. Doch das war gar nicht so einfach. Der Stoff kratzte an ihrem Hals und ohne Teddy fiel es Josie ohnehin schwer einzuschlafen. Das war schon immer so gewesen.
Nach Stunden schlief sie endlich ein, nur um kurze Zeit später von etwas geweckt zu werden.
Es hatte sich wie ein Rascheln angehört, ganz dicht an ihrem Ohr und als Josie die Augen aufmachte, fiel ihr Blick sofort auf das helle Licht, das durch das Fenster auf ihren Schlafplatz fiel.
Ein Blick zu ihrer Cousine verriet ihr, dass Karen fest schlief und hier und da einen Schnarcher ausstieß.
Josie riss den Reißverschluss des Schlafsackes runter und ging auf Zehenspitzen zu dem Fenster. Zuerst blendete sie das helle Licht so stark, dass sie die Augen zusammen kneifen musste und sie nichts erkennen konnte, doch nach kurzer Zeit hatten sie sich an das Licht gewöhnt.
Sie traute ihren Augen kaum und begann sich in den Arm zu kneifen, da sie davon überzeugt war zu träumen. Doch sie spürte den Schmerz und so musste sie doch wach sein?
Vorsichtig öffnete sie das Fenster und blickte auf eine grüne Wiese, auf der mindestens zehn Einhörner grasten, deren prächtige Mähne im hellen Sonnenlicht silbern glänzte.
Hinter einem saftigem Pflaumenbaum war ein rot glitzernder See zu erkennen, über den eine Brücke führte, auf der zwei Zwerge standen, die ihre Angeln ausgeworfen hatten.
Josie bekam den Mund vor lauter Staunen nicht mehr zu, denn die Einhörner, den See und die Zwerge, das alles kannte sie aus ihrem Lieblingsbuch "Der Elfenzwerg". Die gemalten Bilder in dem Buch sahen genau so aus, wie der Blick auf dem Fenster. Wie konnte das sein? Und wo war der Garten ihrer Tante? Wo war der Schnee, der nachmittags den Rasen bedeckt hatte?
"Hallo Josie. Komm doch und schließe das Fenster, damit die da nicht aufwacht." Ein Zwerg war auf der Fensterbank erschienen und zeigte mit seinem kleinen knochigen Finger auf ihre schlafende Cousine.
Josie nickte stumm, kletterte auf die Fensterbank und sprang dann mit ihren nackten Füßen auf die grüne Wiese. Als sie sich umdrehte, war das Fenster verschwunden und fünf Zwerge standen vor einem grün karierten Haus mit einem runden pilzförmigem Dach.. Alle trugen karierte Hüte und bunte Latzhosen. Einige hatten Bärte, andere lange Haare, aber Josie kannte jeden von ihnen mit Namen.
"Doko, Logo, Marso, Roso und Habro!", sagte sie aufgeregt.
Die Zwerge, die etwa einen Kopf kleiner als Josie waren strahlten sie an.
"Ich wusste, sie würde uns nicht vergessen", sagte Habro und trat vor. Er war der jüngste von allen, hatte lange rote Haare und eine spitze Nase.
"Wie könnte ich euch denn vergessen?", sagte Josie.
Nun trat Marso hervor. Er hatte einen langen Bart und trug eine runde Brille. "Wir waren uns sicher, dass du uns helfen würdest", sagte er.
"Helfen? Aber sicher. Wobei denn?", wollte Josie wissen.
"Na, sieh dich mal um. Morgen ist Weihnachten. Fällt dir nichts auf?", fragte Roso und zog seine lange Nase kraus. Josie wusste nur zu gut, wie ruppig Roso sein konnte. Oft stritt er sich mit den anderen Zwergen, aber im Grunde war er ein lieber Kerl.
"Oh. Es ist..", Josie sah sich um und blickte zu dem glitzernden See. "Der See ist nicht zugefroren. Und es liegt überhaupt kein Schnee", sagte sie.
"Richtig. Der böse Elfenzwerg hat unseren Weihnachtsbaum gestohlen und nur wenn alle Kerzen des Baumes brennen, dann kommt der Schnee und wir können Weihnachten feiern", sagte Marso.
"Ihr könnt ohne den Baum nicht feiern?", fragte Josie.
Roso trat noch einen Schritt hervor und funkelte Josie nun mit seinen schwarzen Knopfaugen an.
"Feiern? Ohne Schnee? Ohne den Weihnachtsbaum?"
"Hast du das Buch denn nie gelesen?", fragte Habro.
"Natürlich, habe ich das Buch gelesen. Aber auf Seite zwanzig wird der Elfenzwerg doch beim Versuch den Baum zu stehlen von Korko vertrieben", sagte Josie.
"Siehst du Korko hier irgendwo?", fragten Habro und Roso zur gleichen Zeit.
"Nein", antwortete Josie, nachdem sie sich sorgfältig umgesehen hatte. "Wo ist er?"
"Hat sich vor Wochen in die Berge zurückgezogen. Sagt er hat keine Lust auf Weihnachten", erzählte Habro.
"Und wie bekommen wir nun den Baum zurück?", wollte Josie wissen und sah die Zwerge fragend an.
"Der Elfenzwerg ist zurück in sein Schloss gefahren. Mit dem Boot", sagte Marso und zeigte auf den rot glitzernden See.
Josie drehte sich zu dem See um. In dem Buch hatte sie gar nicht erkennen können, wie groß er in Wirklichkeit war. Sie wusste, dass der Elfenzwerg auf einer Insel lebte, aber ein Bild davon war in dem Buch nicht abgebildet gewesen.
"Wir können nicht schwimmen. Zwerge fahren nun einmal keine Boote", sagte Habro und sah Josie flehend an.
"Was ist wenn wir kentern?", fragte Marso.
"Ich kann schwimmen", sagte Josie unmittelbar. "ich habe seit zwei Jahren Unterricht und bin wirklich gut."
Die Zwerge lächelten erleichtert. Habro nahm sie an die Hand und ging mit ihr zum See. Die anderen Zwerge folgten ihnen.
Am Ufer war ein kleiner Anlegesteg, an dem ein winziges Boot angeleint war. Da die Uferböschung recht hoch war, hatte sie den Steg auf den Bildern im Buch nie gesehen.
"Marso trat einen Schritt vor und reichte ihr einen hellgrünen Plüschrucksack., dann lockerte er die Leine. "Da ist Proviant drin. Wir waren nie auf der Insel und wissen nicht wie weit es ist."
"Aber den kenne ich!", rief Josie und griff nach dem Rucksack. "Das ist meiner, den habe ich schon überall gesucht."
Habro lächelte verlegen, als er ihr half sich ins Boot zu setzen. Das Boot fing an zu schaukeln und einen Moment dachte Josie, sie würde ins Wasser fallen. Sie setzte sich auf die kleine Bank in der Mitte des Bootes und das Schukeln wurde weniger. Habro schmiss die Leine ins Boot und reichte ihr zwei Ruder.
Sie legte den Rucksack auf ihren Schoß, nahm die Ruder und begann zu rudern.
"Viel Glück!", riefen die Zwerge und winkten, als Josie sich immer weiter vom Ufer entfernte. Das Rudern war ganz schön anstrengend und nach kurzer Zeit taten ihr die Arme weh.
"Soll ich das Rudern übernehmen, während du nach der Insel Ausschau hältst?", fragte eine Stimme.
Josie drehte sich zu allen Seiten um. Sie war mitten auf dem See und die Zwerge sah sie nur noch als Umrisse am Ufer stehen. Wer hatte da denn gesprochen?
Dann beweget sich der Rucksack auf einmal auf ihrem Schoß und ging auf.
"Teddy!", rief sie voller Erstaunen, als sich ein plüschiger Bär, mit braunen Knopfaugen und zotteligem Fell auf ihrem Schoß streckte.
"War ganz schön eng dadrin", sagte er. Dann nahm er Josie die Ruder aus der Hand und obwohl er ziemlich klein war, schaffte er es mühelos zu rudern.
"Wie kommst du denn hierher? Und seit wann kannst du sprechen?", fragte Josie und nahm sich einen Schokoladenkeks aus dem Rucksack.
"Hier können alle Tiere sprechen. Auch Kuscheltiere", sagte Teddy und ruderte den See entlang, der endlos schien. Rundherum waren Berge und auf einigen konnte Josie kleine Hütten erkennen, aus denen Rauch stieg.
"Aber wie bist du hier her gekommen?"
"Ich bin ins Buch gefallen", sagte Teddy. "Als deine Mutter das Bettzeug geschüttelt hat bin ich runter auf den Fußboden in das aufgeschlagene Buch gefallen."
"Deswegen habe ich weder dich, noch das Buch gefunden. Ich habe ganz vergessen, dass ich euch aufs Bett gelegt hatte", sagte Josie und biss genussvoll in den Keks.
"Dort ist die Insel!", saget Josie und sprang auf. Das Boot schaukelte gefährlich und Teddy fiel zur Seite. Sie konnte ihn gerade noch am Arm festhalten, bevor er ins Wasser fiel.
"Tut mir Leid", sagte Josie und setzte sich wieder hin.
"Nun sind die Ruder weg", sagte Teddy und blickte auf das rot schimmernde Wasser.
"Komm, wir rudern mit den Händen", sagte Josie . "Es ist nicht mehr weit."
Und nach ein paar Minuten hatten sie tatsächlich die Insel erreicht.
Es war eine recht kleine Insel. Der Strand war goldglitzernd mit bunt schimmernden Steinen und ein paar Meter entfernt stand eine Holzhütte, aus dessen Schornstein Rauch zog.
"Ist das die Insel? Aber wo ist das Schloss?", fragte Teddy und sprang aus dem Boot.
"Vielleicht gibt es mehrere Inseln und wir haben die falsche", meinte Josie und ging vorsichtig mit Teddy auf die Hütte zu.
Gerade als sie an die schwere Holztür klopfen wollte, wurde diese aufgerissen und ein bärtiger Zwerg mit Stupsnase und goldenem Haar stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor ihr.
"Der Elfenzwerg!", rief Josie. "Aber wo ist denn dein Schloss?"
Der Elfenzwerg funkelte sie mit seinen grünen Augen an und zog verächtlich die Nase kraus.
"Schloss? Was willst du hier eigentlich", fragte er in unfreundlichem Ton.
"Wir wollen den Weihnachtsbaum", sagte Josie mit fester Stimme und versuchte ins Innere der Hütte zu blicken, doch außer einem Kamin sah sie nichts.
Der Elfenzwerg grummelte irgendetwas vor sich hin, dann drehte er sich um und ging in seine Hütte. Josie und Teddy folgten ihm und fanden sich in einem gemütlichen Wohnzimmer wieder.
Vor dem Kamin stand ein Sofa mit Tisch, daneben war eine Hängematte und in der Ecke sah sie den Weihnachtsbaum, eine saftige grüne Tanne mit vielen kleinen Kerzen geschmückt, die jedoch noch nicht angezündet waren.
"Du gibt's uns den Baum freiwillig zurück?", fragte Josie skeptisch.
Der Elfenzwerg ließ sich auf das Sofa fallen und starrte in das Kaminfeuer.
"Jedes Jahr versuche ich den Baum zu stehlen, in der Hoffnung, dass ich zu dem Weihnachfest eingeladen werde. Und jedes Jahr wurde ich davon gejagt. Nur dieses Jahr, da war es ganz einfach, denn der Baum war nicht bewacht worden."
"Du hast versucht den Baum zu stehlen, um eingeladen zu werden?", fragte Josie verblüfft und ging um das Sofa herum, so dass dem Elfenzwerg nun direkt ins Gesicht sehen konnte.
Er blickte traurig ins Feuer, die Mundwinkel waren nach untern gezogen und in seinen Augen glänzten ein paar Tränen.
"Es ist einsam auf der Insel. Und besonders an Weihnachten. Ich dachte...ach..egal..."
"Aber, warum fragst du dann nicht einfach, ob du mit den Zwergen feiern kannst."
"Na, weil sie Angst vor mir haben."
"Aber sie werden nicht weniger Angst vor dir haben, wenn du versuchst etwas zu stehlen", sagte Josie und Teddy nickte kräftig mit dem Kopf.
"Ich dachte, sie hätten dann so große Angst, dass sie mich bitten würden mit ihnen zu feiern, wenn ich ihnen dafür im Gegenzug den Baum zurückgebe."
Josie zog die Stirn kraus. "Aber es ist doch ihr Baum", sagte Josie, die den Elfenzwerg nicht so recht verstand.
"Nimm den Baum und bring ihn den Zwergen zurück", sagte der Elfenzwerg leise und wandte seinen Blick vom Kamin ab.
Für einen Monet trafen sich ihre Blicke und Josie fühlte auf einmal großes Mitleid.
"Wenn du den Zwergen sagst, dass du ihnen nichts tust, dann werden sie keine Angst mehr vor dir haben", meinte Josie.
"Doch. Ich bin halb Zwerg, halb Elf. Seit Jahrzehnten führen die beiden Völker Kriege. Die Elfen wollen mich nicht, weil ich halb Zwerg bin, die Zwerge haben Angst vor mir, weil ich halb Elf bin. Ich gehöre nirgendwo hin", sagte der Elfenzwerg traurig und Josie sah eine winzige Träne seine Wange runter kullern.
"Aber du kannst doch nichts dafür", sagte Josie und blickte hilfesuchend zu Teddy. Dieser kletterte auf Josies Schulter hoch und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
"Na, klar, Teddy. Gute Idee", sagte sie und streichelte ihm liebevoll über die Ohren.
"Weißt du was? Du kommst mit zu den Zwergen. Unser Boot ist sowieso zu klein für den Baum und wir haben die Ruder verloren."
Der Elfenzwerg sah sie skeptisch an. "Aber...."
"Nichts aber. Los nimm den Baum und bring ihn zu deinem Boot", sagte Josie streng.
Der Elfenzwerg war vermutlich zu deprimiert um zu widersprechen und so nahm er den Weihnachtbaum und trug ihn nach draußen , auf die andere Seite der Insel, wo sein Boot am Strand lag.
Es war ein viel größeres Boot und die drei hatten genug Platz, obwohl der Baum drin war.
Sie schwiegen auf der Rückfahrt. Teddy saß auf Josies Schoss, während der Elfenzwerg grummelnd ruderte.
Als sie den Anlegesteg der Zwerge erreichten, kamen ihn schon die Zwerge jubelnd entgegen. Aber als sie den Elfenzwerg sahen, jubelten sich nicht mehr, sondern guckten Josie verwundert an.
"Was macht der denn hier?", fragte Marso.
"Erst den Baum stehlen, und dann..."
"Ich habe ihn gebeten mitzukommen", sagte Josie, als sie aus dem Boot ausstiegen.
Der Elfenzwerg überreichte Roso den Weihnachtsbaum, der ihn mit einem Ausdruck von Misstrauen und Furcht abnahm.
"Wieso hast du das getan?", riefen die Zwerge, dann sprachen sie alle durcheinander, so dass Josie kaum ein Wort verstehen konnte.
"Er hat den Baum doch nur gestohlen, um eingeladen zu werden", sagte Josie und als sie die verständnislosen Blicke der Zwerge bemerkte, begann sie ihnen zu erzählen, was der Elfenzwerg ihnen auf der Insel erzählt hatte.
"Aber wieso klaut er, wenn er doch hätte fragen können?", fragte Habro.
Roso nickte.
"Er dachte, ihr fürchtet euch vor ihm", sagte Josie.
"Das tun wir auch", sagte Marso und blickte den Elfenzwerg zornig an.
"Er ist gar nicht so gemein, wie er denkt. Er ist bloß einsam. Und ich weiß, wie es ist an Weihnachten alleine zu sein, denn meine Mutter hat mich zu meiner blöden Tante und zu meiner gemeinen Cousine gefahren. Ich muss auf dem Fußboden schlafen und es gibt nur Kekse mit Zimt, die ich nicht mag. Außerdem..", begann Josie nun mit weinerliche Stimme.
"meckert meine Tante nur mit mir und meine blöde Cousine lässt mich nicht mit ihrem Spielzeug spielen. Und Geschenke bekomme ich auch nicht." Tränen rannen über Josies Wangen und sie drehte den Kopf zur Seite, so dass es niemand sehen konnte.
"Zünden wir den Baum an und feiern wir alle zusammen", sagte Habro auf einmal. Die Zwerge steckten kurz ihre Köpfe zusammen, dann stimmten sie nach und nach zu.
Roso und Habro schleppten den Weihnachtsbaum in die Mitte der Wiese und Marso kam mit einem Karton Baumschmuck aus dem Haus gelaufen.
Im Nu war der Baum geschmückt und da Josie den Baum gerettet hatte, durfte sie die Kerzen anzünden.
Der Elfenzwerg stand abseits der anderen, aber Josie bemerkte, dass er nicht mehr ganz so traurig aussah.
Als Josie alle Kerzen angezündet hatte, fiel die erste Schneeflocke und kurze Zeit später war der Rasen ganz weiß und der See zugefroren.
Alle gingen sie ins Haus, wo es kuschelig warm war, und Josie setzte sich neben Teddy und dem Elfenzwerg auf eine der zahlreichen bequemen Sofas vor dem Kamin. Marso verteilte Kekse, Habro brachte allen eine Tasse Kakao und Roso begann eine Weihnachtsgeschichte vorzulesen.
Josie blickte immer wieder zu dem Elfenzwerg, der zwar von den anderen immer noch misstrauisch beäugt wurde, doch er schien sich sichtlich wohl zu fühlen.
Er lobte die leckeren Kekse, von denen er zuerst nur zaghaft genommen hatte, und Josie sah, dass Habro sich geschmeichelt fühlte, auch wenn er es nicht zugeben mochte.
Nach der vierten Weihnachtgeschichte und der zweiten Tasse Kakao sagte Habro, dass Josie nun zurück durch das Fenster musste, weil es bald Morgen wurde. Josie verließ die Zwerge nur ungern. Denn im Haus ihrer Tante roch es weder nach Lebkuchen, noch gab es leckeren Kakao. Und es gab im ganzen Haus kein einziges Buch mit einer Weihnachtsgeschichte drin.
"Seid nett zu ihm", flüsterte Josie Habro zu, als er ihr auf die Fensterbank half. "Er ist so einsam auf der Insel. Ich glaube wirklich nicht, dass er böse ist"
"Keine Sorge. Du weißt doch um die Gastfreundschaft der Zwerge", sagte Habro. "Und vielen Dank, dass du unser Weihnachtsfest gerettet hast."
"Das war mein schönstes Weihnachten", sagte Josie, als sie auf der Fensterbank kniete und in das Zimmer ihrer Cousine blickte. Karen schlief tief und fest.
"Ich habe noch ein Geschenk", sagte Habro und holte eine Schachtel aus seiner Hosentasche.
Josie öffnete die Schachtel sogleich und sah eine winzige goldene Pfeife.
"Wenn du uns besuchen willst, dann pfeife kurz. Das Fenster wird sich dann wie dieses hier verwandeln", sagte er.
"Danke", sagte Josie und drückte Teddy fest an sich, bevor sie in das Zimmer ihrer Cousine stieg.
Josie drehte sich um und wollte Habro noch Auf Wiedersehen sagen, doch als sie aus dem Fenster sah, blickte sie nur auf den trostlosen Garten ihrer Tante.
"Was machst du da?", fragte Karen leise.
"Nichts", sagte Josie, legte sich in ihren Schlafsack und kuschelte sich an Teddy.



Eingereicht am 05. Dezember 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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