Haralds erster Auftrag
© Anke Abbing
"Hallo ihr zwei!" Grüßend nickte Rosa, während das Abendessen, gemütlich vor sich hin brutzelte. "Wie war es denn?"
"Geil", schwärmte Florian. "Wir waren Schlittschuhlaufen."
"Ich nehme doch an in einer Eishalle?"
"Nö", warf Florian ein. "Auf`m See."
"Bitte?" Entsetzt wandte Rosa sich um. "Das ist doch viel zu gefährlich."
Dieser Idiot, schimpfte Rosa innerlich und verwünschte ihren Exmann am liebsten an den Nordpol. Wie konnte er nur die Kinder einer solchen Gefahr aussetzen. Wutentbrannt ging sie in die Diele und griff zum Telefon. "Sag mal", polterte sie los, noch ehe er überhaupt etwas sagen konnte. "Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?"
"Hallo Rosa", begann Jochen vorsichtig. "Was ist denn los?"
"Das fragst du noch", wetterte sie. "Eislaufen auf einem zugefrorenen See. Bist du verrückt geworden?
"Wieso?"
"Weil es gefährlich ist. Was, wenn einer von den Kindern eingebrochen wäre und außerdem hättest du das mit mir absprechen müssen."
"Rosa", entgegnete er. "Sie sind keine Babys mehr. Du verhätschelst sie viel zu sehr und ich war die ganze Zeit bei Ihnen. Es ist nichts passiert."
Katja und Florian sahen sich an und verdrehten die Augen. Es war immer dasselbe. Wenn sie das Wochenende bei Ihrem Vater verbracht hatten, gab es Streit. "Blödmann", wandte sich Katja an ihren Bruder. "Musstest du das erzählen? Du weißt doch, das sie sich dann wieder streiten." Wieso konnten kleinere Brüder eigentlich nie die Klappe halten? "Selber Blödmann", wehrte sich Florian. Wieso waren ältere Schwestern solche Nervensägen? Während der Streit weiter ging, trotteten sie niedergeschlagen
in ihr gemeinsames Zimmer.
Die Nacht war bitterkalt. Winzige Eiskristalle hatten sich auf die Fensterscheibe gelegt. Man konnte nicht mehr hindurchsehen, so kalt war es. Leise erhellte der Mond das Zimmer und ein eisiger Wind fuhr durch das leicht geöffnete Fenster. Katja schlug zähneklappernd die Augen auf. Ihr Blick fiel auf Ihre Puppen, die auf dem Regal, neben ihrem Schreibtisch standen. Die Haare der Puppen, standen beinahe senkrecht vom Kopf ab. Sie musste unbedingt das Fenster schließen. Fröstelnd stand sie auf. Florian war nun
ebenfalls aufgewacht. "Was machst du da?", murmelte er verschlafen. "Der Wind", entgegnete Katja. "Ich mach das Fenster zu." Sie ging zum Fenster, legte ihre Hand an den Griff, in der Erwartung dass dieser eiskalt sein würde, doch er war warm. "Komisch", dachte sie. "Und warum war es plötzlich so hell?" Grelles Licht fiel durch die blinden Scheiben und Katja verspürte den Wunsch das Fenster zu öffnen, anstatt es zu schließen. Sie tat es und wunderbare Wärme durchzog
den Raum. Florian, der nun ebenfalls aufgestanden war, hielt sich dicht hinter ihr. Gebannt starrten sie auf den wärmenden Strahl der sich ihnen entgegen streckte. Langsam wurde eine Gestalt sichtbar. Ganz sachte schwebte ein kleiner Engel heran. Glitzernder Sternenstaub umhüllte seine zierliche Gestalt. Mit klingelnden Flügeln, setze er zum Landeanflug an. Florian und Katja standen mit offenem Mund da und staunten nicht schlecht. Der kleine Engel setzte sich aufs Fensterbrett, schüttelte sich den Sternenstaub
von den Flügeln und sagte: " Hallo Katja, Hallo Florian."
"Bist du echt? ", fragte Florian neugierig, der als erster seine Stimme wiedergefunden hatte. "Natürlich bin ich echt", erwiderte der Engel entrüstet. "Ihr seid mein erster Auftrag und ich heiße Harald."
"Und woher kennst du unsere Namen?", wollte nun auch Katja wissen. "Ich habe alles gehört und das eure Eltern oft miteinander streiten. Das macht euch traurig, nicht wahr?" Die beiden Kinder nickten. "Wir möchten so gerne, dass sie damit aufhören", begann Katja. "Und wir möchten dass unser Vater mit uns Weihnachten feiert, aber unsere Mutter will das nicht, " fiel ihr Florian ins Wort. "Ich weiß." Harald sah die beiden an. Was könnte man nur tun? "Setzt euch",
befahl er den beiden. "Ich muss nachdenken." Sie setzten sich auf Katjas Bett. Harald legte seine kleine Engelsstirn in tiefe Falten und dachte angestrengt nach. Kein Laut durchdrang die Stille. Nach einer Weile erhellte sich plötzlich Haralds Gesicht. "Ich habe eine Idee", rief er und flatterte ganz aufgeregt umher. "Was denn?", wollten die Kinder nun wissen. Der kleine Engel Harald setzte sich vor ihnen auf den Boden. "Ihr werdet doch bestimmt einen Weihnachtsbaum kaufen?"
Die Kinder nickten. "Bei eurem Vater?" Florian und Katja schüttelten den Kopf. "Bestimmt nicht", erwiderte Katja. "Doch, doch, ihr werdet den Baum an dem Stand eures Vaters kaufen", sagte Harald. "Lasst mich nur machen."
Bevor die Kinder es sich versahen, war Harald zum Fenster herausgeflogen und mit dem wärmenden Strahl hatte er sich flugs davon gemacht. Eisiger Wind erfasste sie wieder und sie beeilten sich das Fenster zu schließen.
Einen Tag vor Heiligabend machte Rosa sich mit ihren Kindern auf den Weg. Sie wollten einen Baum kaufen. Eine wunderschöne große Tanne sollte es werden. Sie gingen an verschiedenen Ständen vorbei. Stämmige Männer priesen ihre Ware lautstark an. Es duftete herrlich nach frischer Tanne und aus den Lautsprechern ertönten weihnachtliche Klänge. Doch wohin sie auch gingen, mal war es zu teuer und mal waren die Bäume zu klein. Katja und Florian bekamen langsam kalte Füße und wollten endlich nach Hause. Da entdeckten
sie etwas abseits in einer Ecke einen kleinen Stand. Sie zerrten ihre Mutter dorthin und alle drei bestaunten die riesige Tanne, die dort als einziger Baum noch stand. "Guten Tag", rief Rosa dem Mann zu. Er stand mit dem Rücken zu ihnen, während er etwas auf einen Zettel schrieb. "Was kostet dieser Baum?" Er drehte sich herum und lächelte sie an. "Jochen", durchfuhr es sie. "Du?" Er nickte. " Für dich kostet er nichts", antwortete er. Florian und Katja schickten
stumm ein Stoßgebet gen Himmel, sahen sich an und strahlten übers ganze Gesicht.
Eingereicht am 27. November 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
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