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Weihnachtsgeschichten Weihnachtsgeschichte Weihnachten Kurzgeschichte Weihnacht Advent

Digitale Bescherung

© Onivido Kurt


Früher war vieles schwerer und manches leichter. Zum Beispiel die Weihnachtsgrüsse. Man suchte einfach eine schöne, gefühlvolle Karte und schrieb "Frohe Weihnachten" plus Unterschrift und damit hatte sich die Sache. Aber jetzt. Alles wird per e-mail erledigt und da muss man eben doch etwas eigene Kreativität entwickeln und den Text dem Adressanten anpassen. Mit einem "Frohen Weinhnachten und einem Glücklichen Neuen Jahr" ist es nicht getan. Das ist zu blass, zu unpersönlich. Natürlich kann man auch eine mit Werbung gespickte E-mail Karte schicken. Irgendwie ist das aber einfach nicht weihnachtlich. Und ausserdem haben Komputer ihre Tücken. Jeder weiss, sie dulden keine Zweideutigkeiten. Eins oder null, ja oder nein. Man drückt auf eine Taste und der Komputer erledigt unverzüglich die dazugehörige Aufgabe. Pech gehabt, wenn man die falsche Taste erwischt. Natürlich gibt es die Notbremse "undo", aber die hilft nicht, wenn man eine e- mail schreibt und die "send" Taste versehentlich betätigt. Und genau das ist mir passiert.
Gerade hatte ich geschrieben " Aida, ich möchte dich"
, als ich ungewollt die "Send" Taste klickte.
"Recall!" Funktionierte nicht. Ich kam auch nicht dazu in einer neuen Mail das "ich möchte dich" etwas zu erläutern. Denn noch während ich darüber nachsann, was ich Aida eigentlich schreiben hatte wollen, erhielt ich Antwort.
"Ricardo, Liebster, deine Mail ist das wundervollste Weihnachtsgeschenk meines Lebens. Monatelang habe ich auf irgendein Zeichen von dir gewartet. Ich bin in dich verliebt seit ich dich kenne. Du warst immer so betont professionell, sehr freundlich, aber unpersönlich. Und ich war zu schüchtern und natürlich auch zu stolz um dir meine Gefühle zu zeigen. Nun hat das Warten ein Ende.
Bald Deine Aida."
Was soll ich jetzt machen. Den Fehler einzugestehen wäre eine unsagbare Beleidigung. Jegliche Erklärung ist undenkbar. Es gibt kein zurück. Mein Unterbewusstsein hatte mir einen Streich gespielt.
Aida hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Immer hatte ich versucht Abstand zu halten. Dafür habe ich auch meine Gründe. Denn leider bin ich nicht irgendein Pedro Perez, sondern Angehöriger einer Familie deren Leben am Rande der Nöte und des Alltags des Rests unserer Gesellschaft abläuft, eingezwängt in einen Pferch aus Dünkeln und Interessen, Beziehungen und Intrigen.
Was soll ich jetzt machen, ich Spross einer Familie deren Ahnen in den Befreiungskriegen Südamerikas unter Simon Bolivar kämpften, ich Abkömmling von Rechtsgelehrten und Magistraten? Wie kann ich eingestehen, dass ich in eine Frau verliebt bin, die in einer elenden Fischerhütte aufgewachsen ist, unter einem von der Tropensonne versengten Wellblechdach, - unleugbar einer Skulptur von einer Frau und als Dreingabe sogar mit Universitätsbildung, aber eben einer Proletin in den Augen meiner Familie und zu allem Überfluss auch noch Zamba.
Ich, der ich traditionsgemäss an den besten europäischen Universitäten promoviert habe, mit Mastertiteln und Managererfahrung in den Vereinigten Staaten, ich, der ich dazu bestimmt bin Karriere in PDVSA zu machen, prädestiniert zum Präsidenten des zweitgrössten Ölkonzerns der Erde.
Natürlich werden alle meine Freunde und männlichen Familienmitglieder ihr Verständnis zum Ausdruck bringen - mit lasziven Lächeln,- ihr Verständnis dafür dass ich nach dem betörenden Körper der dunklen Afrodite giere, aber sie werden nicht verstehen, dass ich sie liebe, dass ich jede Zelle ihres Wesens anbete, dass ich sie zu meiner Ehefrau vor Gott und der Welt machen will, dass sie und nur sie die Mutter meiner Kinder sein soll.
Was wird meine Grossmutter sagen, die nicht einmal die Ehe ihres Sohnes mit meiner Mutter, einer Europäerin, gebilligt hatte, meiner Mutter, einer begeisterten Sportlerin, mit standhaften Ideen über Fairness, wirren, kommunistischen Ideen der Meinung der feudalen Kreise meiner Familie nach, einer Frau die fantasierte von der Emanzipation der Marginales- der Besitzlosen.
Sicherlich wird sie ihr die Schuld geben an meiner Verantwortungslosigkeit gegenüber meiner erlauchten Familie, weil sie mich schon im zarten Kindesalter mit diesen Wahnvorstellungen verdorben hatte.
Und mein gequälter Vater, überdrüssig der unentwegten Sticheleien meiner Grossmutter und des Grollens meines Grossvaters, wird mir vorschlagen dem Beispiel von Generationen von Männern unserer Familie in ähnlichen Situationen zu folgen und der Negrita ein Appartment zu kaufen und sie zu meiner Geliebten zu machen.
Aber es ist Weihnachten.
Und ich bitte Gott, dass der Weihnachtsgeist das Heim und die Gefühle meiner Familie durchdringen möge, dass er ihr die Gnade zuteil werden lasse sich von den versteinerten Zerrbildern des Konventionalismus der Oligarchie loszusagen und sich daran zu erinnern wofür unsere vielgepriesenen Vorfahren ihren Besitz und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Und während die weihnachtlichen Gaitas dröhnen aus Fenstern und Türen von Arm und Reich, quillt mein Gebet aus meinem Herzen und ich weiss, dass Gott mir all das schenken wird was ich aus eigener Kraft nicht erreichen kann.
Meinen Teil aber werde ich tun müssen.



Eingereicht am 25. November 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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