Von ganzem Herzen - Eine etwas andere Weihnachtsgeschichte erzählt von einem Teddybären
© Heiko Neumann
Der Schnee lag bereits weiß auf den Straßen und von oben kam noch mehr von der weißen Pracht herunter. Das ließ die Vorfreude auf Weihnachten in den Köpfen der Leute gleich erheblich steigen. Für Spielzeuge wie mich ist so etwas immer günstig, denn dann schauen die Menschen nicht so genau auf den Pfennig und geben auch mal ein bisschen mehr für Geschenke aus. Für mich, als waschmaschinenfesten, kuscheligen Teddybären mit dem berüchtigten Knopf im Ohr, hing an der Kauflaune das ganze Schicksal ab.
Als Teddy von Qualität war ich damals, im Jahre 1978, nicht ganz billig.
Schon viele Mütter, Väter und vor allem Kinder hatten mich in Händen gehalten. Aber nach dem Blick auf das Preisschild stellte man mich immer wieder zurück. Spielzeuge weinen natürlich nicht, außer dass man sie speziell so gebaut hat, aber drei Tage vor Weihnachten befand ich mich noch immer im Kaufhaus und offensichtlich wollte mich niemand haben.
Dabei hatte ich mich schon so auf ein Kinderlächeln gefreut.
Doch es kam alles anders. Zunächst schien alles beim Alten. Dutzende Male hatte man mich an diesem Tag schon gegriffen und wieder zurückgestellt, als mich plötzlich ein weißer Handschuh berührte. Drei Sekunden später schaute mich ein Mann mit roter Zipfelmütze, weißem Rauschebart, der fast das ganze Gesicht verdeckte, und den lieblichsten Augen der Welt an. Sein mächtiger Schnurrbart beugte sich nach oben, was zeigte, dass er lächelte. "Nur Mut mein Kleiner, heute ist dein großer Tag", sagte er mit
dunkler, aber angenehmer Stimme. Dann erfuhr er auf einmal einen Ruck von hinten, durch den er nach vorne stolperte. Fast hätte er mich fallen gelassen, aber wie etwas Kostbares drückte mich an sich, um mich nicht zu beschmutzen oder sogar zu beschädigen.
"Oh, verzeihen Sie bitte", sagte hinter dem alten Mann ein jüngerer mit betrübtem Gesicht. Neben ihm stand eine ebenfalls junge, hübsche Frau, die unter den ganzen Teddybären einen bestimmten zu suchen schien. Die traurigen Gesichter gefielen dem Mann in Rot gar nicht. Er wollte dem Abhilfe leisten. "Darf ich Ihnen irgendwie helfen?", fragte er das Paar.
"Vielleicht, meine Frau und ich, wir suchen einen Teddy für ein Kleinkind. Er sollte aber waschbar und etwas strapazierfähig sein." Diese Beschreibung passte ja auf mich wie keine zweite. Aber wahrscheinlich würde mein Preisschild sie eh wieder abschrecken. Dennoch hielt mich der Mann dem Ehepaar entgegen und ich präsentierte von meiner Schokoladenseite. "Na, wie wäre es mit diesem hier? Ein echtes Qualitätsprodukt", schlug er vor. Und natürlich hafteten die Blicke sofort auf dem Preisschild,
was aber mein Verkäufer sofort merkte. "Oh, keine Sorge mit dem Preis, es handelt sich hier um einen Irrtum." So nahm er einen Rotstift hervor, strich den Preis aus und schrieb eine weitaus niedrigere Zahl auf das Schild. So neu gekennzeichnet gab er mich an den jungen Vater. Der nahm mich zögernd in die Hand, drückte und begutachtete mich. "Ihr Sohn wird ihn mögen", meinte Rauschebart.
Verdutzt schaute ihn die Frau an. "Woher wissen Sie, dass wir einen Sohn haben?", fragte sie.
Er lächelte wieder. "Ein kleiner Trick, verzeih'n Sie. Tja, natürlich können Sie sich gerne noch umsehen. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen."
"Nein, nicht nötig", meinte der Vater. "Wir nehmen ihn."
"Ja, endlich!", dachte ich bei mir. Endlich durfte ich dieses Kaufhaus verlassen, hinaus in die Welt der Kinder.
Das Paar ging mit mir und Rotfummel an die Kasse, um das Finanzielle zu erledigen. Die Kasse klingelte, als der Alte laut auflachte. "Na, da haben Sie aber Glück gehabt, meinen herzlichen Glückwunsch. Sie sind heute der eintausendste Käufer in der Spielwarenabteilung. Und als besonderes Weihnachtsgeschenk ist jeder tausendste Einkauf bis 100 Mark frei."
Der Vater stand verdutzt da und hielt ein Weile einen Geldschein in der Hand.
Offensichtlich wollte er sein Glück gar nicht glauben. "Stecken Sie Ihr Geld wieder ein. Eltern vergessen zur Weihnachtszeit am ehesten sich selbst. Also gönnen Sie sich damit etwas Gutes. Ihr Sohn wird es Ihnen bestimmt nicht neiden, wenn Sie ihm diesen wundervollen Teddy bringen. Und ein fröhliches Weihnachtsfest wünsche ich noch."
So wurde ich noch in eine Tüte gesteckt und schon ging es los, erst einige Minuten zu Fuß durch die verschneite Landschaft, dann auf dem Rücksitz eines Autos. Leider konnte ich nichts erkennen, aber die Gespräche des Ehepaares belauschte ich natürlich sehr neugierig.
"Glaubst du, er wird ihn mögen?", fragte sie ihn mit einem etwas zweifelnden Ton.
"Er ist kuschelig, sieht süß aus, warum sollte er ihn nicht mögen? Warten wir es einfach ab. Immerhin hat er uns nichts gekostet. Wenn er ihn nicht mag, können wir ihm immer noch einen anderen kaufen."
Einen anderen? Kommt gar nicht in Frage! Na ja, Erwachsenen muss man es einfach verzeihen. Sie wissen nicht, dass Kuscheltiere mit Kindern sprechen können. Ok, nicht mit jedem Kind und auch nicht sofort, aber es funktioniert. Der Trick liegt einfach in der Fantasie. Manche Kinder haben mehr, andere weniger davon. Doch die meisten besitzen auf jeden Fall bedeutend mehr als die Erwachsenen davon. Und hin und wieder kann ein Mensch sich seine Fantasie bis ins hohe Alter bewahren.
"Wir sollten ihn ihm schon heute bringen", meinte die Frau auf einmal betrübt. Das machte mich etwas stutzig. Heute schon? Warum sollte man einem Kind das Weihnachtsgeschenk schon vorher geben?
Der Mann seufzte. "Vielleicht hast du Recht. Er kann ja mit dem Datum eh noch nichts anfangen."
Die Sache war mir nicht ganz geheuer. Auf der einen Seite überlegten sich Eltern die besten Verstecke, um damit die Kinder die Geschenke auch wirklich erst zum Heilig abend erhielten und dieses Paar hier wollte mich ihrem Sohn schon jetzt bringen. Ich kombinierte, dass es sich hier um einen Sonderfall handelte. Eigentlich konnte es mir ja auch egal sein. Hauptsache, das Kind mag mich.
Der Wagen hielt nach einige Minuten an. Man öffnete und entlud den Kofferraum, nur mich ließ man drinnen liegen. Ey, hallo! Nehmt mich mit!
Erst etwas später begriff ich, dass sie das mit voller Absicht getan hatten. Aus verständlichen Gründen halten sich Babys immer zu Hause auf.
Auch hier schien die Familie eine Ausnahme zu bilden. Das Ehepaar kam zum Wagen zurück und fuhr erneut los.
"Wisch dir mal die Tränen aus dem Gesicht", sagte er zu seiner Frau.
"Entschuldige, ich bin nur etwas unruhig", antwortete sie.
Oh, oh, das hieß bestimmt nichts Gutes. Eigentlich ging ich immer davon aus, dass Eltern sich über ihre Kinder freuen und nicht weinen, wenn sie zu ihnen fahren. Das Ganze schien also wirklich eine sehr verzwickte Angelegenheit zu sein. Die Fahrt dauerte diesmal länger. Als man danach dann anhielt, stand der Wagen vor einem richtig großem Haus, größer noch als das Kaufhaus, in dem ich noch vor ein paar Stunden gestanden hatte.
Der Vater nahm mich aus der Tüte heraus, als hätte er meine Neugierde geahnt. Das schien ja ein sehr trauriger Ort zu sein. Die Menschen zogen meist finstere, betrübte oder sorgenvolle Gesichter. Manche benutzten Stöcke zum Gehen, andere fuhren in rollenden Stühlen kutschiert.
Auffallend viele trugen überwiegend weiße Kleidung und hatten es stets eilig, ob sie nun in das Gebäude rein- oder aus ihm rausgingen. Warum ließ man sein Kind nur an solch einem tristen Ort?, fragte ich mich. Man muss dazu sagen, dass ich damals noch sehr wenig von der Welt wusste.
Auf jeden Fall kannte das Elternpaar den Weg. Außerdem kannte man sie hier, denn viele Frauen in Weiß begrüßten sie als Herr und Frau Schmidt.
Nach einigen Minuten durch ein Labyrinth von Treppen, Gängen und Fahrstühlen, näherten wir uns wahrscheinlich dem Ziel. Die Flure wurden etwas freundlicher und kindgerechter. Dann endlich blieben die Schmidts vor einer Zimmertür stehen. Wollten sie es besonders spannend machen oder was sollte diese Verzögerung. Da bemerkte ich auf einmal ein leichtes Vibrieren in der Hand des Vaters, die mich hielt. Er schaute seine Frau an. "Bist du bereit?", fragte er sie. Sie nahm noch einmal Luft und nickte dann.
Sofort drückte er die Klinke und trat in das Zimmer, in dem wohl das Baby liegen sollte.
Ups, so schlimm hatte mir die ersten Monate eines Menschenlebens nicht vorgestellt. Der kleine Racker lag in einem kleinen Bettchen, das von Instrumenten umringt war, die komische Geräusche machten. Außerdem hatte das kleine Wesen Schläuche in den Armen und komische Aufkleber mit angesteckten Seilen daran auf dem Oberkörper kleben. Seine Eltern kamen zu ihm hin.
"Hallo, mein Schatz", sagte Herr Schmidt auf einmal mit kindischer Stimme. Als sein Sohn sie erblickte, strahlte er über das ganze Gesicht, seine Augen leuchteten und er quiekte. "Schau mal, was Mami und Papi dir mitgebracht haben." Mit diesen Worten hob er mich über das Bett.
"Hallo Kumpel", versuchte ich mit ihm Kontakt aufzunehmen. "Wie ich heiße, musst du entscheiden, und wie heißt du?"
Offensichtlich hatte er mich nicht verstanden, denn kurz sah er mich mit großen Augen an, dann begann er auf einmal fürchterlich zu weinen. "Nimm ihn raus, Albert", sagte Frau Schmidt sofort beängstigt. "Sein Puls geht hoch. Du weißt doch ..."
Da hatte mich Herr Schmidt wieder vom Bett weggenommen und auf das Bestelltischchen gelegt.
"Ist ja gut. Er ist weg."
Plötzlich ertönte ein weiteres Piepsen und einige Augenblicke später kam eine Frau in Weiß hereingestürmt. Für sie schien es sich um Routine zu handeln. Sie ging zum Bett und schaute nach dem Kind und kontrollierte einige Instrumente. Danach drückte sie ein Knöpfchen über dem Bett an der Wand. "Zimmer Eins Null Eins, okay."
"Ich hab ihm einen Teddy mitgebracht", erklärte Herr Schmidt. "Vielleicht hat ihn das erschreckt."
"Es ist alles in Ordnung, Herr Schmidt. Versuchen Sie es später noch einmal. Und wenn er dann immer noch nicht will, lass sie ihn einfach mal hier liegen. Vielleicht nimmt er ihn an, wenn er sieht, dass er immer da ist", riet sie. "Und sie wissen ja: Keinen Streit oder Stress auslösen. Stefan hat heute schon einige Untersuchungen hinter sich und ist sicherlich schwach." Dann beugte sie sich zum dem Baby und streichelte es an der Wange. "Gelle, mein tapferer Prinz!"
Der kleine Stefan lächelte. "Wir wissen's", beteuerte Frau Schmidt.
Nun verschwand die weiße Frau wieder. Die jungen Eltern packten Spielzeug aus, beugten sich abwechselnd über das Bett und zogen vor Stefan irgendwelche Faxen.
Schließlich bereitetem sie ihm ein Fläschchen vor, dessen er offenbar gierig zu sich nahm. Und ich lag da auf dem Tischchen und versuchte hin und wieder seine Aufmerksamkeit zu ergattern.
Um nun einige Dinge zu klären, die mir damals noch völlig kurios vorkamen, sei mal einiges gesagt. Stefan war mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen. Und selbst heute, ein paar Monate später, musste er an diesen Geräten angeschlossen bleiben. Nur eine Operation am Herzen konnte ihn retten. Dieser Eingriff barg allerdings ebenfalls Risiken in sich. Und selbst, wenn er all dies überstehen sollte, würde sein Herz niemals diese Belastungen aushalten können, die das Leben eines gesunden Menschen mit sich bringt.
Von all dem wusste ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Zunächst war ich nur etwas enttäuscht, dass ich nicht zu Stefan in Bettchen durfte. Aber ich wollte nicht so einfach aufgeben. Immerhin hatte die dicke, weiße Tante gesagt, ich solle hier liegen bleiben. Das war meine Chance, dachte ich bei mir. Doch als Herr und Frau ihre Sachen packten und ihre Jacken anzogen, begann Stefan wieder zu weinen. Man muss kein Mensch sein, um zu wissen, warum. Er wollte, dass seine Eltern bei ihm blieben, was aber nicht
möglich war.
Das Piepsen ertönte wieder und wieder kam die Tante. "Ja, mein Prinz, ich weiß, Mami und Papi gehen schon wieder", sagte sie gleich und eilte zum Bett. Sie streichelte ihm über den Kopf. "Nicht traurig sein. Mami und Papi kommen morgen wieder. Außerdem bist du doch jetzt nicht mehr alleine. Da schau!" Sie zeigte auf mich und Stefan schaute auch kurz zu mir.
Im Moment genügte das jedoch nur zur kurzen Ablenkung. Als er seine Eltern fertig angezogen sah, schrie er wieder los. Es zerriss Herrn und Frau Schmidt das Herz, das war deutlich zu sehen. Noch einige Minuten, nachdem sie gegangen waren, weinte Stefan. Ich sah keine Möglichkeit, auf mich aufmerksam zu machen. Die bestand erst in der Nacht. Es war zwar dunkel, aber die Krankenschwester, wie man die dicke Tante nannte, hatte das Nachtschränkchen so hingestellt, dass das Licht des Flures auf mich leuchtete und
Stefan mich sehen konnte.
"Hallo Stefan! Na, wie geht's Kumpel?"
Keine Reaktion!
Die Prozedur wiederholte sich am nächsten Tag. Die Eltern kamen gegen Nachmittag, was Stefan sehr freute. Ich lag noch immer nur auf dem Tisch und keiner würdigte mich eines Blickes. Sie spielten mit dem Kleinen, gaben ihm sein Fläschchen und wechselten die Windel. Nach ein paar Stunden zogen sich die Schmidts wieder an und Stefan weinte wieder. Die Krankenschwester kam herein und streichelte ihn wieder.
"Vielleicht sollten wir den Teddy wieder mitnehmen", meinte der Vater.
"Nein, nein, lassen Sie ihn ruhig noch hier", entgegnete die Frau in weiß. "Angst hat er vor ihm nicht. Schaden kann es also nicht, wenn der Teddy da bleibt."
Puh, da hatte ich ja mal wieder Glück gehabt. Viel Zeit hatte ich auf jeden Fall nicht mehr, um den kleinen Racker an mich zu gewöhnen.
Für die Nacht rückte man mich wieder ins rechte Licht.
"Hallo Stefan! Hast du Angst vor mir? Ich tu dir doch nichts?"
Da quiekte Stefan auf einmal auf.
"Ja, ich liege die ganze Zeit schon hier, um zu dir zu kommen", sprach ich weiter.
Stefan lachte kurz.
"Genau, ich kann immer bei dir bleiben. Drück einfach auf das Knöpfchen über dir und ruf. Dann kommt die weiße Tante. Dann zeigst du auf mich und sie trägt mich zu dir."
Kaum hatte ich die Worte gesagt, kam es mir, wie hirnrissig dieses Vorhaben war. Stefan konnte das Knöpfchen gar nicht sehen. Außerdem begriff er wahrscheinlich gar nicht, was ich von ihm wollte. Ein Baby von wenigen Monaten kann so etwas noch ...
Plötzlich ertönte eine Stimme. "Wer ist da?" Und Stefan rief in Kindersprache zurück.
Ich staunte nicht schlecht. Der Junge hatte mich verstanden. Und nicht nur das, er hatte das Knöpfchen gefunden. Ein Wunder!
Wie geplant, kam die Krankenschwester herein. "Na mein Kleiner, hast du den Knopf zum Spielen gefunden, was?" Sie knipste das Licht an.
Stefan sah sofort zu mir hin.
"Na los, jetzt mach ihr klar, dass ich zu dir soll", feuerte ich ihn an.
Freudestrahlend griff er mit seinen kleinen Händchen durch die Gitter nach mir. "Oh, du willst den Teddy bei dir haben? Na, da wird sich der Teddy aber freuen", sagte die Schwester.
Quatsch keine Opern, trag mich ins Bett!, dachte ich bei mir voller Ungeduld. Das tat sie dann auch. Endlich lag ich in dem kleinen Bettchen neben Stefan. Er griff mich gleich an den Ohren und begutachtete mich.
Ey Kumpel, ich bin ein Kuscheltier, kein Quetschtier. Okay, Kumpel, das sind meine Ohren, das meine Nase, mein Arm, bitte nicht zu fest ziehen. Mein Füße, aha hahahaha, nicht, ich bin doch kitzlig, aufhören."
Da lachte Stefan, ein Lächeln, das einem wahrlich das Herz erwärmt.
Seine Eltern waren ganz entzückt, als sie mich neben ihm fanden.
"Schau mal, Susanne!", rief Herr Schmidt gleich. "Kaum steht Heiligabend vor der Tür, da nimmt unser Kleiner auch sein Geschenk entgegen." Frau Schmidt war ganz hingerissen von diesem Anblick. Ihr Sohn lag friedlich da und hielt mich dabei in der Hand. "Wie süß", meinte sie ganz gerührt.
"Jetzt hat er endlich einen Begleiter, der immer bei ihm bleibt."
Während sie so gebannt auf das Bettchen schauten, hatten sie gar nicht bemerkt, dass die Krankenschwester hereingekommen war.
"Guten Tag", grüßte sie mit einem Lächeln. "Gefällt Ihnen der Anblick?"
Herr Schmidt nickte. "Ja, sehr sogar. Vielen Dank für Ihre Ratschläge und Ihre Unterstützung."
Die Schwester tat etwas verlegen. "Gern geschehen! Für diese Kinder, die hier liegen, sind solche Kleinigkeiten sehr sehr wichtig."
Auf einmal schaute sie nach unten und druckste etwas herum. Es war ihr aber anzumerken, dass sie noch etwas Unangenehmes sagen wollte.
Sofort erschrak das Ehepaar vor Sorge um den Sohn. "Was gibt es noch?", fragte Frau Schmidt, deren Hände sofort zu zittern begann.
Ihr Mann nahm sie in den Arm.
"Keine Sorge, was ich Ihnen sagen möchte, dreht sich nur indirekt um Ihren Sohn. Ihm selbst geht es den Umständen entsprechend gut. Der Arzt hat mit Ihnen sicher schon mehrmals über die bevorstehende Operation gesprochen. Wir tun alles, was wir nur können, aber ohne Ihre Hilfe geht es nicht. Ich wollte nur, dass Ihnen das bewusst ist. Auch wenn Stefan stets weint, wenn Sie gehen. Er spürt, dass Sie wieder kommen. Diesen Rückhalt braucht ihr Sohn jetzt. Die modernste Medizin kann ihm nicht helfen, wenn er
keinen Lebenswillen in sich spürt. Diese Operation ist für ihn zwar überlebensnotwendig, doch das eigentliche Wunder kann er nur selbst mit Ihrer Hilfe vollbringen."
Aus diesen Worten wurde mir auf einmal bewusst, welch große Verantwortung auf Herrn und Frau Schmidt lagen. Im Kaufhaus hatte ich geglaubt, ich soll einem Kind einfach nur als Spielzeug dienen. Doch jetzt merkte ich, dass ich mehr war. Sie selbst konnten nicht die ganze Zeit für Stefan da sein. Kein Mensch konnte das bewerkstelligen. Aber ein Teddy, der könnte sich immer in seiner Nähe aufhalten. Und dennoch blieb der härteste Job bei den Eltern hängen. Tag für Tag fuhren sie ins Krankenhaus, fütterten Stefan
und spielten mit ihm. Tag für Tag mussten sie ertragen, dass er weinte, wenn sie wieder gingen. Würde all diese Mühe auch Lohn bringen? Würde Stefan diese Operation überleben? Ich hatte absolut keine Ahnung, was da auf meinen Kumpel noch zukommen sollte. Ich wusste nur, dass es zwar gefährlich, aber notwendig war.
Schließlich war der Moment gekommen. Man nahm mich aus dem Bettchen.
"Ich warte hier auf dich", rief ich Stefan zu.
Dann fuhren sie meinen Freund aus dem Zimmer und ich wusste nicht, ob ich ihn jemals wiedersehen würde.
Ein paar Stunden später kamen auch die Schmidts herein. Und obwohl sie nicht mit mir reden konnten, nahm mich die Mutter und drückte mich an sich. Man kann sich sicher vorstellen, wie nervenaufreibend diese Situation war.
Ich möchte gar nicht länger auf unendlich wirkenden Stunden des Wartens eingehen. Am späten Nachmittag kam der Arzt, um zu berichten. Stefan hatte die Operation gut überstanden. Doch das sei leider nur die erste, wenn auch schwierigste Hürde. Mit einigen komplizierten Fachausdrücken gab er zu verstehen, dass es jetzt auf die nächsten Wochen ankäme. Nach dieser Zeit bestünden gute Chancen, dass Stefan mit einigen Einschränkungen als ganz normaler Junge heranwachsen durfte.
Wenige Minuten später brachte man Stefan wieder ins Zimmer. Er sah, mit Verlauf, schlimm aus. Und er hatte Schmerzen, weswegen er weinte. Aber er sah auch, dass wir drei tatsächlich auf ihn gewartet hatten. Er war nicht alleine. Und gemeinsam überdauerten wir die kritischen Wochen.
Etwas später durften wir dann auch endlich nach Hause fahren.
Von da an überschlugen sich die Ereignisse, wenn man es im Rückblick betrachtet. Die ersten Zähne, die ersten Schritte, der Kindergarten und so weiter. Heute schreiben wir das Jahr 2004 und noch immer stehe ich meinem Kumpel mit allen Kräften zur Seite. Denn obwohl er das Kindesalter längst überschritten hat, seine Fantasie ist ihm geblieben, sodass wir immer noch miteinander sprechen können.
Nun wohnen wir nicht mehr bei Herr und Frau Schmidt, sondern in ihre Nähe. Stefan hat sich eine passable Freundin geangelt, die auch mit einem alten, gebrechlichen Kuscheltier wie mir behutsam umgeht. Wahrscheinlich bekäme sie auch sonst Ärger, hähä.
Eines Nachmittags kam mein Kumpel erschöpft von der Arbeit. Das normale Leben, das er laut den Ärzten mit einigen Einschränkungen führen könnte, hatte sich bewahrheitet. Aber so ein Nickerchen musste an manchen Tagen eben doch sein. So legte er sich aufs Bett und nahm mich zu sich.
"Du wirst alt, Teddy", sagte er in Gedanken zu mir.
"Du auch", entgegnete ich entrüstet. "Die Dreißig kommen immer näher."
"Lass sie kommen, Teddy. Wir beide haben schon soviel überstanden, da werden uns ein paar Fältchen doch nicht umwerfen."
Solche Gespräche gefielen mir jedoch gar nicht. "Mach hier keinen auf Midlife-Crisis! Das kannst du mit vierzig oder fünfzig machen, aber nicht mit sechsundzwanzig. Und jetzt ruh dich aus!"
Mit einem zufriedenen Lächeln sank Stefan Kopf ins Kissen und bald darauf war er eingeschlafen.
Hier endet die Geschichte. Ich könnte noch von unzähligen Abenteuern und Ereignissen erzählen. Aber eigentlich ist das Wichtigste gesagt.
Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Hoffnung. Und auch der Geschenke. Vielleicht ist dies die passende Stelle, um stellvertretend für alle Eltern, die die gleichen oder ähnliche Sorgen mit ihren Kindern hatten oder haben, dem Ehepaar Schmidt eine hohe Anerkennung zukommen lassen. Es bedarf schon sehr viel Kraft und viel Hoffnung, um für sein Kind einen solchen Kampf aufzunehmen.
Ach, und noch etwas. Sollte jemand mal zufällig den Mann im roten Anzug mit dem Rauschebart treffen: Richte ihm bitte schöne Grüße von Teddy Schmidt aus.
Eingereicht am 20. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.
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