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Ein Weihnachtsfest mit Überraschungen

© Constanze Mendig, Birgit Cebe, Christian Maier, Renate Dahms


Es war grau und wolkenverhangen an diesem zwanzigsten Dezembermorgen. Der verwitwete und alleinerziehende Schriftsteller Alexander Haferkamp und seine zwölfjährige Tochter Charlotte waren dabei, das Gepäck im Auto zu verstauen. Gleich sollte die Fahrt in die Winterferien losgehen. Alexander wollte dieses Jahr zu Weihnachten diesem Einheitsgrau der Großstadt entfliehen, und hatte deshalb einen zweiwöchigen Urlaub in Österreich gebucht. Er wollte gerade die Haustür abschließen, als Charlotte einfiel, dass sie ihre Lieblings-CD in ihrem Zimmer vergessen hatte. Schnell lief sie die Treppe noch einmal herauf. "Charly, komm beeil dich bitte, wir müssen los", rief ihr Vater hinter ihr her. Nachdem nun auch die CD im Rucksack verstaut war ging die Reise los. Während Charly in einer Jugendzeitung für Mädchen blätterte, hing Alexander seinen Gedanken nach. Wie schön wäre es doch, wenn Marie bei uns sein könnte, dachte er.
Alexander und seine Frau Marie hatten letztes Jahr im Sommer einen schweren Autounfall, bei dem Marie ums Leben kam. An einer Kreuzung hatte ein von rechts kommendes Fahrzeug die Vorfahrt missachtet. Für seine Frau kam jede ärztliche Hilfe zu spät. Er selbst hatte an den Beinen schwere Verletzungen davongetragen, da er in seinem Fahrzeug eingeklemmt worden war. Seit dem Unfall zog er sein rechtes Bein ein wenig nach. Charly war damals nicht mit im Auto, sie war bei einer Freundin als der Unfall geschah. Na ja, vielleicht komme ich ja in Österreich auf andere Gedanken, dachte Alexander so bei sich. Charly war ihm zwar geblieben, doch sie vermochte nicht so ganz den Schmerz um den Verlust seiner geliebten Frau zu schmälern. Marie war seine Jugendliebe gewesen, und seit ihrem Tod war ihm noch kein Gedanke an eine andere Frau gekommen. Doch innerlich, so musste er sich eingestehen, sehnte er sich wieder nach der Liebe einer Frau.
Nach einigen Stunden Fahrt kamen sie in ihrem Urlaubsort in Österreich an. Hier war alles tief verschneit. Wie schön es doch hier in den Bergen war. Der Schnee glitzerte in der Sonne und blendete fast ihre Augen. Die kleine Ortschaft mit ihren schneebedeckten Bergen im Hintergrund bot ein atemberaubendes Panorama. Zunächst fuhren Alexander und Charly zum örtlichen Reisebüro, wo sie sich melden sollten. Eine Angestellte würde sie zu ihrem Ferienhaus bringen und ihnen die Schlüssel übergeben. Beide betraten das Reisebüro. Eine junge Frau war am Telefonieren und stand mit dem Rücken zu ihnen. Lange, blonde Haare fielen ihr weit über den Rücken. Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte drehte sie sich um. "Ja bitte? Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte sie lächelnd. Alexander, völlig verzückt von ihrem wunderschönen Antlitz, begann zu stottern: "Ja also ... ähm, Haferkamp mein Name. Ich habe für zwei Wochen ein Ferienhaus gemietet und sollte mich nach Ankunft hier melden", brachte er mühsam hervor. Noch immer verlor sich sein Blick in ihren großen grünen Augen. "Ach ja, Herr Haferkamp. Mein Name ist Vanessa Schröder, ich bin Ihre Ansprechpartnerin während Ihres Aufenthaltes. Wann immer Sie ein Problem haben, ich bin für Sie da", erwiderte sie abermals lächelnd. "Ihre Unterlagen sind fertig, wir können sofort zu Ihrem Ferienhaus fahren. Nur einen Augenblick noch bitte", setzte Vanessa hinzu. Sie ging rasch nach hinten, und war keine zwei Minuten später auch schon wieder zurück. "So, wir können dann. Ich habe nur meiner Kollegin Bescheid gesagt, dass ich kurz fort bin und sie sich um die Kunden kümmern muss. Sie folgen mir dann am Besten mit Ihrem Wagen." Nach einer kurzen Fahrt waren sie am Ferienhaus angekommen. Vanessa schloss auf und führte die Beiden im Haus herum. Alexander achtete dabei allerdings mehr auf Vanessa als auf die Räume im Haus. Wie wunderschön sie doch ist, dachte er. Nachdem der Rundgang beendet war übergab Vanessa Alexander die Hausschlüssel. "Wenn Sie also noch irgendetwas benötigen, oder auch nur Fragen zu Ausflügen in die Umgebung haben, kommen Sie einfach zu mir ins Reisebüro. Ich stehe Ihnen und Ihrer Tochter mit Rat und Tat zur Seite", bot sie ihm an. "Danke. Wir werden sicherlich darauf zurückkommen", erwiderte Alexander. Mit Wünschen für einen angenehmen Aufenthalt verabschiedete sich Vanessa und bestieg ihr Auto. Mit wehmütigem Blick schaute Alexander ihr nach.
Alexander und Charly luden zunächst ihr Gepäck aus dem Wagen und drehten im Haus die Heizungen auf. Da es bereits später Nachmittag war und sie noch keine Lebensmittel vorrätig hatten, beschlossen sie noch einmal in die kleine Ortschaft zu fahren und etwas einzukaufen. Bei dieser Gelegenheit wollten sie auch in ein Lokal einkehren und ein Abendessen zu sich nehmen.
Am nächsten Nachmittag saß Alexander trübsinnig vor seinem Manuskript, welches er hier in Österreich beenden wollte. Doch so recht konnte er sich nicht konzentrieren, seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Er hatte ständig das Bild der schönen Vanessa vor Augen. Ach was soll's, dachte er. Ich kriege jetzt sowieso nichts Anständiges zu Papier, dann kann ich mir auch die Stadt ansehen. Charly war nicht da. Sie hatte inzwischen Kontakt zu einem Nachbarmädchen geschlossen, und war mit ihrer neuen Freundin zum Schlittschuhlaufen gegangen. Kurzentschlossen griff Alexander seinen Mantel und verließ das Haus.
Auf dem Weg in die Stadt fiel ihm ein, dass er noch ein Weihnachtsgeschenk für Charly brauchte. Na das trifft sich doch gut. Ich werde bestimmt etwas finden, dachte er. Ziellos bummelte er durch die Straßen. Vor der Auslage eines Geschäftes blieb er stehen und betrachtete die dort zur Schau gestellten antiquierten Bücher. Noch während er dort stand und überlegte, ob er den Laden betreten solle, wurde er von hinten angesprochen. "Hallo. Na, auch auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken?" Erschrocken und etwas überrascht drehte Alexander sich um. Er schaute in große, grüne Augen. Vor ihm stand die schöne Vanessa.
"Ja, Sie haben Recht. Ich brauche noch ein Geschenk für meine Tochter'', erwiderte Alexander. "Da kann ich Ihnen ein gutes Geschäft empfehlen'', antwortete Vanessa. "Wenn Sie mögen, begleite ich Sie dorthin.'' "Gerne'', meinte Alexander. Beide stapften durch den glitzernden Schnee. Als sie ihre Einkäufe erledigt hatten, fragte Alexander: "Darf ich Sie zum Essen einladen? Sozusagen als Dankeschön.'' Vanessa nahm dankend an. Sie gingen in ein Restaurant und bestellten sich etwas von der Karte. Beide unterhielten sich über alles Mögliche.
Vanessa fand Gefallen an Alexander. In seiner Gegenwart fühlte sie sich einfach wohl. Sicherlich war er verheiratet. Komisch, dass er alleine mit seiner Tochter hier den Urlaub verbrachte. Auch Alexander schwirrte der Kopf. Wie hübsch sie war, besonders angetan war er von ihren großen grünen Augen. Ob Vanessa einen Freund hatte? Bestimmt. Was war nur los mit ihm?
Das Essen kam und sie ließen es sich schmecken. Wie die Zeit verging. Beide machten sich anschließend auf dem Heimweg. Als Alexander sich von Vanessa verabschiedete fragte er sie: "Darf ich Sie wieder sehen?''
"Sie wissen ja, wo Sie mich finden'', entgegnete Vanessa.
Alexander war glücklich.
Charly wartete schon auf ihren Vater. "Nanu, du siehst ja so richtig Happy aus'', meinte sie. Alexander wurde etwas verlegen. Er brachte seine Einkäufe erst mal nach oben. Als er wieder nach unten kam, erzählte er Charly was er heute erlebt hatte. Die Beiden hatten keine Geheimnisse voreinander. Charly staunte nicht schlecht. "Ich glaube Daddy, du bist verliebt'', grinste sie. Alexander wollte es sich nicht eingestehen. "Charly, was hältst du davon wenn wir einen Spaziergang machen, und anschließend zu Abend essen?'' Charly grinste. "Lenk nicht vom Thema ab. Aber in Ordnung, wir machen es so.'' Beide gingen nach oben um sich umzuziehen. Eine halbe Stunde später verließen sie das Haus. Viele kleine Schneeflocken fielen vom Himmel.
Als sie so dahinschlenderten fing Charly plötzlich wieder an: "Papa, du liebst Vanessa, nicht wahr?"
"Das ist nicht so einfach, Liebling." Das fand Charly allerdings gar nicht. Deshalb beschloss sie, ihrem Vater zu helfen.
Die Beiden gingen eine Weile so dahin, als sie plötzlich, wie von Zauberhandgeführt, wieder vor dem Reisebüro standen. Die nahe Turmuhr schlug sechs. Während Alexander noch überlegte, ob dies Zufall sein konnte, oder ob sein Unterbewusstsein ihn wie magisch an diesen Ort zog, kam Vanessa auch schon aus dem Reisebüro. Da ihr Vater offensichtlich zu überrascht von dieser Situation war, übernahm Charly es Vanessa anzusprechen."Guten Abend Vanessa. Haben Sie schon etwas vor?" Alexander wäre am Liebsten im Erdboden versunken. Zu seinem größten Erstaunen antwortete Vanessa mit nein. Das hatte er nicht erwartet. Das Gespräch lief, wie es schien, auch weiter an ihm vorbei. "Begleiten Sie uns doch ein Stückchen?", fragte Charly. Vanessa nahm diese Einladung dankend an. So kam es, dass Charly und Alexander in Vanessa an diesem Abend eine persönliche Reiseführerin hatten.
Vanessa genoss diesen Abend. Alexander und Charly waren wirklich zwei wunderbare Menschen. Sie erzählte ihnen einiges über ihr Heimatstädtchen und Alexander, der in ihrer Gegenwart mehr und mehr aufblühte, berichtete ihr von Charly und sich. Nur über eines sprach er nicht: über seine Frau. Als sie sich an diesem Abend trennten, war für alle klar, dass man sich wiedersehen werde.
Wieder allein hatte Charly auch schon einige Fragen: "Papa, wieso hast du Vanessa nicht erzählt, dass Mama bei einem Autounfall ums Leben kam?" Alexander musste schmunzeln. Kinder konnten manchmal so herrlich direkt sein. "Engelchen, es gibt einfach Dinge, die man einem fremden Menschen nicht gleich erzählt." Das verstand Charly nicht. Erwachsene konnten manchmal recht komisch sein. Charly beschloss, ihren Vater an diesem Abend in Ruhe zu lassen und ins Bett zu gehen.
Vanessa hingegen ging nachdenklich durch die Straßen zu ihrer Wohnung. Ihre Gedanken kreisten um Alexander und seine Tochter. War das richtig, was sie hier tat? Hätte sie nicht doch besser die Einladung abgelehnt? Was passiert nur, wenn Ralf davon erfährt. Aber was soll das Grübeln, ich bin nicht mehr mit ihm zusammen, dachte sie und ging entschlossen in das Haus.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch und erschrak. Wer war da in ihrer Wohnung? Kurz überlegte sie noch, ob sie weiter gehen sollte, da stand auch schon Ralf vor ihr. Er war wütend und seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. "Wo warst du den ganzen Abend?", brüllte er Vanessa an. "Seit Stunden warte ich hier auf dich." Vanessa zog ihren Mantel aus und überlegte, wie sie nun weiter vorgehen sollte. Konnte sie ihn aus der Wohnung werfen? "Das geht dich nichts mehr an", erwiderte sie. "Du weißt, dass wir Schluss gemacht haben und ich nichts mehr mit dir zu tun haben will. Deine ewigen Wutausbrüche und grundlosen Eifersuchtsszenen halte ich nicht mehr aus." Erstaunt über ihren eigenen Mut ließ sie sich in einen Sessel fallen. Ralf war zuerst sehr erstaunt über die Reaktion von Vanessa, hatte sich aber schnell wieder gefangen und stürmte auf sie zu. Er fasste sie an den Haaren und zerrte sie hoch. Die Tränen traten ihr vor Schmerz in die Augen, während Ralf tobte: "So lasse ich mit mir nicht umspringen! Du bist meine Freundin und dich kriegt kein anderer. Sofort sagst du mir, wo und mit wem du heute Abend unterwegs warst und lüge mich nicht an, ich bekomme es doch heraus."
Vanessa hatte die ewigen Diskussionen und Handgreiflichkeiten von Ralf schon länger nicht mehr ertragen und gehofft, dass das alles nun ein Ende hätte. Sie hatte sich vor 2 Wochen von ihm getrennt und glaubte, er hätte begriffen, dass es mit ihnen so nicht mehr weiter gehen könnte. Bis heute hatte er sich ja auch nicht mehr gemeldet. Aber nun stand er wieder vor ihr. Aus seinem Mund strömte ein widerlicher Alkoholgeruch und seine Augen funkelten schon recht bösartig. "Ralf, nun sieh es doch ein! Es geht wirklich nicht mehr mit uns Zweien. Es ist doch besser, wir gehen getrennte Wege", versuchte sie ruhig auf ihn einzureden.
Blitzschnell durchzuckten sie die Gedanken an den vergangenen Abend und die harmonische Atmosphäre mit Alexander und seiner Tochter. Warum konnte das nicht immer so sein? Warum musste sie jetzt hier diesem widerlichen, eifersüchtigen Mann gegenüberstehen? Aber es blieb ihr nicht viel Zeit an den Abend zu denken, schon spürte sie wieder den Ruck an ihren Haaren und im selben Augenblick spürte sie einen furchtbaren Schmerz. Fast besinnungslos stürzte sie zu Boden.
Erschrocken schaute Ralf auf Vanessa, die reglos am Boden lag. Er hatte sie so sehr geschubst, dass sie mit dem Kopf auf die Tischkante knallte. Blut lief aus einer Wunde. Oh mein Gott, sie ist tot. Was habe ich nur getan? Ich muss hier weg, dachte Ralf und verließ fluchtartig Vanessas Wohnung.
Am nächsten Morgen erhoffte sich Alexander von einer Wanderung neue Inspirationen für sein Manuskript. Er wollte Vanessa um eine Liste einiger Wanderwege bitten. Vielleicht konnte er sie ja auch dazu bewegen, ihn auf seiner Wanderung zu begleiten. Da Charly mit ihrer Freundin verabredet war ging er alleine zum Reisebüro. "Ist Vanessa nicht da?", wollte er von Vanessas Kollegin Tanja wissen, die ihn nach seinen Wünschen fragte. "Nein, sie ist heute Morgen nicht zur Arbeit gekommen. Sie hat auch gegen ihre Gewohnheit nicht angerufen. Ich habe schon versucht sie zu erreichen, aber sie geht nicht ans Telefon. Wenn Sie mich fragen, das kommt mir alles sehr seltsam vor. Irgendetwas scheint da nicht in Ordnung zu sein. Ich glaube, ich sollte mal nachschauen. Vanessa hat mir vor einiger Zeit mal ihren Wohnungsschlüssel für Notfälle gegeben. Ich bin mir sicher, das hier ist ein Notfall." "Darf ich Sie begleiten?", fragte Alexander hastig. "Wissen Sie, mir liegt sehr viel an Vanessa", sprach er weiter. "In Ordnung, wir nehmen meinen Wagen", antwortete Tanja. Sie hängte rasch ein Bin gleich zurück - Schild an die Tür und schloss das Reisebüro ab.
Im Auto sagte Tanja zu ihm: "Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, lassen Sie Vanessa in Ruhe. Sie hatte bisher kein sehr schönes Leben. Ihre Kindheit war schrecklich und grausam, und mit ihrem Ex-Freund hatte sie auch nur Ärger. Nun kommen noch Sie als verheirateter Mann daher und verdrehen ihr den Kopf." "Wer sagt denn, dass ich verheiratet bin? Nein, ich bin Witwer. Meine Frau kam vor über einem Jahr bei einem Autounfall ums Leben", antwortete Alexander. "Oh Verzeihung, das habe ich nicht gewusst", erwiderte Tanja. "Ist ja nicht schlimm. Was hat denn Vanessa so schlimmes in ihrer Kindheit erlebt?", wollte Alexander wissen. Die natürliche Neugier des Schriftstellers war geweckt. "Das darf und werde ich Ihnen nicht sagen. Wenn Vanessa bereit dazu ist, wird sie es Ihnen schon selber erzählen. So, wir sind da", antwortete Tanja.
Tanja schloss die Tür von Vanessas Wohnung auf und rief laut: "Vanessa. Vanessa, bist du da?" Sie bekam keine Antwort. Als Tanja ins Wohnzimmer kam und Vanessa auf dem Boden liegen sah, stieß sie einen markerschütternden Schrei aus. Alexander stürzte sofort zu Vanessa und überprüfte Puls und Atmung. "Ist sie... ist sie tot?", fragte Tanja ängstlich. "Nein, sie lebt. Aber sie muss in ein Krankenhaus. Schnell, rufen Sie sofort den Rettungswagen!" Tanja lief zum Telefon und wählte den Notruf. Keine fünf Minuten später traf der Notarzt ein. Vanessa wurde auf eine Trage gelegt und in den Rettungswagen geschoben. "Wir fahren hinterher", sagte Tanja zu Alexander.
Im Krankenhaus wurde Vanessa gründlich untersucht. Unruhig lief Alexander im Wartezimmer auf und ab. Ihm wurde immer deutlicher bewusst, dass Charly Recht hatte. Er hatte sich in Vanessa verliebt, und die Angst um sie brachte ihn fast um den Verstand. Endlich kam der Arzt. "Herr Doktor, was ist mit Vanessa?", bestürmte Alexander den Arzt. "Nun, sie hat noch einmal Glück gehabt. Es ist nur eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung. Sie muss mit Wucht auf etwas gefallen sein, daher die lange Bewusstlosigkeit. Sie ist gerade wieder zu sich gekommen", gab der Arzt Auskunft. "Bitte, dürfen wir zu ihr?", fragte Alexander. "Ja, aber bitte nur ein paar Minuten. Wir werden Frau Schröder über Nacht zur Beobachtung hier behalten. Wenn keine Komplikationen auftreten, kann sie morgen Mittag wieder nach Hause", antwortete der Doktor.
Alexander und Tanja betraten das Zimmer in dem Vanessa lag. Sie hatte einen Verband um den Kopf und schaute die Beiden an. "Vanessa, was machst du nur für Sachen? Du hast uns zu Tode erschreckt", sagte Tanja zu ihr. "War er das?", fragte Tanja leise. Vanessa nickte, sie war noch nicht fähig zu sprechen, zu tief saß noch der Schock. Verständnislos sah Alexander die Frauen an. "Könnte mich bitte mal jemand aufklären! Wer ist er?", fragte Alexander. "Ralf", flüsterte Vanessa. "Wer ist Ralf?", wollte er wissen. "Vanessas Ex-Freund", antwortete Tanja. "Ich muss leider wieder los. Kommen Sie mit oder bleiben Sie noch?", fragte Tanja Alexander. "Darf ich noch ein paar Minuten bleiben?", wollte er von Vanessa wissen. Sie war froh, dass er da war und nickte mit dem Kopf. "Fahren Sie ruhig, ich gehe später zu Fuß heim", sagte Alexander zu Tanja. "Na dann macht es gut ihr Beiden", erwiderte Tanja augenzwinkernd und verließ das Zimmer.
"Vanessa", begann Alexander und nahm ihre Hand, "ich muss dir etwas gestehen: Ich habe mich in dich verliebt. Charly hat das gleich erkannt, doch ich wollte es mir nicht eingestehen. Doch es ist so, ich empfinde mehr als nur Freundschaft für dich. Ich bin Witwer, und du bist die erste Frau in die ich mich seit dem Tod meiner Frau verliebt habe." Vanessa drückte leicht Alexanders Hand. "Mir geht es ähnlich, Alexander. Auch ich habe mich in dich verliebt", sagte sie. "Hör mal, du musst dich doch bestimmt noch schonen. Was hältst du davon, die Weihnachtsfeiertage mit mir und Charly in unserem Ferienhaus zu verbringen? Ich zaubere für uns einen Festtagsbraten und du ruhst dich artig auf der Couch aus und schonst deinen Kopf." "Ach Alexander, das wäre mein schönstes Weihnachtsgeschenk", erwiderte Vanessa. "Also abgemacht, morgen Mittag hole ich dich hier ab, vorher besorgen Charly und ich noch einen Weihnachtsbaum", schlug Alexander vor. "Nach den Feiertagen kümmern wir uns dann um diesen Ralf, wir werden ihn anzeigen", sprach er weiter. "Danke", sagte Vanessa nur und sah ihn glücklich lächelnd an.
Alexander verabschiedete sich von Vanessa und machte sich auf den Heimweg. Zuhause wartete er auf Charly. Als sie kam, sah sie schon das merkwürdige Gesicht ihres Vaters. "Nanu, wie siehst du denn aus? Ist irgendetwas passiert?'' "Das kann man wohl sagen,'' entgegnete Alexander. Er berichtete Charly alles was vorgefallen war. "Ach du meine Güte, das ist ja furchtbar,'' meinte sie. "Charly, lass uns zu Mittag essen und anschließend den Weihnachtsbaum besorgen.''
Sie machten sich auf den Weg. Es fing leicht an zu schneien. Als sie gegessen hatten, fiel Alexander ein, dass er noch ein Geschenk für Vanessa besorgen musste. Dort drüben, in dem kleinen Geschenkladen, wollte er nachsehen. Charly und Alexander schauten sich eine ganze Zeit um. Plötzlich blieben beide vor dem gleichen Stand stehen. Eine silberne Kette mit einem Medaillon. "Das wäre doch genau das Richtige,'' meinte Charly. Alexander stimmte sofort zu. Er nahm es, bezahlte und ließ es noch in Geschenkpapier einpacken.
"Am Besten besorgen wir zuerst die Lebensmittel,'' meinte er. Als auch das erledigt war, machten sie sich auf den Weg um den Weihnachtsbaum zu kaufen. Die Auswahl war riesig. "Dort drüben Papa, schau nur, ist der nicht schön?'', fragte Charly. Alexander sah sich den Baum an. "Ja mein Kind, der ist wunderschön. Den nehmen wir.''
Zuhause angekommen stellten sie den Baum erst einmal auf den Balkon. Dann verpackten sie die Lebensmittel. "Puh, bin ich geschafft,'' meinte Charly. Alexander musste lachen. Nach dem Abendessen schauten sich Beide noch einen Film an. Anschließend gingen sie zu Bett.
Am nächsten Morgen war Alexander schon sehr früh auf. Er machte zuerst das Frühstück fertig. Leise ging er in Charlys Zimmer und weckte sie. Beide ließen sich mit dem Frühstück Zeit. Charly ging anschließend unter die Dusche und zog sich an.
"Wir können jetzt den Baum schmücken'', meinte ihr Vater. Sie hatten Kugeln, Sterne und Figuren, alles aus Gold. Den Baumschmuck hatte Alexander von daheim mitgebracht. Zuerst aber musste die Lichterkette angebracht werden. So nach und nach nahm der Baum Gestalt an. Wie schön er aussah.
"Charly, ich fahre jetzt los und hole Vanessa aus dem Krankenhaus.'' "Ist gut, Paps. Ich werde schon mal das Essen vorbereiten,'' entgegnete sie. Alexander setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Er hatte noch einen kleinen Blumenstrauß besorgt. Endlich angekommen, lief er die Treppen hoch. Zaghaft klopfte Alexander an die Zimmertür und machte sie auf. Vanessa hatte schon auf ihn gewartet. Sie war so glücklich. Ohne Worte fielen sie sich in die Arme.
Als sie sich nach einer endlosen Zeit voneinander gelöst hatten, nahm Vanessa ihre Sachen und gemeinsam verließen sie das Krankenhaus. Alexander öffnete die Autotür und Vanessa stieg ein. Dann setzte er sich ans Steuer. Doch vorher übergab er ihr noch die Blumen. ,,Oh, vielen Dank. Sie sind wunderschön,'' meinte Vanessa. Alexander wurde schon wieder etwas verlegen. "Zu einer schönen Frau gehören auch schöne Blumen'', meinte er lächelnd. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss und gab langsam Gas. Die Nacht zuvor hatte es angefangen zu frieren.
Die Straßen waren spiegelglatt. Sie unterhielten sich über das, was Ralf ihr angetan hatte. Vanessa wusste zwar, dass er gewalttätig war, aber dies war bisher noch nie passiert. Alexander konnte solche Männer nicht verstehen. Er hatte nie begriffen, wieso man seine Frau schlägt. Als sie nun so in ein Gespräch über dieses Ereignis vertieft waren, kam von links ein LKW. Als Vanessa "Vorsicht Alex" schrie, war es schon fast zu spät. Alexander versuchte auszuweichen und knallte bei diesem Manöver frontal gegen einen Baum.
Charly, die sich sehr auf das gemeinsame Essen freute, wartete zwischen-zeitlich vor dem gedeckten Tisch auf Vanessa und ihren Vater. Minute um Minute verstrich. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie rief im Krankenhaus an, und ließ sich mit dem zuständigen Stationsarzt verbinden. "Herr Doktor, können Sie mir sagen, ob Frau Schröder bereits entlassen worden ist?" Der Arzt, den diese Frage offensichtlich verwirrte, sagte: "Frau Schröder ist vor über einer Stunde von einem Mann abgeholt worden." Charly bedankte sich und wählte sofort 133, den österreichischen Polizeinotruf. "Bitte helfen Sie mir. Mein Vater ist auf dem Weg vom Krankenhaus zu unserer Hütte. Aber er ist schon so lange fort, und bisher noch nicht hier angekommen. Ich mache mir Sorgen, ob ihm bei dem Glatteis vielleicht etwas geschehen ist." Der Polizist versprach, sofort etwas zu unternehmen.
An der Unfallstelle währenddessen begann man sich allmählich zu fangen. "Vanessa, bist du in Ordnung?", fragte Alexander. Als Vanessa bejahte stieg er aus und besah sich erst mal den Schaden. "Damit kommen wir heute nicht mehr weit", entschied Alexander. "Es ist ein Wunder, dass uns nicht mehr passiert ist." Mit dieser Einschätzung lag er goldrichtig. Der Motorblock befand sich gut einen halben Meter im Fußstauraum. Liebende haben wohl einen besonderen Schutzengel. Aber was war jetzt zu tun? Die Hütte lag noch gut 5 Kilometer entfernt. Bei dieser Kälte nicht gerade ideal. Eine Frau und ein Mann werden auch nicht unbedingt gern als Anhalter mitgenommen. Es blieb ihnen also nichts anderes übrig, als im warmen Auto abzuwarten was passieren würde.
Als die Polizei eintraf hatten es sich Vanessa und Alexander gerade gemütlich gemacht. "Herr Haferkamp, Ihre Tochter hat uns angerufen, weil sie sich Sorgen machte."
Als die Beiden dann endlich bei Charly eintrafen, wollte diese genau wissen, was vorgefallen war. Aber nicht nur Charly war neugierig, auch Alexander brannte darauf, was Tanja meinte, als sie sagte, dass Vanessa bisher ein trauriges Leben hatte.
Der Satz von Tanja ging Alexander nicht mehr aus dem Sinn. Nach dem sich die erste Aufregung gelegt hatte, und alle froh und glücklich zusammen saßen, konnte sich Alexander nicht mehr beherrschen und erzählte Vanessa von der Unterhaltung mit Tanja. Er erwähnte auch die Äußerung über das traurige Leben, das Vanessa bisher geführt hätte. Charly, in ihrer unbekümmerten Art, fragte nun auch nach und wollte unbedingt etwas aus dem Leben von Vanessa hören. Schließlich wusste sie, dass ihr Vater Vanessa sehr verehrte und vielleicht sogar liebte. Sie dachte sich, dass man doch über seine zukünftige Stiefmutter alles wissen müsste.
Vanessa lächelte nur und sagte, dass alles nicht so schlimm gewesen sei wie Tanja behauptet hatte. Aber Charly ließ nicht locker und auch Alexander bat sie, ihm doch zu erzählen, was ihr früher so alles passiert sei. Nach langem Zögern begann diese nun aus ihrem Leben zu berichten. Zuerst kamen die Worte noch stockend, doch dann sprudelte es nur so aus ihr heraus: Da waren die Eltern, die beide arbeiten mussten und sich nur selten um das kleine Kind kümmerten. Schon früh hatte sie einen Schlüssel bekommen und musste alleine zu Hause bleiben. Ob sie sich nun bei einem Sturz die Knie aufgeschlagen hatte, oder Ärger in der Schule gewesen war, immer saß sie alleine zu Hause und konnte niemandem ihre Not klagen. Da war es nur natürlich, dass sie sich sehr schnell in den jungen Ralf verliebte, der ihr Liebe und Zuneigung gab. Er versprach ihr, immer für sie da zu sein und ihr die Sterne vom Himmel zu holen. Aber scheinbar waren die Sterne doch sehr weit entfernt. Es dauerte nur kurze Zeit, bis er mürrisch und launisch wurde. Ab und zu hob er sogar die Hand gegen sie. Zuerst war ihr die Veränderung nicht so sehr aufgefallen. Für sie war es wichtig, dass jemand für sie da war. Aber mit der Zeit entwickelte sich dann doch sogar eine Art Angst in ihr. Sie bemerkte, dass sie sich vor Ralf fürchtete. Oft lief sie nun zu Tanja und berichtete von den Streitereien und wüsten Beschimpfungen. Mehrmals hatte Tanja ihr geraten, sich von Ralf zu trennen. Doch dazu fehlte ihr die Kraft und sie hatte auch Angst dann wieder alleine zu sein.
Nach einem besonders hässlichen Streit, bei dem Ralf fast gewalttätig geworden war, flüchtete sie zu Tanja. Zuvor hatte sie versucht Ralf aus der Wohnung zu werfen und ihm gesagt, dass nun endgültig Schluss mit der Beziehung sei. Ein paar Tage hatte es gedauert, bis Ralf die Wohnung verlassen hatte und sie hoffte nun, dass endgültig wieder Ruhe in ihr Leben einkehren würde. Ein paar Mal hatte sich Ralf noch gemeldet und die wüstesten Beschimpfungen ausgestoßen, da er einfach nicht glauben wollte, dass man ihn verlassen würde. Danach hatte sie nichts mehr von ihm gehört, bis zu dem Abend, als Ralf sie in ihrer Wohnung überfallen hatte. Ihm war wohl zugetragen worden, dass sie sich mit einem anderen Mann getroffen hatte. Leise, kaum hörbar, waren die letzten Worte aus ihrem Mund gekommen.
Alexander und seine Tochter hatten dem Bericht aufmerksam gelauscht. Still und heimlich hatte Alexander Vanessas Hand in die seine genommen um ihr zu zeigen, dass er nun bei ihr war. Es dauerte ein paar Sekunden, bis alle das Gehörte verarbeitet hatten. Alexander war der Erste, der das Wort ergriff. Er sprang auf und lief im Zimmer hin und her. Dann stellte er sich vor Vanessa und sagte zu ihr: "Ich will es nicht zulassen, dass du auch nur noch eine Nacht in deine Wohnung zurück gehst. Ich schlage vor, wir holen gleich deine Sachen und für die restlichen Tage unseres Aufenthaltes hier, wohnst du bei uns. Und vielleicht kann ich dich ja in der Zeit überreden, mit zu uns nach Hause zu kommen. Ich habe schon in der kurzen Zeit unserer Bekanntschaft gemerkt, dass ich dich liebe, und dass ich nicht mehr ohne dich leben möchte." Er holte tief Luft als müsse er über das nachdenken, was da so aus ihm heraus gebrochen war. Als er Vanessas zweifelnden Blick auffing, fuhr er fort: "Wir wohnen zwar nicht so schön in den Bergen aber eine Großstadt hat bestimmt auch ihre Reize, und Charly wird dir bestimmt mit Freuden unsere Umgebung zeigen. Na, wie ist es ja oder ja? Du hast fünf Minuten zum Überlegen." Auf seinem Gesicht zeigte sich ein kleines Lächeln aber auch ein etwas gespannter Ausdruck. Wie würde sich Vanessa wohl entscheiden? Er hatte zwar vorher nicht mit seiner Tochter gesprochen, aber in den letzten Tagen schon bemerkt, dass die Beiden sehr gut miteinander zu Recht kamen.
Auch Charly schaute gespannt auf Vanessa. Sie konnte die Stille, die im Raum herrschte, kaum noch aushalten. Stürmisch sprang sie auf Vanessa zu und rief: "Sag ja Vanessa, sag ja!", dann rannte sie zu ihrem Vater, fiel ihm um den Hals und jubelte: "Das wird ein schönes Weihnachtsfest."
Plötzlich blieb sie stehen, schaute ihren Vater und dann Vanessa an und in ihren Augen blitzten kurz Tränen auf. "Vati sag, das wird doch die Mutti nicht stören, oder? Die Mutti wäre doch sicher auch froh, wenn wir wieder glücklich wären, oder?"
Alexander war für einen Augenblick überrascht. Er wunderte sich selber, dass er schon seit einiger Zeit nicht mehr an seine Frau gedacht hatte. Aber es war, als ob ihm eine innere Stimme etwas zuflüstern wollte. Er versuchte sich zu konzentrieren. War da nicht jemand, der ihm sagte: "Geh nur, ich weiß, dass ich in deinem Herzen bin, aber du sollst nicht so lange alleine bleiben. Auch für Charly ist es gut, wenn wieder eine Frau in ihrer Nähe ist, zu der sie Vertrauen haben kann."
Erleichtert atmete Alexander auf, er fühlte sich jetzt sicher, er hatte keinen Fehler gemacht als er Vanessa bat, mit ihm zu kommen. Jetzt kam es nur darauf an, wie Vanessa reagierte. Es schien, als ob Vanessa von Alexanders Gewissenskampf etwas gespürt hätte. Sie hob den Kopf, lächelte ihn an und nickte nur ganz leicht mit dem Kopf. "Soll das ja heißen?", rief Alexander und stürzte auf sie zu. Er riss sie in seine Arme und küsste sie, wobei er seine Tochter ganz vergessen hatte. Erst als Charly auf die Beiden zuging und ihren Vater und Vanessa gleichzeitig umarmte, schien es, als käme er aus einer anderen Welt zurück. Nun nahm er seine beiden Frauen in die Arme und rief: "Kommt, lasst uns anstoßen auf ein wunderbares Weihnachtsfest und eine gute und glückliche Zukunft!" Schnell hatten sie ein gefülltes Glas in der Hand, prosteten sich zu und riefen: "Fröhliche Weihnachten!"



Eingereicht am 22. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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