Eierpunschparty
© Kendra M. Parker
Zimtplätzchen hatte sie noch nie gemocht. Aber das hatte ihre Mutter noch nie davon abgehalten welche zu backen.
Schon von dem Geruch bekam Wiebke Übelkeit. Lächelnd gab sie ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern Küsschen auf die Wange, ganz so wie es sich gehörte. Ganz so, wie sie es seit Jahren taten.
Gerade als sie die grässliche Frisur ihrer Mutter loben wollte, um mit dem weihnachtlichen Theater der Familie Schmitz zu beginnen, hörte sie ein Husten.
Ruckartig drehte sie sich um und sah in die grünen, stechenden Augen ihrer Tante Mara, die sich mit ihren dürren Fingern an einen Becher Eierpunsch klammerte. Mit ihren krummen Beinen trat sie einen Schritt vor, und es sah wirklich so aus, als ob lediglich der Becher ihr Halt geben würde. In Gedanken nahm Wiebke ihr den Becher aus der Hand und begann lauthals zu prusten, als ihre Tante nach vorne fiel, die Arme schlangenartig in alle Richtungen nach Halt suchend ausstreckte, bis sie mit einem ziemlich bedröppelten
Gesichtsausdruck auf ihrem Allerwertesten landete. Doch Tante Mara hatte den Eierpunschbecher und so war Wiebkes Prusten in die Kategorie unpassend abgerutscht.
"Hat de sie nich mehr alle?"
"Freut mich auch dich zu sehen, Tante Mara", sagte Wiebke mit einem breitem Grinsen.
"Hab dir imma gesacht du sollst nich so´n Blödsinn erzähln." Mit diesen Worten drehte sich Tante Mara um und schwankte ins Wohnzimmer.
Wiebke setzte sich an den Küchentisch, wo ihre Schwestern und ihre Mutter Gemüse für das Mittagessen klein schnitten.
"Ich wusste nicht, dass sie hier sein würde."
"Sie ist einfach ohne anzurufen hier hergekommen. Kannst du das fassen?", fragte ihre Mutter und verzog verächtlich die Mundwinkel.
"Sie hätte wenigstens vorher anrufen können", sagte Miriam mit ihrer piepsigen Stimme, die ihr so viel Glaubwürdigkeit verlieh, wie ein Politiker in einem rosa Kleid erhalten würde.
"Sie iissste sso anstrengend", meinte Gisela, oder Giselle, wie sie sich nannte, seitdem sie nur noch mit spanischem Akzent sprach. Dazu eine dramatische Bewegung mit der Hand, wodurch sie fast von ihrem Stuhl fiel.
Ein "Ohhh! Madre mia!" folgte, um das ganze zu unterstreichen.
Wiebke schüttelte amüsiert den Kopf. "Wie geht's denn Bernhard? Kommt er heute Abend?"
"Bernardo", sagte Gisela betont und warf Wiebke einen "Wann--merkst-du-dir-endlich-dass-ich-völlig-durchgeknallt-bin-und-nur-spanische-Namen-ausspreche-Blick zu
"iissst bei seiner Familia und kommte gegen Abend!"
"Und Fred? Oder soll ich Fredo sagen?", fragte Wiebke und blickte grinsend zu Miriam. Diese ließ das Gemüse fallen, schnaubte und brach dann in Tränen aus.
"Er hatte Schluuss gemacht, dieser Idiota", sagte Gisela und legte tröstend einen Arm und ihre nach Fassung ringende Schwester.
"Es war nicht seine Schuld", meldete sich nun ihre Mutter zu Wort. "Mit ihrer Klammerei hat sie ihn in den Wahnsinn getrieben."
Mit hochrotem Kopf funkelte Miriam ihre Mutter an. "Das ist nicht wahr", schluchzte sie. " "Wollen wir wirklich streite, an sso einen Tag. Es iiist Weihnachten. Eine so schöne Feiertag."
"Ich gucke mal, was Tante Mara so macht", sagte Wiebke, froh aus der Küche zu kommen. Noch eine Silbe aus Giselas Mund und sie hätte versucht sich selbst mit der Sellerie zu erschlagen.
Tante Mara hatte sich auf die Couch gesetzt, vor sich eine leere Flasche Eierlikör und daneben die Schüssel mit dem Punch.
Ihre Wangen waren rosig, die Augen glasig.
"Auch etwas Punsch, Kind?"
"Nein, danke. Ich finde einer sollte in dieser Familie einen klaren Kopf behalten", sagte Wiebke und setzte sich auf den Sessel. Ihr Blick fiel auf den Baum, der spärlich geschmückt war. Nur vier Kugeln und eine Lichterkette. Wiebke dachte an ihre weihnachtlich geschmückte Wohnung und bekam Heimweh.
"Wer hat den Baum geschmückt? Er ist furchtbar", sagte Tante Mara.
Wiebke lächelte. "Bestimmt Miriam, aus Protest gegen die Konsumgesellschaft."
"Die was?", fragte Tante Mara und goss sich noch einen Becher Punsch ein.
"Nicht so wichtig.", sagte Wiebke.
"Ich dachte ich werde mal eingeladen. Seit vier Jahren hat mich deine Mutter nicht mehr angerufen. Und weißt du weshalb?"
Wiebke schüttelte den Kopf. Sie redete seit fünf Jahren nur das Nötigste mit ihrer Mutter, und davon merkte sie sich gerade einmal die Hälfte. Selbst die Hälfte davon überforderte sie maßlos und bereitete ihr vier Tage lang Kopfschmerzen.
"Ich habe nur gesagt, dass sie in beige aussieht wie ein Ferkel auf einem Grillrost."
Wiebke prustete los und drehte den Kopf zu ihrer Tante, die nun einen großen Schluck Punsch nahm.
"In welchem Zusammenhang?"
"Erinnerst du dich an den Geburtstag von meiner Cousine Irmgard? Ich habe deine Mutter abgeholt und sie hatte dieses grässliche beigefarbene Kleid an.
Nun, an dem Tag selbst habe ich nichts gesagt, aber als sie eine Woche später anrief, um mir zu sagen, dass man dieses Kleid in der Reinigung ruiniert hatte, konnte ich mich nicht zurückhalten und habe ihr gesagt, dass sie der Reinigung einen Blumenstrauß bringen sollte. Dann kam der Vergleich mit dem Ferkel und schon hatte sie aufgelegt und seitdem alle meine Anrufe ignoriert."
Wiebke griff zum Tisch, nahm sich nun doch einen der leeren Becher und füllte sich etwas von dem Punsch ein.
Sie beobachtete Tante Mara aus den Augenwinkeln und fragte sich, wie alt sie ein mochte. Sie war die Tante ihrer Mutter und wurde seit Kindheitstagen nur Tante Mara genannt, obwohl sie mit richtigen Namen Martha hieß. Sie hatte schon alt ausgesehen, als Wiebke ganz klein gewesen war. Ihre Haare hatte sie immer unter einer roten Mütze versteckt, nur ab und zu stahl sich eine blond gefärbte Locke heraus und fiel auf die hohe Stirn.
Ihre Augen hatten etwas von einem Raubtier, die unruhig im Raum umher huschten, immer auf Beutesuche. Nur Tante Maras Beute waren die Schwachstellen anderer Menschen.
Bis zum Mittagsessen schwiegen sie sich an und hingen ihren eigenen Gedanken nach.
Das Mittagessen selbst verlief außergewöhnlich ruhig. Tante Mara war zu sehr damit beschäftigt das Gemüse ohne zu kleckern von der Gabel in ihren Mund zu befördern, vermutlich sah sie nach dem ganzen Punsch jede Erbse doppelt.
Miriam schniefte leise vor sich hin, stocherte in dem Essen herum und schob dann angewidert den Teller beiseite und Gisela überlegte vermutlich wie sie den Namen Wiebke spanisieren konnte. Die Mutter saß einfach da, aß lustlos und warf Tante Mara finstere Blicke zu, die diese jedoch nicht mitbekam, da sie sich zu oft bücken musste, um herunter gefallene Erbsen und Kartoffelstücke aufzuheben.
Am Nachmittag versuchte Miriam dann mit selbst gesungenen Weihnachtsliedern die Familie in eine weihnachtliche Stimmung zu bringen. Sie hatte sich ans Klavier gesetzt und sang ein Weihnachtslied nach dem anderen, leider traf sie nur alle fünf Strophen einen Ton, der sich nicht anhörte, als ob er Glas zum platzen bringen würde. Beim Klavierspielen verhielt es sich ähnlich. Man hörte, dass sie nur einen Monat lang Unterricht genommen hatte.
"Magnífico!", kreischte Gisela und klatschte in die Hände, nachdem Miriam "Oh Tannenbaum" gesungen hatte.
Tante Mara nahm ihren Becher Eierpunsch, den sie liebevoll alle halbe Stunde nachfüllte und grunzte ein paar Mal. "Ich habe noch nie etwas so ohrenschmerzendes gehört wie das.", sagte sie.
Mit hochrotem Kopf stand Miriam vom Klavier auf und stürmte heulend und schnaubend aus dem Zimmer. Gisela und ihre Mutter warfen Tante Mara einen verächtlichen Blick zu.
"Was?", fragte diese. "Habt ihr der nie erzählt, dass se einfach nich singen kann?" Wiebke konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen.
"Sie iisst sehr senssiibel sur zeit."
"Hat de sich die Zunge verbrannt oder lispelt de schon seit immer?", fraget Tante Mara .
"Ich kümmer mich um die Kekse", sagte die Mutter, stand auf und verschwand aus dem Zimmer. Gisela lief ihr hinterher, nicht ohne Tante Mara noch einmal hasserfüllt anzublicken.
"Giselle ist wohl ebenfalls ein wenig sensibel", meinte Wiebke und lächelte Tante Mara amüsiert zu.
"Bekloppte Familie."
"Ja, allerdings", sagte Wiebke, ging zum Tisch und füllte sich noch etwas von dem Pusch ein. Diesen Abend würde sie nur mit viel Alkohol ertragen.
Eine Stunde später war Miriam wieder Miriam, das hieß, sie saß schniefend auf der Couch und versuchte zu Lächeln, was sie eher aussehen ließ, als ob sie gequält wurde. Nun, angesichts der Familie ein durchaus gerechtfertigter Gesichtsausdruck.
Wiebkes Mutter saß auf dem Sessel und stopfte sich ununterbrochen Kekse in den Mund, so dass sie eine vernünftige Entschuldigung dafür hatte, warum sie kein Gespräch führen konnte und Gisela versuchte mit mehr Dekoration dem Baum ein bisschen mehr Glamour zu verleihen.
Tante Mara hatte ihren Eierpunschbecher mittlerweile vermutlich adoptiert und hoffte auf Nachwuchs und Wiebke fragte sich derweil, warum ausgerechnet bei ihrer Geburt eine betrunkene Krankenschwester Dienst gehabt und sie somit vertauscht hatte.
"Wann gibt es denn Geschenke?", fragte Gisela, nachdem sie mit dem "verschönern" des Baumes fertig war. Rote und Pinke Kugeln reihten sich nun neben gestreiften und karierten Zuckerstangen.
"Der Baum würde sich übergeben, könnte er sich im Spiegel angucken", sagte Wiebke und erntete einen vernichtenden Blick von Gisela. "Das ist abstrakte Kunst", sagte diese, wobei sie ihren Akzent vergessen hatte.
"Ich habe mal so einen Baum gesehen, von einer Künstlerin", sagte Tante Mara.
"Siehst du?", zischet Gisela.
"Ja", fuhr Tante Mara fort." Das war vor fünfzig Jahren. Sie war in einem Sanatorium und hat den Baum spionagesicher geschmückt. Die Russen waren hinter her, oder waren es die Rumänen?" Wiebke lachte lauthals und auch ihre Mutter konnte sich ein nicht Grinsen verkneifen.
Gisela machte wieder diese dramatische Handbewegung, dann stolzierte sie aus dem Raum.
"Bekloppte Familie", sagte Tante Mara wieder.
"Ja, allerdings", fügte Wiebke hinzu.
Eingereicht am 22. September 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
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