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Der Frosch, der so gerne ein Engel gewesen wäre

© Petra Kramp


Es war ein Tag vor dem Heiligen Abend.
Fabian, der kleine grasgrüne Frosch, war unendlich traurig. Soeben hatte er von seiner Mutter die Weihnachtsgeschichte erzählt bekommen. Um genau zu sein, hatte er sie immer und immer wieder erzählt bekommen, aufgrund seines beharrlichen Drängens. Und nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als ein Engel zu sein. So ein Engel, wie in der Weihnachtsgeschichte, bei der der Engel Maria die frohe Botschaft übermittelt, sie werde bald ein Kindchen zur Welt bringen, das Jesuskind. Auch er wollte so ein Engel sein und so etwas Wunderschönes, so eine außergewöhnlich gute Nachricht überbringen. Auch er wollte so ein wunderschönes Wesen des Lichts sein mit ebensolchen wunderschönen watteweißen Flügeln und mit ganz, ganz, ganz feinen Gesichtszügen.
Und wie sah er dagegen aus? - Hässlich sah er aus in seinem giftgrünen Froschkleid, mit seiner etwas narbigen, pickeligen Haut und den albernen Schwimmhäuten an seinen Vorder- und Hinterfüßchen.
Er war davon überzeugt, selbst wenn Gott ihn für eine ebensolche besondere Aufgabenerfüllung vorgesehen hätte, so hätte er sich niemals Gehör verschaffen können, niemand hätte ihn gehört, geschweige denn auf ihn gehört. Wer hörte denn schon auf ein solch hässliches Wesen? Selbst im Märchen vom Froschkönig, das er natürlich auch kannte, konnte aus dem armen, Mitleid erregenden Fröschlein nur deshalb ein Prinz werden, weil er verzaubert war und erst gegen die Wand geschmissen werden musste. Das muss man sich erst mal vorstellen! Entsetzen machte sich in Fabians Froschgesicht breit bei dem Gedanken, mit voller Wucht gegen die Wand geworfen zu werden. Und wenn dieser gerade mal nicht verzaubert gewesen wäre, dann hätte es eine ganz, ganz, ganz schlimmes und furchtbares Ende genommen. Fabian schüttelte sich. Nein, diese Bilder wollte er verscheuchen, er wollte an etwas anderes denken, an etwas Schöneres. Aber an was?
Er setzte sich auf einen seiner Lieblingssteine direkt am Ufer des heimatlichen Weihers und schaute äußerst betrübt drein.
Er muss wohl schon recht lange dort gesessen haben, schließlich war er sogar etwas eingenickt, als er plötzlich aufschreckte: Rief da nicht jemand um Hilfe? Hörte er da nicht ein ganz verzagt klingendes Stimmchen?
Er lauschte angestrengt in die Richtung, aus der das vermeintliche Rufen kam. Nun war es wieder still, also doch nur geträumt? Nein, jetzt hörte er es wieder und diesmal ganz deutlich: "Hilfe! Hilfe! Hört mich denn keiner?" Jetzt hörte er ein Wimmern. Mit einem Mal war Fabian wieder hellwach. Ohne lange zu überlegen, sprang er kopfüber ins Wasser und schwamm und tauchte mit kräftigen Stößen in Richtung des Hilferufes. Das Schwimmen und Tauchen machten ihm keine Schwierigkeiten, er war schließlich ein Frosch und beherrschte diese Künste von Natur aus. Millerweile wurde das Rufen wieder schwächer, und dann hatte er es gar nicht mehr vernehmen können, als er vor sich - sich panisch an ein Seerosenblatt klammernd - ein klitzekleines, völlig verängstigtes Haselmäuschen entdeckte. Mit einem letzten Schwimmstoß war er bei der Unglücksmaus angelangt.
"Was machst du denn hier?", fragte er auch noch törichterweise, und im letzten Moment, denn das abgestorbene, ganz verwelkte Seerosenblatt vermochte die kleine Maus kaum noch zu halten, half er ihr, sich an seinem breiten Rücken festzuklammern.
Die Haselmaus sagte zunächst einmal gar nichts und gleichsam instinktiv ließ sie sich von Fabian auf seinen Rücken ziehen und verschnaufte dort erst einmal.
"Puh, das war knapp!" Und nach einer weiteren Weile: "Dich hat der Himmel geschickt! Das war Rettung im allerletzten Moment, weißt du das? Wie ein Engel bist du plötzlich aufgetaucht und hast mir geholfen! ... Ich heiße übrigens Hazel!"
Dankbar sah sie ihren Retter an, und Fabian glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen: Hatte da gerade jemand ihn einen Engel genannt??? Beinahe wäre er vor lauter Freude untergetaucht, das machte er nämlich immer, wenn er sich banniglich freute. Wenn andere in die Luft sprangen, um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen, tauchte er dagegen am liebsten in die Tiefe.
Aber gerade noch rechtzeitig besann er sich, schließlich hatte er eine kostbare Fracht auf seinem Rücken.
Und als Hazel ihm etwas später ausführlich erzählen wollte, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass sie sich quasi mitten im Weiher befunden hatte, da bekam er im Grunde gar nichts von ihren Erklärungen mit. Er freute sich einfach nur, und zwar ganz, ganz doll, dass er auch einmal in seinem Leben ein Engel sein durfte.
Und - so überlegte er: Jemandem das Leben zu retten, war das nicht mindestens ebenso erstrebenswert wie jemandem eine außerordentlich frohe Botschaft zu übermitteln?
Fabian brachte Hazel zum Ufer zurück und gemeinsam mit ihren Familien verbrachten sie am nächsten Tag den Heiligen Abend. Und so saßen alle gemeinsam noch lange um das klitzekleine Lagerfeuer am Weiherufer und redeten über Fabians Rettungsaktion, bzw. seinen Einsatz als Engel.
Und wenn man genauer hinsah, dann sah man wiederum genau über ihnen einen Stern am Himmel besonders hell erstrahlen. Was die Vermutung nahe legt, dass es nicht nur einen Weihnachtsstern gab, bzw. gibt, sondern dass es überall mal wieder das Wunder gibt, das vereinzelt besonders helle Sterne am Himmel leuchten. Und dann sollte man sich die Mühe machen, mal ganz genau unterhalb des Sterns auf die Erde zu schauen. Dort findet man dann bestimmt noch andere außergewöhnliche Menschen oder Tiere, die in gewisser Weise den Geist der Weihnacht in sich tragen und die Geschichten erzählen könnten. Wahre Geschichten über die Liebe, über den Mut und über die Entschlossenheit, anderen zu helfen!



Eingereicht am 30. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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