Spuren im Schnee
© Katharina Storck
Weihnachten. Das Fest der Liebe. Zeit der Besinnlichkeit. Romantische Stunden am Kamin. Der berauschende Duft von Zimt und Orangen, ein Hauch von Nelken und Melancholie. Die Zeit der sternenbehängten Buden, umhüllt von Glühweinduft und Menschen mit geröteten Nasen, über alldem Bratwurstqualmwolken. Schön!
Auf dem Weihnachtsmarkt trifft man sich. Die Geschenkkäufe sind größtenteils erledigt, die Frage, wer bei wem und wann feiert im Groben geplant und nun kann man für ein paar Stunden den Stress und den Trubel hinter sich lassen und endlich weihnachtliche Gefühle in sich aufkeimen spüren. Am späten Nachmittag wirkt die Budenstadt noch etwas verlassen, auf der Bühne mühen sich brave Kinder mit ihren Flöten ein leicht schrilles "O du Fröhliche" ab.
Doch wenn es dämmert, beginnt der Zauber. Die engen Gassen füllen sich merklich, die Kinder müssen dem Posaunenchor weichen, überall funkeln bunte Lichter. Die klare, kalte Nachtluft will mit leckrem heißem Glühwein bekämpft werden, die Nasen werden noch eine Spur röter, die Stimmung ist gut.
An einem jener Abende stürzte auch ich mich in die vorweihnachtliche Geselligkeit. Wir wurden immer mehr, ausgelassen belagerten wir den Glühweinstand, rückten alle enger zusammen. Da kam er. Eine warme Woge durchflutete mich. Wir waren uns ein paar Mal begegnet, nie lange, doch seitdem hatte er sich unmerklich immer wieder in meine Gedanken geschlichen. Wir lachten uns an. Wie von unsichtbarer Hand zog es mich zu ihm hin. Das Lachen in seinen Augen erinnerte mich an eine laue Sternschnuppennacht. Als er mir
eine Tasse Glühwein reichte, berührten sich unsere Hände, unsere Blicke trafen sich. Mit beiden Händen nahm ich die Tasse hoch, trank vorsichtig, ohne dass unsere Blicke sich voneinander lösten.
Als die Budenverkäufer ans Schließen dachten, der Markt sich merklich geleert hatte, beschloss unsere Truppe weiter zu ziehen. Ich beteiligte mich nicht an der Diskussion, welche Kneipe nun am geeignetsten wäre, marschierte einfach den anderen hinterher. In einer kleinen Seitengasse stand er und winkte mich her. Unschlüssig sah ich zu den vor mir Laufenden, dann wieder zu ihm. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen und winkte wieder. Unbemerkt bog ich ab. Er nahm mich an der Hand und rannte los. Es ging bergauf.
Wir rannten ein Stück, dann blieben wir stehen, sahen uns um, lachten. Er zog mich in einen Hauseingang, wir atmeten heftig. Seine Hand strich zärtlich über meine Wange. Dann küsste er mich. Es war ein langer, atemloser Kuss. Neben uns wurde mit einem Donnern ein Rollo heruntergelassen, ertappt lachten wir und liefen Arm in Arm weiter.
Endlich oben angekommen, wurden wir mit einem wunderschönen Blick über die Stadt belohnt. Genau in diesem Moment begann es zu schneien. Erst zaghaft, doch dann immer heftiger, fielen riesige Bilderbuchflocken zu Boden.
Ich öffnete die Arme, streckte mein Gesicht in den Himmel, ließ mich küssen von den weißen Flocken. Drehte mich um mich selbst bis mir schwindelig wurde und ließ mich von warmen, starken Armen auffangen.
Später. Es war eine Nacht der Emotionen, des In-sich-Aufsaugens. Wir hatten nicht gesprochen und taten es auch jetzt nicht. In schweigendem Einverständnis war ich ihm gefolgt, seine Wohnung war angenehm warm und es roch - nach Zimt. Was dann folgte, vermag ich nicht in Worte zu fassen. Erst wild, hemmungslos, später zärtlich, liebten wir uns als würde in wenigen Stunden die Welt untergehen.
Als ich in den frühen Morgenstunden seine Wohnung verließ, trat ich hinaus in die eisige Nachtluft, benommen und zugleich erstaunt über die weiße Pracht, die mir entgegenstrahlte. Meine Schritte knirschten im Schnee, die Spuren die ich hinterließ, würden schon bald weggetaut oder aber zugeschneit sein. Noch einmal drehte ich mich um und blickte zurück.
Da stand er, an seinem Fenster, und winkte mir zu. Es war wie ein Versprechen.
Eingereicht am 13. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
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