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Eine Piratenweihnacht

© Petra Kramp


Jetzt waren alle Segel gehisst. Der Anker zuvor gelichtet worden, die Rettungsboote überprüft und der Proviant aufgefrischt. Es konnte wieder losgehen - auf große Fahrt über alle Weltmeere. Und so sagte der Kapitän des Piratenschiffs "Esmeralda" wohl auch soeben: "Volle Kraft voraus!"…
Dieses oder so etwas in dieser Richtung musste mein Sohn höchstwahrscheinlich geträumt haben, aber ich habe es ja schon wieder vergessen: Nach seinen eigenen Angaben schläft er nachts gar nicht, er hat nämlich die Augen des Nachts immer offen …
Doch irgendetwas weckte ihn (leider) am Morgen des ersten Weihnachtstages anno Domini 2004 - um genau fünf Uhr fünfunddreißig …
Leider - so muss ich wohl fortfahren - schritt der Knirps sodann schnurstracks zu meinem Bett und verkündete lautstark - ungeachtet der Tatsache, dass ich noch geschlafen hatte und auch noch weiter zu schlafen gewillt war: "Mami, ich möchte weiter Pirat spielen. Wo sind meine Augenklappe, der Piratenhut und der "Bart-Schnurbart"?"
Nur ungern stellte ich mich der Wirklichkeit. Auch wenn ich nicht vorher als stolzer Piratenkapitän noch tapfer den Weltmeeren getrotzt hatte, wollte ich dennoch nur ungern meine eigenen Traumpfade, wenn sie auch ganz woanders angesiedelt waren, verlassen…
Tobias, bitte lass uns alle noch etwas schlafen. Es ist noch ganz früh am Morgen - alle großen und kleinen Kinder liegen noch in ihren Betten. Und selbst die Piraten müssen noch schlafen, um am Morgen wieder fit zu sein, " überlegte ich listig.
"Ich möchte aber nicht mehr schlafen", entgegnete der Vierjährige trotzig, so trotzig und scheinbar keinen Widerspruch duldend, wie es nur Kinder in diesem überaus pflegeleichten Alter verstehen. Natürlich hatte ich keine Lust auf Diskussionen, aber auch keinen Drang und keine Kraft, meine elterliche Autorität derart auf die Probe gestellt zu sehen, um mich einem Dauergeschrei trotz/mit gleichzeitiger "Aus"- Zeit zu stellen.
Ich versuchte es daher mit einem Kompromiss - außerdem sollte wenigstens sein Vater - rein theoretisch - die Möglichkeit haben, weiter zu schlafen. Zudem hatte ich gerade in der aufregenden Weihnachtszeit die Erfahrung gemacht, dass man ein Kind "in diesem Zustand" nicht zum Schlafen und/oder absolutem Ruhigsein nötigen kann.
Von daher sagte ich nur: "Ich gehe jetzt erst einmal in dein Kinderzimmer und stelle die Heizung an. Du legst dich jetzt erst einmal in dein Bett, deckst dich wieder schön zu und liest ein Buch. Wenn das Zimmer dann wärmer geworden ist, dann kannst du deinen Bademantel anziehen und in deinem Zimmer - von mir aus auch - Pirat spielen."
Glücklicherweise überzeugte ich ihn sofort von der Notwendigkeit des Plans B. Er sagte aber auch: "Mama, wenn's dann aber warm ist bei mir, klebst du mir dann die Bart-Schnurrbart-Teile an (woher hatte er nur diese Wortschöpfung?) und machst mir die Augenklappe drum?"
"Ja, ja, ja", murmelte ich nur, froh darüber, mich wieder hinlegen zu können, aber gleichzeitig wohl wissend, dass ich meine Nachtruhe nicht wirklich weiter aufrechterhalten könne…
Derweil saß Tobias ganz friedlich in seinem Bettchen und "las", d. h. er studierte mit einer erstaunlichen Ernsthaftigkeit - die Liebe zu Büchern hat er von mir - die Bilderfolge.
Allerdings rief er in der Zwischenzeit auch mehrmals herüber: " Mami, ist die Heizung jetzt warm genug, so dass ich jetzt endlich spielen kann?"
So lange, bis ich ihm "grünes Licht" gab.
Und dann konnte die Metamorphose von einem kleinen Jungen in einen gefürchteten Freibeuter der Meere beginnen. Und das ging so:
Zunächst wurde die überdimensionale Augenklappe angebracht, dass sie etwas zu stramm saß, störte ihn nicht weiter; bei einer zu engen Strumpfhose hätte ich etwas zu hören bekommen…. Der "Bart-Schnurrbart" - aus zwei Teilen bestehend - wurde angeklebt. (Dies müsste eigentlich schrecklich kitzeln an der Nase, aber mein Sohn verzog keine Miene)
Und zuletzt wurde der riesige Piratenhut mit dem obligatorischen Totenkopf-Emblem aufgesetzt. Die Verwandlung war nahezu perfekt: man sah zwar noch kaum etwas von seinem kleinen, liebenswerten Gesichtchen, und der Bob-der-Baumeister-Bademantel wollte auch nicht so richtig zum gesamten Furcht einflößenden Outfit passen, aber was ist schon perfekt?
Im letzten Moment nahm der Pirat dann noch seinen riesigen Holz-Piratensäbel in sein Händchen und wollte ihn gerade in seinen Bademantelgürtel zwängen. Aber genau an diesem Punkt machte ich nicht mehr mit. "Nein, nein, nein, " sagte ich ganz entschieden. Solltest du damit stolpern beim Herumhüpfen auf deinem Bett, dann könntest du dir damit ganz doll wehtun und heute an Weihnachten müssten wir mit dir womöglich noch zur Notaufnahme."
Tobias, jetzt nun deutlich weniger zahm und verständnisvoll, baute sich - ganz in der Manier bedeutender Piratenkapitäne - mit in die Hüften gestemmten Händen bedeutungsvoll vor mir auf und funkelte: "Das machen aber alle Piraten so - und ich auch."
Doch so weit ließ ich mir meine Autorität als Erziehungsberechtigte nicht rauben. Das durfte ich auf keinen Fall durchgehen lassen. Und ich stellte eines klar: "Der Säbel kommt nicht dorthin und Punkt. Solltest du dich nicht daran halten, wandern alle diesbezüglichen Piraten-Utensilien ausnahmslos in den Keller und ich schreibe dem Christkind von diesem Vorfall. Es wird deine Weihnachtsgeschenke dann samt und sonders abholen in den nächsten Tagen!"
Tobias holte zunächst tief Luft und nahm anscheinend schon Anlauf zu einem mittelschweren Tobsuchtsanfall, aber die über ihm schwebende Drohung zeigte doch Wirkung. Er grollte noch etwas - und gehorchte.
Im Hinausgehen bemerkte ich noch aus den Augenwinkeln wie mein Dreikäsehoch mit stolz geschwellter Brust und tief befriedigt über sein Aussehen sein Spiegelbild studierte.
Des Rätsels Lösung: Er hatte nämlich vom Christkind ein als Spiegel getarntes und richtig zu öffnendes Bullauge geschenkt bekommen, das über seinem Bett hing. Mit wenigen Requisiten hatten mein Mann und ich backbord und steuerbord noch einen Rettungsring und ein sich richtig drehendes Steuerrad an seinem Bett, Verzeihung, Schiff, angebracht.
Zur Vervollständigung des Piraten gab es dann noch eine kleine Schatztruhe mit Golddukaten, ausrangiertem Modeschmuck, Glitzersteinen und einem Piratenfernrohr.
Und jetzt einmal Hand aufs Herz: Bei so vielen Zutaten wunderte ich mich rückblickend doch wohl nicht wirklich ernsthaft darüber, dass mein Sohn schlecht in den Schlaf fand?
Alle Abenteuer und Herrlichkeiten der Weltmeere lagen vor ihm ausgebreitet, er brauchte nur noch zuzugreifen…
Und so kam es, dass er auf seinem Schiff, seiner "Esmeralda", ein besonderes Weihnachten feiern konnte, eine Piratenweihnacht.
Und seine Mannschaft bestand aus einem Haufen bunt zusammengewürfelter Gesellen. Aus Mama und Papa, sofern greifbar, und aus diversen Handpuppen.
Handpuppen, die schon in so mancher tollen Geschichte mitgespielt und so manches spannende Abenteuer gemeinsam mit ihm bestanden haben.



Eingereicht am 30. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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