Schlittenfahrt bei Vollmond
© Katharina Storck
Es war eine wunderschöne Vollmondnacht. Zu sechst wanderten wir mit Schlitten im Schlepptau durch den schneeüberzogenen Wald. In freudiger Erwartung alberten, lachten und schnatterten wir alle durcheinander.
Tagsüber belächelten wir die Kinder, die freudestrahlend mit ihren Schlitten die Hügel eroberten. Kinderkram, aus dem Alter waren wir heraus! Jetzt, abends, war das natürlich etwas ganz anderes. Wir waren so zwischen fünfzehn und siebzehn Jahre alt, geradezu erwachsen. Ich weiß nicht mehr, wer die Idee mit der nächtlichen Schlittenfahrt außerhalb des Ortes an dem lang gezogenen Schlittenberg hatte, es war auch egal, alle hatten wir uns auf diesen Abend gefreut. Es war bitterkalt, die Schritte knirschten im Schnee.
Am sternenklaren Himmel stand majestätisch der Vollmond und versorgte uns mit so viel Licht, dass wir die mitgebrachten Taschenlampen gar nicht brauchten.
Nach zwanzigminütigem Fußmarsch war es endlich so weit. Wir standen oben am Hügel, stellten unsere Schlitten in Position. Die Ersten wagten es, schemenhaft konnte man sie nach unten gleiten sehen. Zu hören waren sie besser, es gab ein Gejohle und Gelächter. Ich nutzte die Gelegenheit und schwang mich, ohne groß zu fragen, bei Manni auf den Schlitten. Der wollte gerade losfahren, hätte gar nicht mehr rechtzeitig bremsen können. Welch ein herrliches Gefühl! Frech schlang ich meine Arme um ihn. Der Fahrtwind blies
uns kalt ins Gesicht, wobei ich durch Manfreds breite Schultern noch einigermaßen geschützt war.
Schon lange träumte ich von ihm und davon, wie herrlich es sein musste, sich an eben jene breiten Schultern lehnen zu können… Allerdings wusste ich nicht so recht, ob er für mich auch solcherlei Gefühle hegte. Lag es an der ausgelassenen Stimmung oder gar am Vollmond, dass ich an diesem Abend so unruhig und voller Tatendrang war?
Bis wir unten ankamen, waren die anderen schon wieder zur Hälfte auf dem Berg. So hatte ich ihn ganz für mich alleine, wir konnten uns ungestört unterhalten. Es knisterte! Wir neckten uns, es ging mir so richtig gut. Zu meinem Ärger warteten unsere Freunde irgendwann auf uns, ich musste meinen Manni wieder teilen. Sie wollten ein Rennen fahren. Wir stellten unsere Schlitten in Reihe, irgendjemand rief: "Auf die Plätze…fertig…los!"
Uns gegenseitig anfeuernd, traten wir in den Schnee, schoben unsere Schlitten an, jeder wollte natürlich der Schnellste sein. Manni und ich fuhren Kopf an Kopf mit seinem besten Freund Heiner. Der machte mit seinem Schlitten einen Schlenker und fuhr bedenklich in unsere Richtung. Wir wollten ausweichen, reagierten aber im Eifer des Gefechts zu heftig, mit dem Erfolg, dass wir mitsamt Schlitten in voller Fahrt umkippten und übereinander in den Schnee purzelten. Heiner fuhr siegessicher weiter, während wir im Schnee
lagen und lachten, bis uns die Tränen aus den Augen liefen. Wir beschuldigten uns gegenseitig, falsch reagiert zu haben, jeder wies dem anderen die Schuld zu. Es gab ein Gerangel, Manni beugte sich über mich und hielt mir die Hände fest, wohl wissend, dass ich ihm eine Ladung Schnee ins Gesicht werfen wollte. Er hielt inne. Wir sahen uns an. Über uns die Sterne, entfernt das Jubelgeschrei des Siegers.
Langsam beugte Manfred sich zu mir herunter und küsste mich. Vergessen war die Kälte, ich war verloren in diesem Moment, wollte ihn nie enden lassen. So lange hatte ich davon geträumt. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Das alles liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Geblieben sind die Erinnerung und der Zauber. Der Zauber, den ich auch heute noch fühle. In einer Vollmondnacht, Hand in Hand, schweigend, mit einem geliebten Menschen über schneebedeckte Felder laufen…
Eingereicht am 08. März 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.