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Sidiqh und der Weihnachtsbaum

© Ihepih


Es ist heiliger Abend und wie üblich wird die Familie am Nachmittag aus dem Wohnzimmer verbannt, um den Weihnachtsbaum zu schmücken. Das ist in unserer Familie Tradition. Wenn alle das Wohnzimmer geräumt haben, gehen meine Frau und ich zu Werke und versuchen, wie jedes Jahr, die nackte Tatsache eines Nadelgehölzes, in die Zauberhaftigkeit eines schrill, bunten Weihnachtsbaumes zu verwandeln. Ein Ergebnis der rein sachlichen Vernunft, versetzt uns ganz allmählich in eine weihnachtliche Stimmung, die sich förmlich, mit dem Anzünden der Christbaumbeleuchtung, unser bemächtigt. Dann kommt der Moment, wo die Geschenke, die man aus den Verstecken zieht und sorgsam unter den Baum legt, ein Gewicht bekommen, das man beim Einkauf nur spärlich bedacht hatte. Eine weihnachtliche Musik betont die festliche Stimmung und eine kleine Klingel, die nur Weihnachten benutzt wird, läutet die Familie herbei.
Sidiqh ist ein kleiner Junge aus Afghanistan, der wegen seiner Spielzeugminenverletzungen in Deutschland operiert werden musste und während dieser Behandlungszeit in unserer Familie lebte. Er war 5 Jahre alt und trug große Verbände an einer Hand. Er kam sehr langsam und gespannt die Treppe herunter und sah zum ersten Mal in seinem Leben einen bunt geschmückten Nadelbaum.
Es war sein erstes christliches Weihnachten und man sah ihm seine Aufregung an. Wie berauscht näherte er sich langsam, ganz vorsichtig dem Weihnachtsbaum. In dem abgedunkelten Raum leuchtete er Sidiqh an. Mit roten Bäckchen und glänzendem Augen blieb er vor dem Baum stehen und wahrlich erstaunt fesselten die Eindrücke seinen Blick. Hunderte von Lichtern funkelten ihm entgegen, Strohsterne, Vögelchen, kleine Holzfigürchen, Eiszapfen, Lametta und Kugeln in jeder Farbe und Größe, die die Kerzenlichter tausendfach widerspiegelten. Sidiqh staunte in den Baum hinein und der Weihnachtsbaum strahlte noch heller zurück. Das Engelshaar verwischte die Farben ineinander und verstärkte in Reflektionen den zauberhaften Moment. Es gab an jeder Ecke etwas Neues zu entdecken. Der Mund war genau so weit geöffnet, wie die Augen und seine "Hände" griffen imaginär nach den vielen zauberhaften Dekorationen, die dieser Baum für ihn festhielt. Er stand still und stumm vor dem Weihnachtsbaum und sog diese Stimmung ganz in sich auf.
Sidiqh hat sein Weihnachtsgeschenk nicht alleine gefunden und es ebenso wenig beachtet, denn er konnte, außer diesen Weihnachtsbaum, nicht anderes wahrnehmen. Er aß an diesem Abend nichts mehr und er sprach an diesem Abend nicht mehr und schlief ganz glücklich, mit einem leichten Lächeln in seinem Gesicht ein.
Sidiqh hat Weihnachten gelebt.



Eingereicht am 14. Juli 2005.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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