Rosalindes Bescherung
© Rainer Kodritsch
Wie schnell es dämmrig geworden ist. Gerade war es noch Mittag. Aber die Zeit vergeht immer so rasch wenn ich den Flocken vorm Fenster zuschaue. Wie sie herumwirbeln und aufstieben wenn der Wind in sie hinein bläst. Als Kind hab ich das schon immer gemocht. Rosalinde, hat Mama dann immer gesagt, Rosalinde, stiehl dem Herrgott nicht die Zeit. Was starrst du Löcher in die Luft. Mach deine Schulaufgaben! Oder hilf wenigstens deinem Bruder Geschirr abtrocknen! Ja, das hat sie gesagt. Oder irgendwas in der Art, wenn
ich zu lange aus dem Fenster geguckt habe. Was sie wohl jetzt sagen würde, wenn sie noch am Leben wäre? Seit den frühen Morgenstunden schneit es schon so. Langsam wachst das Fensterkreuz zu. Ob es deshalb so düster im Zimmer geworden ist? Ach, Unsinn, es ist schon spät, das ist alles. Im Dezember ist das normal.
Ob Peter heute kommt? Wenigstens heute sollte er kommen. Wenigstens am Heiligen Abend. Früher, da war er ganz anders, da ist er nach der Arbeit immer gleich nach Hause gegangen. Ausnahmslos! Aber jetzt, jetzt kommt er nur noch ab und zu. Ich weiß nicht warum. Ich frag mich was ich ihm getan habe. Auf einmal ist er so komisch geworden, hat mich überhaupt nicht mehr angeschaut. Aber auch die Kinder, Klaus und Herta, sie sind so anders geworden. Sie kommen ja auch nicht mehr. Ich wäre schon froh wenn Peter kommt.
Als er das letzte mal da war ... wann war denn das ... vor einem Monat ... oder zwei ... da hab ich mich so gefreut. Aber er hat sich gar nicht gefreut. Zuerst ist er nachdenklich im Zimmer auf und ab geschritten, dann hat er sich vor den Fernseher gesetzt und so getan als ob ich Luft wäre. Dabei hat er so einen harten, fast versteinerten Zug im Gesicht gehabt. Hart, ja, aber auch traurig. Vor allem traurig. Ich hab mich zu ihm hingesetzt und seine Hand gestreichelt. Peter, hab ich gesagt, was hast du? Magst
du mich nicht mehr? Ich tu ja alles was du willst, wirklich. Nur sag bitte, was ich falsch gemacht habe. Ich mache es wieder gut, ganz bestimmt. Ich will wieder reden mit dir, und lachen, so wie früher, vor meiner Krankheit.