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Liebe Annika

© Alexandra Luff


Es war kalt in der Wohnung. Langsam kullerte eine einsame Träne über ihre welke Wange, um dann auf das Blatt Papier, das vor ihr lag, zu tropfen. Ein hässlicher Fleck entstand auf dem "ie" von "Liebe Annika". Aus dem Radio tönte - unterbrochen von nahezu regelmäßigem Rauschen "Jingle Bells" von Frank Sinatra. Eine Kerze ließ unheimliche Schatten an der Wand tanzen. Sie schnäuzte in ihr Taschentuch, das von ihren Tränen bereits ganz durchnässt war. Dann griff sie zum Füller und schrieb weiter: "Ich weiß, dass Du meinen Brief wohl erst im Neuen Jahr bekommen wirst, denn die Post nach Amerika braucht lange und heute ist ja schon der Heilige Abend. Bei mir dämmert es bereits. Dennoch wünsche ich Dir ein segenreiches Fest im Kreise Deines Mannes und Deiner Kinder." Sie wischte sich eine Träne aus dem Auge. "Wie Du weißt verbringe ich heute diesen Abend alleine, da Dein Vater ja vor drei Monaten gestorben ist. Das soll kein Vorwurf sein, liebe Annika. Es machte mir in den letzten Wochen nichts aus, alleine zu sein, denn stets war ja Minka bei mir." Erneut schnäuzte sie sich.
"Jeden Abend saß ich gemütlich in meinem Sessel, hörte Frank Sinatra und Minka lag schnurrend auf meinen Beinen." Tränen durchweichten den Brief, so dass einzelne Buchstaben unleserlich wurden. "Doch Minka ist seit einer Woche verschwunden. Sie wollte unbedingt nach draußen, doch sie kehrte nicht zurück." Verzweifelt schluchzte sie auf. Neben ihr ließ flackerte die Kerze unheimlich. "Meine liebe Annika, ich weiß, dass Du nicht willst, dass Deine alte Mutter Weihnachten alleine verbringen muss. Deshalb wirst Du Dich freuen, wenn ich Dir schreibe, dass ich den heutigen Abend mit Deinem Vater verbringen werde. Sei nicht traurig. Ich werde stets bei dir sein. Vergiss mich nicht! Deine Dich lieb-" Es klingelte an der Tür.
Sie hob den Kopf und lauschte. Wer konnte das sein?
Noch zu dieser Zeit! Es war schließlich Weihnachten!
Erneut klingelte es. Sollte sie öffnen? Sie starrte auf den Brief, der vor ihr lag. Langsam, ganz langsam streckte sie ihre Hand aus, faltete den Brief säuberlich zusammen und steckte ihn mit ihrer Hand in die Tasche. Wieder klingelte es. Offenbar wollte jemand unbedingt zu ihr. Entschlossen stand sie auf, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus den Augen und ging zur Tür. Fest umklammerte sie den Brief in ihrer Tasche. Wieder klingelte es. Sie hörte Stimmen hinter der Tür. Bekannte Stimmen. Sie öffnete die Tür.
"Annika!" Sie konnte es nicht fassen. Tränen der Freude stürzten aus ihren Augen und sie fiel der Tochter um den Hals. "Nicht so stürmisch, Mama! Du erdrückst sonst jemand", lachte Annika. Sie zog den Reißverschluss ihres Anoraks ein Stück hinunter. Die Mutter wollte ihren Augen nicht trauen. Ein Katzenkopf schob sich aus dem Anorak - Minka. "Die Kleine hat halb erfroren vor der Tür gewartet."
Als die ganze Familie kurze Zeit später gemütlich im Wohnzimmer saß und die Mutter in die Küche ging um Getränke zu holen, sah niemand, wie sie heimlich in ihre Tasche griff, ein beschriebenes Blatt Papier herauszog und es in winzigkleine Stücke zerriss.



Eingereicht am 24. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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