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Zwei Fliegen am Telefondraht

© Niel Mazhar


Es saßen, in einer gemütlichen Wohnung in Kairo, zwei Fliegen am Telefondraht. Kairo liegt in Ägypten und die zwei Fliegen waren eigentlich Eintagsfliegen. Eintagsfliegen sehen eigentlich auch gar nicht aus wie ganz gewöhnliche Fliegen und manchmal leben sie noch nicht mal einen Tag lang, sondern nur wenige Stunden. Soviel zu den Fakten. Jedenfalls saßen diese zwei Fliegen, wir nennen sie der Einfachheit halber trotzdem Fliegen … diese Fliegen also, auf einem Telefondraht. Es war Winter, genauer gesagt der 1. Dezember. Das bedeutete, dass es abends schon recht kühl wurde und draußen auf der Straße sich, abgesehen von ein paar kamerabehängten und kamelreitenden Touristen auf der Suche nach den Pyramiden, kaum jemand tummelte. Und so kuschelten sich diese Zwei aneinander und lauschten interessiert den Telefongesprächen. Da war von Politik die Rede, von Familienzwisten und Heiratsgeschichten, Geschäften und vor allem von köstlichem Essen. Alles ganz nach ägyptischer Sitte in lautem, überschwänglichem Singsang. Gerade als die eine der beiden Fliegen (gewöhnliche Fliegen rufen sich alle "Musca", was auf Latein eben "Fliege" bedeutet. Fliegen sind nämlich sehr gebildet, aber auch ein wenig einfallslos. Eintagsfliegen nennen sich überhaupt immer nur die "Eine" oder die "Andere". Aber ich verliere mich wieder in Details …) Also gerade als die Eine beinahe vor lauter Langeweile vom Telefondraht kippte, kündigte ein tiefes Surren in der Leitung ein Telefongespräch aus Europa an. Genauer gesagt Wien. Und plötzlich war von Schnee die Rede und von bunten Glaskugeln, goldenen Engeln, Lichterketten, Keksen und Rodeln, roten Kindernasen, Punsch, Geschenken und Tannennadeln. Und von Weihnachtsliedern. "Was ist Weihnachten?", fragte die Eine. "Was Schönes", antwortete die Andere. "Mit Schnee, Glaskugeln, Lichterketten und Keksen. Und Punsch. Fahren wir hin?" "Ich bin ganz entschieden dafür", meinte die Eine, und so machten sich die zwei Fliegen am Telefondraht auf die lange Reise nach Wien. Nun ist es aber so, dass Fliegen gar nicht so weit fliegen können. Geschweige denn lange genug leben könnten um diese weite Reise und die Ankunft in Wien erleben zu können. Aber jede Medaille hat zwei Seiten.
Der liebe Gott, man könnte ihn auch Allah, Jahwe oder Tlaltecuhtli, den aztekischen Erdgott, nennen, oder auch "Große Allmächtige Giftgrünviolette Hustipusti Zauberwolke", ganz egal. Er bleibt immer derselbe. Der liebe Gott also, dachte sich bei der Erschaffung der Eintagsfliege: "Jede Medaille hat zwei Seiten". Und deswegen stattete er die Eintagsfliege zwar mit einer deprimierend kurzen Lebensspanne aus, gab ihr dafür aber auch unendlich viele Leben. Und so geschieht es, dass eine Eintagsfliege nach ihrem Tode im selben Moment auch schon, dummerweise wieder als Eintagsfliege, ein neues Leben beginnt. Jedesmal wieder am selben Ort. Noch dümmererweise zwar immer am selben Tag, aber auch immer in einem anderen Jahrhundert oder Jahrtausend. Und so kann es geschehen, dass sich zwei Fliegen während eines Kaffeeklatsches über Kuchen, Politik und Frieden, nachdem sie eine Fliegenklatsche erwischt hat, auch schon mitten in den Wirren des Hundertjährigen Krieges wiedergeboren werden. Von dem sie aber zum Glück nur wenige Stunden miterleben, bis sie sich wieder in einer ganz anderen Zeit befinden.
Und so kam es dann auch, dass unsere zwei Fliegen am 5. Dezember gerade einmal bis Gizeh, einem Vorort Kairos kamen, als sie auch schon, an Alter erkrankt, ihr Leben aushauchten. Und mitten im 4. vorchristlichen Jahrtausend, zur Zeit des Pyramidenbaus, wieder auf die Welt kamen. "Ob das wohl auch etwas mit Weihnachten zu tun hat?", fragte die Eine und beargwöhnte ein paar hundert Sklaven die einen riesigen Granitblock die halbfertige Pyramide hinaufschleiften. "Ganz sicher", antwortete die Andere weise, "sieh mal da rüber, da verpacken sie gerade die Geschenke und legen sie dann mhmmm … unter die Pyramide …", meinte sie noch und beobachtete dabei weiter den Einbalsamierer, der den verstorbenen Pharao in dutzende Leinenstreifen wickelte, um ihn dann in den goldenen Sarkophagen zu verpacken. Nicht ohne ihm noch einen Haufen glitzernder Juwelen mit hineinzulegen. "Auf der Suche nach dem Glück machen die Menschen merkwürdige Sachen", sagte die Eine verdutzt.
Nach ein paar weiteren, tödlich endenden Missgeschicken, in denen die beiden Fliegen auf dem Pferderücken eines napoleonischen Soldaten im 18. Jahrhundert, auf einer Sonnenbarke des Zweiten vorchristlichen Jahrtausends und in der prächtigen Kutsche eines osmanischen Gesandten im 16. Jahrhundert den Nil aufwärts reisten, erreichten sie am 6. Dezember endlich Alexandria. "Ich denke jetzt müssen wir irgendwie nach rechts", meinte die Andere, "jedenfalls wenn wir über Land reisen wollen". "Ja das ist entschieden besser", sagte darauf die Eine, "ich erinnere dich nur ungern an die unerfreuliche Begegnung mit diesen dröhnenden Metalldingern, die vom Meer geflogen kamen und große explodierende Kugeln abwarfen. Das war doch vor einigen Leben, den Zweiten Weltkrieg nannten sie das dann, denke ich…" Die Andere schüttelte sich schaudernd. "Du hast mal wieder recht" sagte sie und überlegte still und leise ob die Metallflugzeuge mit ihren Bomben die goldenen Engel mit den glitzernden Weihnachtskugeln waren, von denen sie gehört hatte. "Die Menschen sind nicht immer was sie scheinen. Doch selten etwas Besseres", zitierte die Andere weltgewandt Lessing und flog der Einen hinterher.
Und so nahmen sie auf dem Gepäckträger eines Taxis Platz und fuhren am 8. Dezember endlich durch die Halbinsel Sinai, vorbei an rot leuchtenden Bergen bis nach Israel. Das Taxi war eigentlich ein alter Lada aus Ungarn auf dem in knallbunten Buchstaben "Kellemes Karacsonyiunnepeket!" geschrieben stand, was auf Ungarisch "Frohe Weihnachten" bedeutet. Und die Berge an denen sie vorbeifuhren, waren eben jene Berge an denen Moses die Zehn Gebote empfangen hatte. Aber die beiden Fliegen sprachen kein Ungarisch und sie hatten auch noch nie etwas von Moses gehört. Begegnet waren sie ihm allerdings schon einmal. Damals, als sie eines Abends in einem Dornbusch gesessen und geplaudert hatten und dummerweise verbrannten, weil Moses versehentlich beim Teekochen den Dornbusch angezündet hatte. Eine ihm furchtbar peinliche Sache, für die er sich allerhand Ausreden hatte einfallen lassen. Aber die Sache war schon längst vergessen und nur ein weiteres Kapitel im mehrteiligen Leben der beiden Fliegen.
Als sie endlich, einer Karawane folgend, die mit Juwelen, teuren Geschmeiden und alten Büchern in Jerusalem am 9. Dezember des 11. Jahrhunderts ankamen staunten sie nicht schlecht. Überall roch es nach Kampf und da und dort lungerten Menschen verschiedenster Herkunft herum. Manche mit rotgoldenen Kreuzen auf der Brust, christliche Kreuzzügler, andere mit Turbanen und reich geschmückten Säbeln, islamische Krieger. "Meinst du, die feiern auch Weihnachten?" fragte die Eine. "Vermutlich", meinte die Andere " aber können sie sich nicht einigen wie genau sie feiern sollen. Und ob Weihnachten denn nun die Geburt eines Gottessohnes oder eines Propheten ist. Und eigentlich wollte Jesus doch nur, dass die Menschen ein bisschen netter zueinander sind. Und stattdessen hauen die sich jetzt die Schädel ein. Barbaren!" Die Andere hatte nämlich auf dem Rücken der Kamelkarawane einige religiöse Werke gelesen. Aber auch wenn sie nun dieses und jenes zitieren und vortragen konnte, verstand sie die ganze Sache noch immer nicht so ganz. Denn sie hatte recht - während die Christen glaubten, dass Jesus Gottes Sohn war, so sahen die Muslime in ihm einen Propheten. "Es irrt der Mensch, so lang er strebt! Hat schon Goethe gesagt", meinte sie abschließend noch schlau.
Von Jerusalem über Damaskus kamen sie am 11. Dezember im Jahr 2493 endlich in den weiten Ebenen der Türkei an. Ob in der fernen Zukunft die Türkei immer noch Türkei heißt oder zu einer "Erdenföderation" gehört, darf hier nicht verraten werden. Menschen sollten von der Zukunft besser nicht allzu viel wissen. Wer aber glaubt, dass sie hier nun in einem Mega-Hyperraum-Schwebekopter mit geräuscharmem Photonenantrieb reisten, hat eindeutig zuviel Sciece Fiction Romane gelesen. Oder sieht zu viel fern. Stattdessen ruckelten sie in einer Kutsche, gezogen von einer Kuh mit drei Hörnern und fünf Beinen über eine steinige Straße. Nachdem aber der Kutscher eine der beiden Fliegen mit einem geschickten Schlag erledigt hatte, war die andere gerade noch entkommen. Und so dauerte es eine Weile bis die Zwei wieder in einem ganz anderen Jahrhundert zusammentrafen. "Schicksalsschlag!" rief die Eine zynisch. "Kannst dem Schicksal widerstehen. Aber manchmal gibt es Schläge. Will´s nicht aus dem Wege gehen, Ei! So geh du aus dem Wege!" antwortete die Andere und ignorierte das hämische Grinsen der Einen. "Elegant ausgedrückt. Nun müssen wir uns aber sputen!" und schon machten sich die Beiden am 12. Dezember des Jahres 336 n. Chr. in Richtung Mittelmeer auf.
Schließlich kamen sie in der Stadt Myra an. Und beobachteten des Nachts einen Mann mit hoher Mütze und langem weißen Bart dabei, wie er heimlich in eine ärmliche Hütte einstieg, in der drei junge Frauen tief und fest schliefen. Dort stopfte er ihnen je einen Apfel aus purem Gold in die zerschlissenen Schuhe, die am Bettende standen, und schlich wieder davon.
"Sicher ein Perverser" meckerte die Eine. "Schwer zu unterscheiden, noch schwerer zu ergründen sind die Menschen" meinte die Andere und gähnte gelangweilt. Doch wen die Zwei Fliegen da beobachtet hatten war niemand geringerer als ein Mann namens Nikolaus, der die drei Mädchen mit seinen Geschenken vor der Sklaverei gerettet hatte. Denn durch den neu gewonnenen Reichtum verzichtete der Vater tags darauf seine drei jüngsten Töchter zu verkaufen und so den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Doch unbeeindruckt von diesem Zwischenfall setzten die Fliegen ihre Reise über die griechischen Inseln fort.
Sie landeten schließlich am14. Dezember des Jahres 276 v. Chr. im alten Athen. "CHRIIIIISTOOOOS!" die Zwei Fliegen fuhren erschrocken auf und wären beinahe von einem alten Mann mit einer Holztruhe, die mehrere bunte Tonkrüge beinhaltete, niedergetrampelt worden. "Ich benötige die Salbung. Es schmerzt schon wieder. Und wenn du nicht bald beginnst pünktlicher zu werden, lass ich dich noch ans Kreuz nageln!" Und schließlich rieb der alte Mann, ein Sklave namens Christos, unbeeindruckt von der Zurechtweisung seinem Herrn und Meister die Schulter mit den duftenden Salben ein, die er in seinen schweren Tongefäßen aufbewahrte. "Das…äh, das kann doch aber nicht DER Christus sein, nicht?", fragte die Eine verwundert. "Ich meine wir sind doch hier zu früh dran. Der ist doch noch gar nicht mal geboren worden?" "Ich denke nicht", antwortete die Andere "Aber irgendwas sagt mir, dass die Geschichte immer nur die Wiederholung ein und derselben Geschichte ist. Und dass die Geschichte, die in den Büchern steht immer nur die Zusammenfassung verschiedener Geschichten ist. Und vielleicht hatte Heinrich Heine doch recht als er sagte: Es ist eine alte Geschichte, doch sie bleibt immer neu", ergänzte sie noch altklug und freute sich darüber wie gebildet sie doch war. Was die Beiden jedoch nicht wussten war, dass "Christos" auf altgriechisch schlicht und einfach "gesalbt" hieß und dieser Sklave den Namen seiner medizinische Aufgaben wegen erhalten hatte. Und jeder Sklave wenn er frech war kurzerhand an den nächsten Baum genagelt wurde. "Der Mensch hat nur allzu sehr Ursache sich vor dem Menschen zu schützen", witzelten die beiden noch und flogen ein Stück weiter.
Schließlich kamen sie über die Meeresenge von Otranto nach Italien. "Ich denke wir kommen der Sache schon näher", meinte die Eine. Und als sie am16. Dezember des Jahres 23 v. Chr. endlich Rom erreichten ließen sie sich auf einer riesigen Kuppel nieder und betrachteten das rege Treiben der Menschenmasse zu ihren Beinchen. Aber nicht nur Römer waren dort zu sehen, die aufgeregt die Saturnalien vorbereiteten, sondern auch Griechen, die exzentrisch bemalte Götterfiguren schmückten. Außerdem Ägypter und sogar eine Handvoll Germanen. "Was tun die denn da??" fragten die beiden Fliegen eine Krähe die sich soeben neben ihnen hingesetzt hatte. "Ach die bereiten alle die bevorstehenden Feste im frisch geweihten Pantheon vor, dem Tempel aller Götter. Die Römer feiern das Fest zu Ehren Saturns, bei dem Sklaven und Herren einander in völliger Gleichheit begegnen müssen, Senatoren und Ritter legen ihre Standesabzeichen ab. Außerdem gibt´s ein paar öffentliche Hinrichtungen und Löwenspiele. Ganz lustig eigentlich. Die Ägypter wiederum feiern die Geburt des Gottessohnes Horus, Sohn der Isis. Und die Griechen feiern auch gleich mit. Die Geburt irgendeines halbgöttlichen Heroen, den seine sterbliche Mutter jungfräulich geboren haben soll. Und die Germanen dort drüben stellen gerade den Lebensbaum des Wotan auf, und schmücken ihn dann mit Kerzen und allerhand Firlefanz. Sie feiern damit das Mittwinterfest." Die Fliegen waren sprachlos. "Hinrichtungen? Löwenspiele?" fragte die Eine ungläubig, "Gottessohn? jungfräuliche Mutter? Lebensbaum?" fragte die Andere. "Genau das." antwortete die Krähe und weil sie gerade so hungrig war, verspeiste sie einfach die beiden verdutzt dreinblickenden Fliegen.
Im Jahre 1974 wiedergeboren, sahen die Fliegen immer noch verdutzt drein. Wieder tummelte sich eine Menschenmenge zu ihren Füßen, die geschäftig ihren Weihnachtseinkäufen nachging. Die Szene unterschied sich nur unwesentlich vom eben Gesehenen. Außer dass die Menschen hier nicht reich geschmückte Götterfiguren vor sich hertrugen, sondern Manschettenknöpfe von Cartier für Papa, Anti-Transpirant Parfums von Dior für Mama oder Handtaschen von Louis Vuitton für Oma. "Ich versteh das alles nicht. Damals im alten Rom gab es doch noch gar kein Weihnachten. Aber alles klingt nach Weihnachten!" rief die Eine. "Ich bin ja gespannt was uns erst in Wien erwartet" sagte sie Andere, inzwischen leicht gereizt. "Das alles entwickelt sich anders als geplant…." Und so machten sich die beiden Fliegen auf die letzte Etappe nach Wien auf.
Am 19. Dezember des Jahres 1583 kamen sie in Graz vorbei und beobachteten ein großes Feuer um das aufgeregt und laut singend eine Menschenmasse tanzte und lachte. "Das ist schon besser, mein ich. Singen, Tanzen und ein nettes Lagerfeuer. Wie Romantisch. Vielleicht ist der Mensch ja doch gar nicht so schlecht?" meinte die Eine. "Der größte Mensch bleibt stets ein Menschenkind!", sagte daraufhin die Andere. Die Andere ging der Einen mit ihren lockeren Sprüchen schon ein wenig auf die Nerven, "komm fliegen wir besser weiter, wir haben es ja bald geschafft." Was die Zwei jedoch nicht ahnten, war, dass sie soeben einer mittelalterlichen Hexenverbrennung beigewohnt hatten. Und vermutlich war das auch besser so.
So kamen sie schließlich tatsächlich in Wien an. Und sie beobachteten die Menschen bei ihren Weihnachtsvorbereitungen. Beim Kekse backen, und Weihnachtsliederproben und Krippenspielen. Am Adventmarkt und beim Punschtrinken. Beim Versuch die duftende Brühe zu kosten waren sie jedoch gleich einmal vom Alkohol benebelt ertrunken. Dadurch waren sie zwischenzeitlich im Jahr 1683 gelandet, als Wien unter der Türkenbelagerung zu leiden hatte. Wenigstens konnten sie dabei gleich einmal der Erfindung des Vanillekipferls beiwohnen, in seiner Form vom türkischen Halbmond inspiriert. Ein großes historisches Ereignis, das die Fliegen tief beeindruckte!
Gerade rechtzeitig dann, am Abend des 24. Dezembers 2004 schlüpften die beiden Fliegen durch ein offenes Fenster in eine gemütlich warme Wohnung, gleich gegenüber vom Stephansdom, der stolz das weihnachtlich geschmückte Wien überragte. Gerade als sie selbstzufrieden aufseufzen wollten, zerriss eine tiefe männliche Stimme die frohe Stille. "Warum ist Weihnachten wie ein Schwein, das Lippenstift trägt??!" Entsetzt betrachteten die Zwei einen Mann mittleren Alters, der sich in ein Coca Cola-rotes Kostüm mit Zipfelmütze zwängte. "Ist doch alles ein Schmafu, was für eine Scheinheiligkeit. Und unsere Kinder glauben doch gar nicht mehr an den Weihnachtsmann. Oder diese amerikanisch verweichlichte Santa Claus-Hollywood Imitation!" "Sei kein alter Sack, mach den Kindern doch die Freude, wie jedes Jahr", antwortete eine Frauenstimme aus der Küche, die gerade gelangweilt einen Braten in den Ofen schob. "Morgen is eh alles wieder vorbei und deine Mutter wird dann schnurstracks wieder ins Heim gebracht, die geht mir nämlich am Sack!" Die Fliegen waren geschockt. Da saßen sie nun, mitten unter Plastikweihnachtskugeln, goldenen Plastikengeln und Aluglitter, herzlosen Geschenken und billigen Kaufhaus-Keksen. Das war nicht was sie sich damals, vor nun fast einem Monat, vorgestellt hatten. "So hab ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Ich will hier weg!" rief die Eine. "Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll" rief die Andere, Nietzsche zitierend.
Und nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatten, nahmen sie auf einem Telefondraht Platz und beobachteten den ganzen Abend lang die ungewöhnliche Szenerie, die mit ihren Geschenken unzufriedenen Kinder und die streitenden Eltern. Und gerade als die Familie schlafen gehen wollte und die Fliegen ihre weite Reise insgeheim tief bereuten, kam die alte, von allen unbeachtete Oma daher, löschte die letzten Kerzen am Weihnachtsbaum und, mit einem gut gezielten Schlag, auch das Leben der beiden Fliegen aus. "Was die hier wohl in dieser Jahreszeit zu suchen haben" fragte sie sich noch, schaltete den Fernseher ein und entschlummerte friedlich in ihrem Sessel.



Eingereicht am 14. Dezember 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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