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Monsterweihnacht

© Torsten Houben


Oskar öffnete den Sargdeckel einen Spalt, schielte vorsichtig über den Rand seiner Schlafstätte hinaus und schnupperte an der herrlich modrigen Abendluft. Endlich war der Tag vorbei. Ständig plagten ihn Albträume von dreiköpfigen Monstern, Zombies und - ja auch von Vampiren. Das war umso beschämender, da Oskar selbst ein Vampir war. Sein Blut besorgte Oskar sich auf dem Schlachthof. Der Fleischer füllte es für ihn in blickdichte Flaschen ab, damit Oskar seine Mahlzeiten bei deren Anblick nicht schon schlotternd fallen ließ. Aber er war fast ein wenig stolz darauf, bei jedem Blutstropfen in Ohnmacht zu fallen. Das hatte auch etwas Gutes. Nicht umsonst war er neulich zum ersten Vorsitzenden der "Selbsthilfegruppe für ängstliche Erschrecker" gewählt worden. Das konnte nur der Ängstlichste werden. Wolfgang der Werwolf mit der panischen Angst vor Hunden und Franz der Zombie mit der Stauballergie hatten ebenso begeistert applaudiert wie Hannelore, die Hexe mit der Arachnophobie - schlechte Voraussetzungen für ihren Beruf, denn beinahe für jeden Zaubertrank wird als Zutat mindestens ein Spinnenbein benötigt.
Seine Freunde standen bereits um den Sarg herum. Da der Mond noch nicht voll war, erschien Wolfgang in seiner Menschengestalt und der Schein seiner Taschenlampe fiel in Oskars blutunterlaufene Augen.
"Pass auf wo du hinleuchtest. Ich vertrage kein Licht. Das weißt du doch oder willst du mich umbringen?", zischte der Vampir.
"B-b-bist d-du es Oskar? Ich d-d-dachte es wäre d-d-dein Onkel P-P-Paul.", stotterte der Werwolf, wobei er sich ängstlich umsah und das Licht abwechselnd mal in diese und mal in jene dunkle Ecke blitzen ließ.
"Der ist echt gruselig", sagte Hannelore und kratzte sich dabei an ihren Warzen. "Dem will ich nicht begegnen."
"Keine Sorge. Mein Onkel ist gleich nach Sonnenuntergang weggeflogen und kommt bestimmt erst kurz vor dem Morgengrauen zurück. Also was stellen wir heute schrecklich Schönes an?"
"Schrecklich? Muss das sein? Ich ... hatschi", der Zombie nieste von der Staubwolke, die aufgewirbelt wurde, als er sich am Kopf kratzte, "möchte nicht schrecklich sein."
Oskar sah Franz nachdenklich von oben bis unten an und entschied dann: "Du BIST schrecklich mein Lieber!"
"Oje", seufzte der Zombie.
"Wenn ich nicht wüsste, dass du ebenso ein Angsthase bist wie ich, würde ich weglaufen", setzte Wolfgang noch eins obendrauf.
Franz dachte eben darüber nach, wie gut es sei, keinen Spiegel zu besitzen, in dem er sich vor sich selbst erschrecken würde, als etwas Schwarzes vor seiner Nase baumelte.
Hannelore schrie auf: "Nein! Das auch noch! Franz, kannst du dein Ungeziefer nicht bei dir behalten? Mach sie weg! Sofort! Hilfe!"
Oskar nahm die Spinne zwischen Daumen und Zeigefinger und setzte sie Franz vorsichtig ins verfilzte Haar zurück. Er räusperte sich und ergriff dann wichtigtuerisch das Wort: "Ich eröffne die heutige Sitzung unserer Selbsthilfegruppe. Wer mag heute beginnen?"
Die Hexe hob unsicher den Besen.
"Hannelore, erzähle uns etwas über deine Probleme", wurde sie von Oskar ermuntert.
"Ich heiße Hannelore, bin eine Hexe und habe Angst vor -", sie brach ab.
"Vor was?", fragte Wolfgang.
"Vor Spinnen und anderen ekligen Sachen und vor bösen Hexen."
"Du bist eine böse Hexe", klärte Franz sie auf und fing dabei eine Kakerlake ein, die aus seinem Ärmel gekrochen war.
"Ich hab ja auch Angst vor mir." Hannelore senkte beschämt den Blick.
Der Vampir schüttelte besorgt den Kopf.
"Freunde, so geht das nicht weiter mit uns. Halloween ist vorbei und wir haben nicht einen einzigen Menschen schockiert. Niemanden! Nicht einmal einen Hund oder eine Katze haben wir erschreckt oder gejagt."
"Das geht ja auch nicht", warf Wolfgang ein.
"Warum? Was ist daran so schwierig?"
"Wir haben doch Angst vor Hunden."
"Und Katzen", fügte Franz hinzu.
"Und Menschen sind irgendwie seltsam." Hannelore winkte energisch ab.
"Es ist aber doch unsere Aufgabe. Wir müssen gruselig sein."
"Also du kannst unmöglich nach draußen. Ich frag mich wie die anderen Vampire das aushalten. Überall Lichter. Die Menschen haben überall Lämpchen und Kerzen. Sogar in den Bäumen. Was soll das?"
"Weißt du das nicht Franz? Du hast doch bestimmt auch mal Weihnachten gefeiert, als du noch gelebt hast", belehrte ihn Wolfgang.
"Wolfgang? Du siehst als Mensch zum Anbeißen aus", lenkte Oskar ab.
"Ich geb dir gern ein wenig Blut ab, wenn es dich glücklich macht. Ich hab genug davon."
"Nein lass mal lieber. Ich könnte dir wehtun."
"Ihr seid ja vielleicht Weicheier!", Hannelore fluchte und spuckte grünen Schleim auf den Boden der Gruft.
"Selber!", sagten die Anderen wie aus einem Mund.
"Was ist denn jetzt dieses Weihnachten?", fragte Oskar.
"Ein Fest der Liebe und Geschenke und Lichter und ..."
"Pfui Teufel!", fauchte der Vampir als er Wolfgangs Antwort hörte, der sich am besten mit Weihnachten auskannte, da er - außer in Vollmondnächten - ein normales Menschenleben führte.
"Weihnachten ist das Fest von Christi Geburt", sagte er feierlich.
"Geburtstagsfete?" Franz wurde aufmerksam.
"So ähnlich. Und man sagt auch, dass in der heiligen Nacht Wünsche in Erfüllung gehen können."
"Wir dürfen uns was wünschen? Das wird ja immer besser!", freute sich Hannelore und drehte vor Zufriedenheit eine übermütige Runde auf ihrem Besen. Diese dauerte nicht all zu lange, da sie außer den bekannten Problemen auch noch Höhen- und Flugangst hatte.
"Bei wem?", wollte Oskar wissen. "Und wann ist diese heilige Nacht?"
"Am 24. Dezember. Heute!"
"Wo ist die Fee? Wo kann ich mir was wünschen?"
Franz fasste Wolfgang am Kragen und schüttelte ihn ungeduldig, wobei seine sämtlichen Spinnen, Wanzen, Maden und Kakerlaken aus seiner fauligen Kleidung und seinen Haaren fielen und sich über den Boden verteilen, was wiederum Hannelore in Panik versetzte und sie zu wilden Hexereiversuchen antrieb um das Ungeziefer zu beseitigen. Es gelang ihr nur teilweise. Einige der Krabbler verwandelten sich in Katzen, der andere Teil wuchs auf die dreifache Größe heran, worauf das Geschrei der Hexe noch größer wurde, Wolfgang sich mit einem Hechtsprung in Oskars Sarg verkroch - nicht ohne sich dabei die Hand an einem herausragenden Nagel aufzuritzen - was wiederum Oskar zuerst das Wasser im Mund zusammen- und dann die Gesichtsfarbe grünlich anlaufen ließ. Schließlich fiel er in Ohnmacht.
Ein warmes, schimmerndes Licht beruhigte die Anwesenden. Man sah zwar besorgt auf den am Boden liegenden Vampir, aber diese Art von Helligkeit schien ihm nicht zu schaden. Im Gegenteil. Er schlug die Augen auf und erhob sich. Ein hübsches Kind mit blonden Löckchen, weißem Gewand und strahlend blauen Augen stand mitten unter den Monstern. Zuerst spürte es Wolfgang, dann Oskar. Franz und Hannelore hatten ebenfalls dieses merkwürdige Gefühl im Inneren. Er hatte sie ergriffen, der Zauber der Weihnacht.
"Ich habe euch gefunden", sagte das Kind. "Ihr seid die Letzten in dieser Nacht, die ich segnen möchte."
"Warum?", fragte Oskar, der als Erster die Sprache wiederfand.
"Weil es so sein soll. Ich bin das Christkind. Ihr sollt in dieser besonderen Nacht nicht leer ausgehen. Weil ihr anders seid als die Menschen, seid ihr doch nicht schlechter als sie."
"Es ist furchtbar traurig mit uns", erklärte der Vampir. "Zu den Menschen gehören wir nicht und da wir feige sind und wir mehr Angst haben, als die Leute, denen wir Angst machen sollten, haben uns die Monster ebenfalls verstoßen."
"Ihr seid nicht feige. Ihr besitzt eine wundervolle Gabe, die vielen Menschen fehlt", sagte das Christkind.
"Und was soll das sein, hä?", zischte Hannelore misstrauisch.
"Mitgefühl und Herzlichkeit", bekam sie zur Antwort.
"Was ihr Angst nennt", fuhr das Christkind fort, "ist die Unfähigkeit anderen weh zu tun - weder seelisch noch körperlich. Das ist keine Schwäche, sondern eine Stärke. Die Angst jemanden zu verletzen ist eine andere, als die Angst vor etwas Furchtbarem. Wenn ihr das begreift, beginnt für euch ein neues Leben."
Mit diesen Worten verschwand das Christkind, als wäre es niemals da gewesen.
Die Erschrecker sahen sich an.
"Ich habe gar keine Angst vor Hunden. Ich habe nur Angst, dass ich sie beißen könnte und sie sich weh tun", meinte Wolfgang.
"Ich habe keine Angst vor Blut, nur davor, was ich tun müsste, um an es heranzukommen", stellte Oskar fest.
"Ich habe keine Angst vor Krabbeltieren. Nur davor aus Versehen eines zu zertreten", beichtete Hannelore.
"Ich habe ... ich habe ..." Franz wusste nicht so Recht was er sagen sollte. "Ich habe Angst vor Staub?", fragte er in die Runde.
"Nein, das ist keine Angst, sondern eine Allergie. Das ist eine Krankheit und hat nichts mit Angst zu tun", erklärte Oskar.
"Dann hat Franz gar keine Angst?", bewunderte ihn Wolfgang.
"Doch, habe ich", sagte Franz. "Ich habe Angst solch tolle Freunde wie euch zu verlieren."
Daraufhin geschah etwas, das es wohl noch in keiner Gruft gegeben hatte oder jemals wieder geben wird. Alle vier Monster fielen sich in die Arme, schworen immer zusammenzuhalten und wenn man in dieser Nacht auf dem Friedhof besonders gut lauschte, dann konnte man sogar hören, wie Wolfgang der Werwolf seinen Freunden beibrachte "Stille Nacht, heilige Nacht" zu singen.



Eingereicht am 22. November 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

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