Die kleine Tanne
© Ingrid Linnenberger
Auf einer großen Wiese mit vielen bunten Blumen, Klee und Sauerampfer stand eine kleine Tanne. Nachmittags kamen die Kinder und spielten auf der Wiese. Die kleine Tanne freute sich, wenn sie die Kinder sah. Manchmal spielten sie mit der Tanne. Sie nahmen sich an den Händen, bildeten einen Kreis und hopsten um die Tanne herum. Die Kinder lachten und drehten sich immer schneller. Der kleinen Tanne wurde ganz schwindelig, den Kindern auch. Sie ließen ihre Hände los und plumpsten auf die Wiese.
Die Kinder kamen fast jeden Tag. Nur wenn es regnete, wartete die kleine Tanne vergebens. An den Regentagen war es der Tanne schrecklich langweilig. Aber sobald die Sonne da war, kamen die Kinder wieder. Das ging den ganzen Sommer so.
Dann kam der Herbst. Das Wetter änderte sich. Es regnete viel und der Wind sauste um die kleine Tanne. Doch es gab auch schöne Tage. Die Kinder hatten dicke Westen an, weil der Wind sauste und brauste und weil es kühl war. Sie ließen ihre selbst gebastelten Drachen steigen. Das war eine Freude für die kleine Tanne. Sie beobachtete die Kinder und ihre Drachen sehr genau. Alle Drachen waren bunt angemalt. Sie hatten lange Schwänze, die im Wind hin und her flatterten. Die Drachen stiegen höher und höher. Die Kinder
mussten ihre Drachen gut festhalten. Die kleine Tanne schaute in den Himmel und bewunderte die Drachen.
Dann wurde es spät und die Kinder holten ihre Drachen herunter. Sie wickelten die Schnur um eine Spule und die Drachen kamen langsam der Erde näher. Jetzt wusste die kleine Tanne, dass sie bald wieder alleine sein würde. Die Kinder nahmen ihre Drachen und liefen lachend nach Hause. Das ging den ganzen Herbst so.
Dann kam der Winter. Die Tage wurden kürzer und es wurde bitterlich kalt. Die Kinder kamen nur noch selten. Die kleine Tanne fühlte sich sehr einsam und allein. Es gab auch schöne Wintertage und die Kinder spielten wieder um die Tanne herum. Sie hatten dicke Jacken an, bunte Mützen, gestrickte Schals und Handschuhe. Doch die Kinder blieben nicht lange, weil es sehr früh dunkel wurde und sie nach Hause mussten.
Eines Tages schneite es. Die Schneeflocken fielen vom Himmel und deckten die kleine Tanne langsam zu. Der Schnee schützte sie vor der klirrenden Kälte. Rundherum war alles weiß und es war sehr still. Die kleine Tanne schaute den tanzenden Schneeflocken zu. Am Nachmittag kamen die Kinder. Dann war die Ruhe zu Ende. Die Kinder tobten und lachten. Sie bewarfen sich mit Schneebällen und ließen sich in den Schnee fallen. Die kleine Tanne freute sich mit den Kindern.
Die Nächte waren sehr kalt. Doch der Schnee wärmte die kleine Tanne. Der Schnee glitzerte im Mondenschein. Das sah sehr schön aus. Manchmal bekam die Tanne Besuch von den Tieren. So kam die Eule vorbei und setzte sich auf ihre Zweige. Auch die Rehe aus dem nahe gelegenen Wald besuchten die kleine Tanne. Dann konnte man am nächsten Morgen ihre Spuren sehen.
Am Nachmittag kamen die Kinder und spielten im Schnee. Es hatte wieder angefangen zu schneien. Die Kinder bauten neben der kleinen Tanne einen kleinen Schneemann. Er war so groß wie die kleine Tanne, mit einem Hut auf dem Kopf. Nachts freute sich die kleine Tanne über den glitzernden Schnee und dass sie nicht alleine war. Am Nachmittag kamen die Kinder und liefen um die Tanne und den Schneemann herum. Sie bewarfen sich mit Schneebällen und ließen sich in den Schnee fallen. Bald kam wieder die Zeit, da mussten
sie nach Hause.
Es wurde dunkel und die Nacht kam. Die kleine Tanne und der Schneemann freuten sich über den glitzernden Schnee. Doch die Nacht war anders als sonst. Es war still. Der Schnee glitzerte im Mondenschein und der Himmel war sternenklar. Die Sterne funkelten und der Mond strahlte. Es war ein geheimnisvolles Licht. Die kleine Tanne und der Schneemann fühlten sich wie verzaubert. Zum ersten Mal war die kleine Tanne traurig, dass die Nacht zu Ende war.
Auch am Nachmittag als die Kinder kamen, war sie noch gefangen von dem Zauber der Nacht. Die kleine Tanne wunderte sich. Die Kinder tobten nicht wie sonst, sondern kamen direkt auf die Tanne zu und schmückten ihre Zweige mit bunten Kugeln und selbst gebastelten Strohsternen. Auch der Schneemann bekam einen Strohstern angesteckt. Die Kinder sangen wunderschöne Lieder und als es dunkler wurde, zündeten sie Kerzen an.
Da war wieder dieser Zauber. Die Kinder sangen und die Kerzen leuchteten. Der Schnee glitzerte und die Sterne strahlten. Die kleine Tanne spürte, es war eine besondere Zeit! Weihnachten!