Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Mann im Mond
Von V. Groß
Kennt ihr den Mann im Mond? Jeder kennt ihn doch. Niemand, oder fast niemand, glaubt jedoch, dass er wirklich existiert. Aber, und nun gebt recht gut Acht, es gibt ihn wirklich. Ja, er existiert, und er lebt dort oben ein stilles Leben ganz für sich allein. Woher ich das weiß? Nun, ich sah ihn des Öfteren, wenn ich in meinem Raumschiff unterwegs war von einem Ende der Galaxie zum anderen, so wie es meine Pflicht ist. Immer wenn ich also am Mond vorbeiflog, da sah ich aus meinem Fenster den Mann im Mond. Immer
wanderte er in sich versunken rund um die Kugel durch den grauen Staub, der dort oben überall zu finden ist. Immer schien er sehr tief in sich versunken und wanderte schweigend. An einem Tag, es war der Weihnachtstag, empfand ich schließlich Mitleid mit dem stillen, ewig wandernden Gesellen. Ich entschloss mich zu einer Landung, um auch ihm die Weihnacht zu bringen und ein bisschen Abwechslung in seinen Alltag zu zaubern. Mit lautem Getöse landete ich also auf der Oberfläche des Mondes und stieg aus. Der Mann
im Mond, übrigens ein hagerer Geselle in schwarzem Gewand, kam auf mich zu, schien mich jedoch nicht zu bemerken. Ich sprach ihn an. Ich erklärte ihm, warum ich gelandet war, und er hörte mir aufmerksam zu während ich sprach. Mit der Zeit bemerkte ich, dass ich Recht gehabt hatte mit meiner Vermutung darüber, dass dieses Leben, das er führte, doch recht langweilig und eintönig sein musste. Er gab dies schließlich auch zu und wirkte sehr traurig dabei. Manchmal, so erzählte er mir daraufhin, sehne er sich nach
Gesellschaft und sei es entschieden leid, immer um diese fruchtlose, tote Kugel zu wandern. Er rührte mein Herz und ich sah sogar das Glitzern winziger Tränen in seinen Augen, die er jedoch vor mir zu verheimlichen suchte. Ich machte ihm einen Vorschlag und erklärte ihm, er solle hier an dieser Stelle warten, bis ich zu ihm zurückkehren würde. Schnell lief ich hinüber zu meinem Raumschiff, kletterte die Leiter nach oben und verschwand im Inneren, um einige Dinge zu holen, die ich für die Überraschung benötigen
würde. Er blieb tatsächlich in einiger Entfernung stehen und sah, wie ich aus dem Fenster der Rakete erkennen konnte, neugierig zur mir herüber. Bald hatte ich alles, was ich benötigte in einen riesigen Sack gesteckt und schickte mich an diesen die Leiter hinunter auf die Oberfläche des Mondes zu bugsieren. Mit meiner Fracht wieder bei ihm angelangt, begann ich den Inhalt des Sacks auszupacken. Ich brachte zuerst einen kleinen, viereckigen Tisch zum Vorschein, den ich zwischen uns aufstellte. Dann folgten zwei
Stühle, die ich jeweils an einer Seite des Tisches postierte. Ich bot dem Mann im Mond, der mich immer noch mit neugierigen Augen betrachtete, an, sich zu setzen. Er tat dies und ich fuhr fort allerhand Dinge aus meinem Sack hervorzuholen. Das alles geschah, wie sie sich vielleicht vorstellen können, wenn sie nur ein wenig über den Mond wissen, in absoluter Geräuschlosigkeit. Um uns war nichts als die Stille des Mondes, das endlose Grau der staubigen Landschaft und über uns das von glitzernden Sternen durchsetzte
schwarze Nichts des Weltraums. Unter seinen ungläubigen Augen förderte ich nun eine weiße Tischdecke zu Tage und breitete sie auf unserem Tisch aus. Nachdem ich sie sorgfältig glatt gestrichen hatte, folgten ein silberner Kerzenleuchter, feinstes Geschirr und Besteck, sowie zwei kristallenen Weingläsergläser bester Qualität, welches ich alles sorgsam vor unseren Plätzen aufstellte. Zwei wundervoll gefaltete Stoffservietten, die ich sorgsam auf seinen und meinen Teller drapierte, bildeten den Abschluss meiner
Vorbereitungen.
Daraufhin lief ich noch einmal zum Raumschiff zurück, um eine Flasche Wein zu holen und das Essen zuuzbereiten. Während der Gänsebraten in der Raumschiffküche garte, saßen wir beide, ich und der Mann im Mond, an unserem Tisch und ich öffnete den Wein, den ich anschließend für uns beide ausschenkte. Und so nahm unser Weihnachtsessen seinen Lauf. Es stellte sich heraus, dass der Mann im Mond durchaus ein Genießer war und eine sehr amüsanter Gesellschafter dazu. Er kam ins Plaudern, und seine Geschichten waren von
großer Vergnüglichkeit für mich. Er berichtete von den tiefen Gedanken, die ihn so beschäftigten, wenn er auf seinem einsamen Weg war, beschrieb mir die vielen phantastischen Phänomene, die er manchmal im Weltraum beobachten konnte und schwärmte zuletzt von der Schönheit der weiß-blauen Erdenurmel, die ihm ein ständiger Trost war in der Verlassenheit seiner Existenz.
Nach dem Essen verabschiedeten wir uns herzlich voneinander, und ich versprach, dass ich von nun an immer mal weder bei ihm vorbeischauen würde, um ihm ein wenig Gesellschaft zu leisten und ihm den neusten Klatsch und Tratsch von der Erde zu berichten.
Nun, das war's.
Wenn sie in klaren Nächten ein Fernrohr auf den Mond richten, dann werden sie ihn, mit etwas Glück, sehen können, wie er dort oben einsam seine Runden dreht und seine tiefen Gedanken wälzt. Oder, wenn das nicht gelingt, so bitte ich sie: Vielleicht denken sie ab und zu an den einsamen Mann dort oben, denn der Mond und sein seltsamer Bewohner sind uns näher, als wir denken.
Sie glauben nicht an den Mann im Mond?
Sie glauben nicht an die Wahrheit meiner Geschichte?
Sie sagen, das wäre unmöglich?
Nun, dann, so versichere ich Ihnen, glauben Sie auch nicht an Weihnachten.
Wenn Sie einen Kommentar abgeben möchten,
benutzen Sie bitte unser
Diskussionsforum.
Unser Autor ist sicherlich
genau so gespannt auf Ihre Meinung wie wir und all die anderen Leser.
Eingereicht am 21. Juni 2004.
Herzlichen Dank an den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.