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Aus dem Leben der Pfefferkuchen.

Von Mandy Vogel


Die Pfefferkuchen existieren eigentlich schon lange bevor wir sie als eben diese Leckerei in vielfältiger Gestalt sehen können. Aber wer weiß das schon und wer hört in dieser mit Lärm gefüllten Zeit noch dünne, kleine, leise Stimmen? Dabei könnte man sie wirklich hören, wenn man ganz still wäre und würde merken wie sie mit uns reden und unsere Phantasie zu außergewöhnlichen Formen und Figuren beflügeln. Es sind nämlich kleine Seelen, die am Anfang in einer zähen, braunen Teigmasse stecken und sich natürlich bedrückt fragen, was das eigentlich soll und die nach außen rufen, dass sie doch hübsche kleine Kerlchen wären, wenn man sie befreien würde. Sie wollen alle aus dieser unangenehmen Umarmung entweichen und das führt dazu, dass der Teig geht und größer und größer wird. Sie begreifen ganz und gar nicht, warum sie immer dann wieder in die Mitte geknetet werden, wenn sie sich gerade zum Rand durchgekämpft haben, aber es soll wohl gerecht zugehen, dass jeder einmal an die Randposition kommt. Meistens erbarmt sich nach ein paar Tagen jemand und hilft mit, dass so richtig viel Platz nach allen Seiten geschaffen wird und die kleinen Kerlchen endlich alle Luft bekommen. Die Teigrolle aus Holz drückt zwar recht mächtig, aber anschließend sehen sie alle das Licht und die vielen Farben im Zimmer, die sie ganz glücklich machen. Die Leute, die nie die Stimmchen gehört haben, nehmen große Schablonen mit vielen ausgestanzten Formen und stülpen sie über den ausgerollten Teig. "Nun gut", denken dann die Pfefferkuchen, "besser als im Teig zu stecken ist es schon." Aber manche Pfefferkuchen haben wirklich das seltene Glück, dass sie dort geboren werden, wo man sie gehört hat. Zu denen, die ihren Stimmchen lauschen, gehören meistens kleine Händchen, die ganz besessen davon sind, genau das aus dem Teig zu machen, was sich die Teiginsassen wünschen. Da werden keine uniformierten, gleichartig aussehenden, braunen Kolonnen im Eiltempo produziert, sondern jeder Pfefferkuchen wird mit viel Liebe zu einem unverwechselbaren, einzigartigen Exemplar geformt. Die Küchlein finden es unangenehm, anschließend auf ein meist noch heißes Blech gelegt zu werden, aber wenn sie merken, dass die Wärme schöne runde Bäuchlein schafft, ist das bald vergessen. Es kommt vor, dass sie den Nachbar anstoßen und fragen, ob sie nicht ganz und gar hübsch sind. Manchmal findet dann der andere so viel Gefallen an seinem Nebenan, dass er ihn festhält und nicht mehr loslässt. Das könnte eine Pfefferkuchenhochzeit sein. Nach dem Backen kommt die herrlichste Zeit im Leben der kleinen Gesellen. Sie werden bunt bemalt und mit Augen, Mund, Knöpfen und viel Schmuck aus Zuckerzeug verziert und dürfen bald im Glanz der Weihnachtslichter und Duft des Tannengrüns einfach so daliegen und glücklich sein. Damit hat sich ihr sehnlichster Traum erfüllt. Wenn sie auch noch hochgehoben werden von kleinen Händchen und so recht bewundert werden von glänzenden kleinen Äuglein, werden sie ganz daumelig vor Freude. So merken sie gar nicht, dass nach und nach alle ehemaligen Teigmitbewohner verschwinden, weil sie in die Kinderbäuche wandern. Vielleicht wissen sie aber auch, dass sie als gute Erinnerung in den Köpfen der Menschen bleiben werden wie in einer kleinen Schatztruhe.


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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