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Logenplatz bei -2° C

Von Michaele Kraft


Maumau, ich bitte um Gehör. Ich bin Pepina eine kleine weiße Katze mit Tigerfellmantel. Es ist mir etwas peinlich, aber das Tigerfell ist am Bauch, den Füßen und am Ärmel herausgewachsen, so dass mein schönes weißes Fell sichtbar wird. Meine Menschen finden mich schön und anstrengend (Letzteres kann ich gar nicht verstehen).
Einmal im Jahr werden meine täglichen Katzengeschäfte jäh gestört. Meine Schlafdecke fliegt raus (dieses unordentliche Teil kann ich nicht mehr sehen, knurrt mein Mensch) und statt dessen schleppen meine Menschen einen Baum ins Wohnzimmer. Hurra, ich bekomme einen Kletterbaum, dachte ich beim ersten Anblick dieser Prozedur. Von wegen Kletterbaum; Nadeln hat dieses Teil. Ich bin eine Katze und kein Fakir! Dann wird dieser Baum mit wunderschönen Glitzerkugeln geschmückt. Ich versuche immer, so einen Kugel zu erhaschen bevor sie am Baum hängt, man kann sie prima jagen und wenn sie gegen ein Tischbein donnert, klirr schlägt die Kugel tausend Funken. Menschen haben für dieses Wunder kein Verständnis, packen mich und setzen mich vor die Türe. Durch das Fenster beobachte ich den Fortgang der Dinge. Mein Mensch breitet eine grüne Schnur mit kleinen Kerzen auf dem Boden aus. Wie durch Zauberhand ist die Schnur jedes Jahr verheddert und mein Mensch tobt und stampft. Nachdem die Schnüre entknotet und der Mensch beruhigt ist, werden die Kerzen im Baum verteilt. Spätestens wenn nun der Mensch den Stecker in die Steckdose steckt und die Kerzen nicht brennen, erfolgt erneutes Toben und Stampfen. Brennen die Kerzen, kann Katze Toben und Stampfen auch durch Berühren der grünen Schnüre auslösen. Alles schaukelt: Baum, Licht, der Mensch, aber Vorsicht, der Baum ist gefährlich, er pickt. Wenn oben auf der Tannenspitze ein Engel sitzt (bei manchen Menschen ist es ein Stern) ist das Baumschmücken beendet. Die interessanten Kisten (Glitzerkugeln) werden verpackt und ich arme Katze darf wieder herein. Der Mensch strahlt glücklich mit dem Baum um die Wette und ich überlege die nächsten vierzehn Tage: wie komme ich an den Engel ohne mir die Pfoten zu zerstechen.
Es ist Weihnachtszeit, die Zeit der Lichter, der Düfte und der Katzen vor der Türe. Es stimmt, nie im Jahr ist mein Mensch so gereizt und nervös und nie sitze ich so oft draußen und darf das Treiben durchs Fenster betrachten. Wenn der Baum schön geschmückt ist, verschwindet die Hausfrau in der Küche. War ich ruhig und unsichtbar darf ich hinterher schleichen, sonst: Logenplatz Fensterbank bei -2°C! Oh wie das duftet. Im Backofen schmort eine Gans, ich habe Kinnwasser denn jedes mal wenn sich die Ofentür öffnet, und die öffnet sich oft, das Tier muss laufend übergossen werden, hüllt mich eine Duftwolke ein. Aber nichts für die Katz, der Ofen ist viel zu heiß. Jetzt beginnt die Hausfrau, den Teig durch die Nudelmaschine zu drehen. Zur Feier des Tages gibt es selbstgemachte Nudeln. Lange flache Teigplatten kriechen aus der Maschine. Die Frau kurbelt und der Teig wächst und nun macht sie Nudelluftschlangen. Diese werden, bis genügend aus der Maschine gekurbelt sind, über die Stuhllehne gehangen. Das baumelt sooooo schön. Ich vergesse alle Vorsicht und angele mir ein Nudelband. Kralle raus, zack, Nudel aufgespießt und nichts wie weg. "Du verdammtes Katzenvieh!" Die Tür geht auf. Alles was Spaß macht ist verboten.
Von draußen sehe ich der Hausfrau beim Tischdecken zu. Weißes Tischtuch mit goldenen, sternverzierten Bändern (ob man daran ziehen kann?) Besteck, Teller, Gläser und kleine Engelchen marschieren über den Tisch. (Toll, die kann ich gleich runter fegen und jagen.) Ziemlich erschöpft und fein geputzt, Menschen wechseln ihr Fell ja täglich lässt sich meine Menschenfrau auf dem Stuhl nieder. Aber nur kurz, sie treibt die Kinder zur Eile. "Wir müssen noch in die Kirche und Opa und Oma kommen gleich." Da fällt ihr Blick auf die drei Monster, die noch friedlich auf dem Wohnzimmertisch liegen. Engel sind das, in mühsamer Arbeit mit den Kindern gebastelt. Das war ein Spaß, Zeitung wurde zerfetzt, da konnte ich helfen, nur der Sprung in diese eklige kalte Masse (Kleister hieß das) stoppte mein Bastelvergnügen jäh. "Die Engel sollen doch hängen, wie oft habe ich dir das schon heute gesagt", meckert sie den Hausherrn an. Der verschwindet im Keller, sie geht nach oben. Mir ist kalt, ich langweile mich. Nichts zu sehen! Ich will gerade schreien, da kommt er mit der Schlagbohrmaschine aus dem Keller, steigt im feinen Fell (Anzug heißt das) auf den schön gedeckten Tisch und bohrt ein Loch in die Decke. "Leise rieselt der Schnee", das singen die Menschen doch immer. Die Frau kommt die Treppe herunter, aber ihr ist nicht nach Singen zumute. Toben und Stampfen ist angesagt. Mitten beim Entfernen der weißen puderigen Spur klingelt es. Die Großeltern stehen vor der Tür. Die Kinder werden in Mäntel gezerrt, alle laufen hektisch hin und her , die Oma sagt: "Oh, was für ein schöner Baum, der ist ja ganz großartig." Die Menschen drängen zur Haustür. Schnell, ich muss mich sputen, um das Haus geflitzt und zwischen den Beinen ab ins Warme. Drinnen ist es ruhig. Die vielen Düfte nehmen mir den Atem und ganz benommen vor Wonne suche ich nach einem Schlafplatz. Meine Decke ist raus geflogen. Mhm, was duftet denn so nach Wald? Der Baum ist es nicht, ah jetzt hab ich's, da auf der Fensterbank liegt Moos. es sitzen zwar ein paar komische Figuren und Steine darin, aber die sind schnell weggeschoben. Die drei Typen mit dem Kamel lasse ich stehen, die stören mich nicht. So jetzt zweimal drehen und niederlegen, oh ist das Moos weich und die Heizung warm, oh wie geht es mir gut, was für ein Frieden. Ein Kreischen reißt mich aus meinen schönen Träumen. "Du verdammtes Katzenvieh! Raus aus der Krippe!" Mein Mensch tobt und stampft. Ich laufe freiwillig zur Tür.
Die Kinder quengeln, sie wollen Geschenke. An Weihnachten machen sich die Menschen gegenseitig Geschenke, das geht manchmal so weit, dass sie vor lauter Geschenken die Freude vergessen. Sie schleppen wochenlang viele Päckchen ins Haus, haben Stress und wir Katzen werden von den interessanten Schleifchen und Bändern weg gejagt. Dann verschwinden die Päckchen in diversen Schränken, Ecken und Ritzen. Jetzt werden Kinder mit Opa und Oma in den Keller geschickt, ich werde vergessen, die Tür bleibt zu und die beiden Elternmenschen rennen hin und her, schleppen die Päckchen an und drapieren sie unter den Baum. "Wo habe ich bloß das Geschenk für Tante Frieda versteckt?" stöhnt die Hausfrau. "Hier nimm dies", ihr Mann drückt ihr ein Päckchen in die Hand. "Oh, das ist ja an Geschenk aus dem Vorjahr, ich erkenne es an dem blauen Mondpapier", wundert sie sich. Nachdem alle Päckchen verstaut sind läutet ein Glöckchen. Die Kinder stürzen nach oben, hin zu den Geschenken, aber sie werden abgebremst. Erst steht Singen und Gedicht Aufsagen auf dem Programm. Dann gibt's kein Halten mehr, auf die Geschenke, fertig, los. Herrlich! Papier fliegt, Schleifen fliegen und ich mittendrin und kein Toben und Stampfen. Himmlisch! Nachher gibt es Essen für Groß, Klein und die Katze. Typisch, für mich gibt's nur die Dose. Am Esstisch naschen? Keine Chance, ich sehe es schon vor mir: Toben, Stampfen, Türe auf. Ich schleiche ins Wohnzimmer und da steht ganz unbeobachtet und einsam eine Schüssel mit Plätzchen auf dem Tisch. Schnell gestreckt, Pfote hoch, Kralle raus. Oh Mist, ich wollte doch nur einen Keks, nicht die ganze Schüssel. Schnell ab unter das Sofa, hier gibt es keine Katze.
Den Kindern wird das Festmahl langweilig, sie kommen zurück zu ihren Geschenken. Auf dem Fahrrad sind die Schraubenschlüssel vergessen worden, die schnappt sich der Mittlere. Er krabbelt zum Baum, reckt sich und pling, pling, klirr lauter Wunderkugeln. Wir sind beide sehr fasziniert. Die Hausfrau auch! Ihr war diese Ruhe im Wohnzimmer sehr verdächtig vorgekommen und sie musste dringend mal um die Ecke schauen. Ich warte auf Toben und Stampfen, Türe auf, doch der kleine Mensch zeigt stolz auf sein Werk, die drei letzten Kugeln im Baum und kräht: "Da nit dran gekommt." Da lacht sie und schließt ihn in ihre Arme. Der Staubsauger und der weihnachtliche Frieden ziehen ein.
Später liest sie, die Kinder an sich geschmiegt, die wunderschöne Geschichte vom Kind im Stall, Maria, Josef, den Hirten, Engeln und den Tieren. Ich liege auf ihrem Schoß und schnurre und weiß ganz genau: Draußen vor der Stalltür saß eine Katze. Logenplatz bei -2° C.


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