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Josef

Von Raiko Milanovic


"Josef", Maria blieb stehen, "warte." Josef hörte auf an dem Esel zu zerren und kam zu ihr.
"Kommt es?"
"Nein, noch nicht." Josef legte seine Hand kurz auf ihre, die den Bauch hielt, und blickte am Esel vorbei. Bethlehem war nicht mehr weit, hinter den Hügeln, aber sie würden es nicht mehr bis dort hin schaffen. Vielleicht war es besser so. Man hatte sie vor dem Ort gewarnt. Josef seufzte und löste einen Ballen vom Esel.
"Komm." Maria setzte einen Fuß auf den Ballen und stieg schwerfällig auf. Josef half ihr, schob und rückte bis sie saß, und nahm den Ballen auf. Mit der freien Hand griff er nach dem Strick und zog. Doch der Esel regte sich trotz Zerren und Ziehen nicht und richtete seinen Kopf tumb zu Boden.
"Komm schon du Vieh." Josef zerrte weiter, ohne den Esel bewegen zu können. Er ließ den Strick fahren, fand einen dürren Ast und schlug den Esel halbherzig, ohne ihn erweichen zu können. Schließlich knüpfte er einen weiteren Knoten auf, auch der zweite Ballen fiel, und er schulterte auch diesen, staubigen, Ballen.
Er hatte kaum die Hand zum Strick ausgestreckt, als der Esel, entgegen der Art seiner Gattung, folgsam los trottete. Josef lachte auf "Ein Wunder Maria." Er rückte die Ballen auf seinen Schultern zurecht und ging los. Ging eine gute Stunde, ging mit stoischen Schritt, vom gleichgültigen Esel gefolgt, bis sie die ersten Hügel vor Bethlehem erreichten.
Josef ließ die Ballen fallen und reckte sich. "Lass uns hier übernachten."
Sie suchten und sie hatten Glück. Ein Stall, der weder von Tieren noch Hirten beansprucht wurde. Josef musterte die Grotte, die an den Seiten mit Steinen bewehrt war.
"Besser, ich hole Dornenreisig."
Er stieg in die Hügel und kehrte bald mit den Armen voller Zweigen zurück. Sie waren hart und dornig und nicht wenige zerstachen ihm die Arme. Maria hatte für Feuer gesorgt und schaute ihm lächelnd dabei zu, wie er den Schutz aufschichtete.
"Das wird die Schakale abhalten mein Löwe. Komm, und iss."
Josef wurde von einem Mähen abgehalten. Ein Schaf äugte durch den Spalt im Dornenwall.
"Schau nur, was für hohen Besuch wir haben."
Das Schaf trottete nickend näher und ließ sich neben Maria nieder.
"Es wird sicher seine Milch mit uns teilen." Sie streichelte sein Fell.
Josef nahm sich Fladen und Datteln und Oliven; was es eben so auf einer Reise gab und setzte sich zu Maria. Sie aßen schweigend und schauten dem Flammenspiel zu.
"Ich hatte gestern Nacht einen merkwürdigen Traum." Maria zerbrach etwas Reisig bevor sie weiter sprach. "Ich träumte von unserem Sohn."
Josef lächelte sie unsicher an, aber Maria sagte: "Ich bin sicher, es wird einer, denn das Kind das ich gebar war männlich."
Maria nahm einen Fladen und brach etwas für Josef ab.
"Ich war auf einem hohen Berg. Es war kalt und ein Wind ging. Es war der höchste Berg der Welt, höher als alle Berge Urs und größer als alle Angst."
Sie schüttelte nachdenklich ihren Kopf.
"Ich war allein auf dem höchsten Berg der Welt und dennoch fürchtete ich mich nicht."
"Erzähl weiter."
"Dort gebar ich unseren Sohn, ganz ohne Schmerzen. Mit einem Male war das Kind."
Josef lächelte sie unsicher an.
Sie lehnte sich an Josef. "Ich bin sicher, dass es ein Sohn wird."
Sie blickte zurück ins Feuer.
"Dann kam ein großer Vogel, der trug in seinen Klauen ein goldenes Ei. Er umflog uns drei mal bevor er sich nieder ließ."
"Ein großer Vogel sagst du? Ein Adler?"
"Nein, kein Adler. Er war ja ganz blau."
"Der Vogel Rok?"
"Ich glaube nicht, ich weiß es nicht."
"Und dann?"
"Er ließ sich nieder und legte das goldene Ei vor uns nieder. Es leuchtete ganz hell. Nicht wie der Mond, nicht wie die Sonne, aber wunderhell."
Josef legte Holz nach und setzte sich wieder zu Maria. Er legte einen Arm um sie und den anderen auf ihren Bauch. Er schaute zum Himmel hinauf, an dem der Vollmond stand.
"Und dann?"
"Der Vogel breitete seine Schwingen aus, um uns vor dem Wind zu schützen und sang. Es war eine ferne Melodie, ich konnte nicht verstehen was er sang, aber es beruhigte mich sofort. Ich fühlte mich ganz sicher auf dem höchsten Berg der Welt und das Kind spielte mit dem Ei. Dann wachte ich auf."
Josef schaute ins Feuer.
"Ein gutes Omen. Das Kind wird gesund und stark sein."
Sie saßen noch eine Weile und schauten schweigend ins Feuer. Der Mond war bereits eine Stück gewandert, als sie Laute hörten. Josef sprang auf, aber es waren nur zwei Hirten, vom Feuer angelockt.
"Fürchtet nichts, wir suchen nur ein Schaf."
"Das wartet hier bereits auf euch," sagte Josef und ließ den Knüppel fallen.
Die Dornenbüsche wurden zur Seite gezerrt und sie traten ein. Man half einander in der Wüstennacht und war sich ohne Worte eins welcher Zweig wohin, welcher Reisig worin gesteckt wurde und Josef wusste ihn geschickt zu schichten. Schließlich bat er sie ans Feuer.
Maria reichte Fladen und die restlichen Oliven und einer der Hirten, er trug ein Lamm, steuerte Käse bei.
Der Käse war frisch, die Fladen noch kross, es dauerte nicht lang und man hatte aneinander Gefallen gefunden und erzählte. Ja, man sei wegen der Zählung da; man müsse nach Bethlehem.
Oi, Bethlehem! Kein guter Ort in dieser Zeit. Zu viele Leute, nicht alle rechtschaffend, und es mangelte an allem. Hirse wurde in Handvoll bemessen und die Städter geizten mit dem Wasser. Raufhändel und Dieberei gab es überall in der Stadt, das war kein Ort für ehrliche Menschen.
Und die Römer? Den Römern war das gleich, sie waren es zufrieden zu zählen. Dem Fremden blieb kein Recht - Bethlehem war kein sicherer Ort. Besser, sich eine Bleibe am Stadtrand suchen und nur kurz zum Schreiber und dann wieder fort.
Josef nickte dazu, was half es, er musste halt dort hin.
"Ich sehe, auch deine Herde vergrößert sich", sprach der, der das Lamm getragen hatte augenzwinkernd zu Josef.
Josef lachte: "Vielleicht schon heute; wer weiß?"
"Es wird sicher ein Sohn."
"Sicher, denn Maria hatte einen Traum. Erzähl ihn unseren Gästen."
Nachdem Maria geendet hatte, stand der Lammträger auf, ging an die Dornenbüsche und blickte in die Wüstennacht. Er schwieg und die anderen warteten, bis er sich umdrehte.
"Auch ich habe von einem Berg geträumt, gestern. Ich war allein. Ich suchte meine Herde. Ich suchte im Wadi. Ich suchte im Tal und vermochte sie nicht zu finden."
Der Hirte räusperte sich.
"Mit einem Male hörte ich eine Melodie. Eine ferne Melodie, wie ein Vögelchen, das sich hoch oben in der Luft hinter den Wolken verbirgt. Ich fürchtete mich, doch die Melodie lockte mich und ich ging zum Berg. Dort fand ich meine Herde."
Er zuckte mit den Schultern: "Und heute, als wir ein Schaf suchten, sahen wir euren Feuerschein."
Er zuckte noch einmal mit den Schultern. "Wer weiß, vielleicht hat uns der Traum hierher geführt."
Er schaute zum Mond hinauf. "Es muss ein Omen sein, aber ist es ein gutes Omen?"
Niemand antwortete.
"Die Zeiten sind hart. Nicht nur wegen der Römer." Er wies in die Nacht. "Eben war der Himmel noch blau, aber er hat sich ins Dunkle gewandelt und ist nun schwarz. Der Himmel selbst hat Tag und Nacht inne, so wie das Herz der Menschen Gutes und Böses kennt. Blau und Schwarz, Gut und Bös wer weiß schon, warum das so ist und was die Zeit bringt."
Er seufzte und kehrte ans Feuer zurück. Er lächelte Maria aufmunternd zu. "Gesegnet sei deine Leibesfrucht."
Dann kramte er in seinen Sachen und zog ein Schafsfell hervor. "Für eure Gastfreundschaft, für deinen Traum der meinen kennt und für das Kind."
Sie wurden von Marias Wehen geweckt. Josef half ihr so gut er konnte. Die beiden Hirten hielten sich schicklich im Hintergrund reichten Wasser und legten Holz nach.
In erstaunlich kurzer Zeit kam das Kind und Maria konnte das Holz, auf das sie gebissen hatte, ausspucken. Josef durchschnitt die Nabelschnur mit einem Flint und hielt es ans Feuer.
"Ein Sohn. Maria, du hast uns einen Sohn geboren."
Er lachte übermütig, wickelte das Kind in das Schafsfell und tanzte mit dem schreienden Bündel um die Feuersglut. Schließlich legte Josef, er plapperte aufgeräumt in einem fort, es zu dem Schaf, das es nicht übel nahm das Kind zu wärmen, bis Maria sich erholt hatte.
Die Hirten öffneten den Dornenwall, um nach Holz zu suchen und stolperten in eine Gruppe hinein. Es gab ein kurzes Handgemenge, niemand wusste, wer wo stand und ob man Übles hegte, bis man in der trüben Feuersglut bemerkte, dass die Neuankömmlinge sich kaum wehrten.
Einer sprach: "Wir hegen kein Arg. Wir hörten das Klagen und sahen den Lichtschein."
Die Hirten hielten noch immer ihre Knüppel und die Neuen schnauften matt, als Josef sagte: "Kommt rein. Kommt ans Feuer."
Die Drei banden ihr einziges Kamel an und traten ein. Sie bedankten sich wortreich und fragten nach dem Wohl von Kind und Frau bevor sie Fladen und Käse verschlangen.
Dann erzählten sie.
Sie wollten nach Jerusalem an den Hof Herods um ihre Dienste anzubieten. In Zeiten wie diesen, war Bedarf an Deutern. Zeichen gab es viele, sie konnten gedeutet werden und man lebte nicht schlecht davon.
Wie die Reise gewesen sei? Schlecht war sie gewesen. Sie waren kaum drei Tage gereist, als eines der Kamele verendete. Man behalf sich so gut es ging mit Zweien, aber schon in der nächsten Nacht, zu Neumond, löste eines, möge das Teufelsaas von den Schakalen Gehens stückweise gefressen werden, seine Fußfessel. Seitdem lief man. Die Drei schüttelten betrübt ihre Köpfe.
Im Wadi kamen sie vom Weg ab. Die Hitze täuschte mit Spiegelungen und der Berg, den sie passieren mussten, verschwand wieder. Sie liefen Nachts um sich am guten Stern in der Höhe zu orientieren. Trotzdem fanden sie nur mit Mühe wieder auf den alten Weg zurück.
Dabei hatten die Zeichen zu Beginn so gut gestanden. Ein verheißungsvoller Traum und die Tiere, die sie von einem Zeloten erwarben, waren günstig gewesen - mögen sich die Schakale auch seiner annehmen.
Die Hirten konnten kaum an sich halten. Wie konnte man nur so töricht sein und Kamele von einem Zeloten kaufen? Kauft von Essenern, Aramäern oder gar, sie stießen Josef in die Seiten, von den Söhnen Bethlehems, aber nie von Zeloten.
Und durch das Wadi laufen? Wie leichtfertig! Viele Gebeine zierten bereits das Wadi. Besser auf eine Karawane warten, statt sich von einen zweifelhaften Stern leiten zu lassen. Am Rand des Wadis gab es doch den Karawanenpfad.
Die Grotte, die Träume und Reiseberichte gehört hatte, hallte wider vom Gelächter. Die Hirten überboten einander an Spott, Maria kicherte in einem fort und Josef schlug sich grölend auf die Schenkel. Die Drei blieben nichts schuldig, gaben zurück, teilten aus und steuerten noch so manche Einzelheit bei; man amüsierten sich königlich.
Die Deuter ließen sich noch einmal Marias Traum berichten und kamen überein, dass es nur Gutes bedeuten konnte. Der königsblaue Vogel war sicher ein Bote gewesen. Das Ei, der Vogel, der Berg, das Kind - alles wurde gewertet und gedeutet bis es dämmerte. Die Gespräche legten sich und man verfolgte die Dinge am Himmel. Der Morgenstern erschien, der Horizont wurde fahl und färbte sich, bis der erste Sonnenstrahl aufblitzte.
Schließlich erhoben sie sich und machten sich fertig; die Hirten wollten den drei Deutern den rechten Weg zeigen. Sie bedankten sich noch einmal wortreich bei Josef und Maria für die erwiesene Gastfreundschaft und schenkten Öl, wohlriechende Gewürze und ein goldgewirktes Tuch.
Ai, war das eine wunderbare Nacht gewesen; man würde die Erinnerung stets im Herzen wahren. Die heilige Gastfreundschaft, die sie erfahren durften, sei ein Beispiel für alle Menschenwesen. Möge die Reise Josefs und Marias und alle Folgenden gut enden; man würde immerdar dafür bitten.
Das Kind werde vortrefflich gedeihen, darin waren sich die Drei einig. Es werde den Eltern eine Freude werden und sicher die Gastfreundschaft ebenso heiligen wie die Eltern. Man wünschte Maria noch viele Söhne. So ging es zu, bis sie, nach weiterer Überschwänglichkeit, schließlich aufbrachen.
Josef schaute der kleinen Karawane lächelnd nach während er den Esel belud. Es waren nun drei Pakete, dachte er, dennoch ließ sich's der Esel gefallen beladen zu werden.
Er drehte sich zu Maria um, die ebenfalls lächelnd den Wanderern nachblickte, während sie das Kind stillte.
"Ich glaube von dieser Nacht werden wir ihm noch lange erzählen."


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