Lust am Lesen
Lust am Schreiben
Völlig verkehrte Weihnacht
Eine Weihnachtsgeschichte von Rainer Pick
Als ich heute Morgen auf den Kalender schaue, sehe ich, es ist Weihnachten. 13. August. Vor dem Fenster da draußen wirbeln die Schneeflocken. Da werde ich doch gleich mal den Roller raus holen, denke ich noch, aber klopft es auch schon an der Haustür. "Da draußen vom Walde komme ich her ....", klingt eine dunkle mächtige Stimme herein. Ich mach die Tür auf. Da ist er ja schon.
Der Osterhase. Er hat seine Ohren, die ja auch Löffel genannt werden, nach oben gespannt und darüber noch verknotet, damit der große Sack nicht von seinem Rücken fällt. Sein langer weißer Bart, den er im Gesicht trägt, wird vom Wind hin und her geweht. Sieht ganz lustig aus, der alte Knabe. "Los", sagt er, "Wir wollen baden gehen!" "Aber, wollen wir nicht erst die Geschenke unter die Weihnachtspalme legen?", frage ich ihn verdattert. Der hat ja wohl ganz und gar keine Ahnung von
Weihnachten, denke ich mir so. Auch seinen Schlitten hat er völlig falsch bespannt. Statt der Rentiere hat er vier rote Füchse davor gespannt. Wegen der Pause, die sie ja nun haben, picken sie sich ein paar Körnchen aus dem Schnee-Rasen vor dem Haus. "Hoho.", tönt nun wieder der Osterhase und stellt seinen Sack vor sich hin. "Geschenke? Ja warst du denn auch immer schön böse? Hast deine Eltern geärgert und der Oma vom Nachbarhaus öfter mal den Krückstock weg genommen?", fragt er mich. Aber
ich habe schon vorgesorgt und meinen Wunschzettel in der Einleitung mit der Aufzählung aller bösen Taten des vergangenen Jahres versehen. Ich denke mal, der hat den noch gar nicht gelesen. Ich nenne ihm also schnell mal ein paar Beispiele:
- im Februar habe ich dem Nikolaus eine Fallgrube ausgehoben, in die ist er auch geplumpst und ich hatte die ganzen Süßigkeiten bekommen. Das war lecker, da waren auch welche mit Schokolade dabei.
- im März dann, die tolle Sache mit dem Weihnachtsbaum. Einfach vom Markt geklaut, quer durch die Stadt gelaufen und dem Bürgermeister direkt vor das Büro gestellt. Der dachte, er steht im Wald, als er sich wieder mal aus dem Büro heraus traute. Die Polizei musste ihn befreien. Mit ihren roten Uniformen und dem schwarzen Schimmel, den sie vor ihren Wagen gespannt hatten, sind sie mit lautem "Tatütata" vor dem Rathaus gelandet und haben dann den Bürgermeister befreit. Sogar in der Zeitung haben sie
darüber berichtet. Und was da drin steht ist ja bekanntlich immer wirklich ganz wahr.
- Der April war leicht. Unsere Lehrerin, Frau Kluge gab die Zeugnisse aus. Zeugnisse kennt ihr ja, ist wie ein Einkaufzettel, bloß größer und darauf steht, was man - als schlechter Schüler - vielleicht noch schlechter machen kann. Bei mir stand nix drauf, nur ihre Unterschrift und der Stempel von der Schule. "Ich wüsste nicht, was du noch schlechter machen könntest", hatte sie bei der Übergabe in der Klasse gesagt. Ich bin jetzt ein Jahr lang "Klassen- Schlechtester".
- Im Mai dann die Sache mit dem Förster. Der hatten gerade dieses Ding aufgestellt, das immer so ein grelles Licht verblitzt, wenn einer mit seinem Auto zu schnell gefahren ist. Habe es nur ein bisschen umgepolt, da hat es andauernd Fotos gemacht. Alles Autofahrer, die nicht schnell genug gefahren sind, hat es jetzt fotografiert. Das waren viel mehr und hat die Stadtkasse wieder richtig gestärkt.
- Der Juni war ja fast die Krönung der schlechten Taten, vor dem Nachbarhaus habe ich eine Eisbahn gebaut. Einfach zwei oder dreimal Wasser vor der Treppe ausgegossen, der Frost hat da Eis draus gemacht und dann noch fleißig drauf geschlittert, damit sie noch glatter wurde. Hui das war lustig, alle Hausbewohner, die auf die Straße traten sind auch prompt auf den Hosenboden gefallen, danach haben sie sich furchtbar aufgeregt.
"Genug, genug!", ruft jetzt der Osterhase und quirlt aufgeregt mit seinen Löffeln in der Luft herum. "Ich habe es gelesen, jetzt erinnere ich mich wieder. Aber, was war eigentlich mit dem Weihnachtsmann, da hattest du doch auch etwas angestellt?" Ja, die Sache mit dem Weihnachtsmann passierte, glaube ich im Dezember. Wohl genau am 24sten. Die Eltern hatten noch am Tag davor darüber gesprochen, dass nun wieder die Zeit beginnt, wo die Eier auf der Wiese und im Wald von dem
dicken Mann versteckt werden. Die Wochen vorher hat er genutzt und den Hühnern auf der ganzen Welt die Eier gestohlen. Dann hat er sie bunt bemalt. Und am 24.12. in jedem Jahr, da versteckt er sie dann überall und wir müssen raus, um sie zu finden. Aber ich bin am 23. am späten Abend noch einmal vor das Haus gegangen und habe mich umgesehen. Es dauerte auch nicht lange und ich konnte den Weihnachtsmann mit seinem Eiersack am Himmel sehen. Einen weit leuchtenden Schweif zog er hinter sich her. Wie ein Kondensstreifen
beim Flugzeug. Sicher ist er wieder zu hoch und zu schnell geflogen. Gleich in der Nähe ist er gelandet. Es polterte richtig und man hörte ihn auch fluchen. Kein Wunder, im Park liegen die alten Flaschen und Büchsen herum, denn wohin soll man die sonst werfen? Also genau in diesem Scherbenhaufen muss er gelandet sein. Als ich näher heran kam, konnte ich ihn noch fröhlich hüpfen sehen. Er fluchte auch nicht mehr, sondern rief immer: "Aua, aua!". Als er dann endlich mit seiner Hüpferei fertig war, stand
er bis zum Bauchnabel im Parkteich. Klatschnass stand er da und versuchte mit der einen Hand die Enten zu verscheuchen, die andere hielt ja immer noch den Eiersack. Die Enten wollten ihn nur besuchen oder sogar begrüßen, dann fiel mir ein, die legen ja auch Eier und wahrscheinlich wollen sie ihn vertreiben. Na jedenfalls schaffte es der Weihnachtsmann irgendwie wieder an das Ufer zu kommen. Auf dem nassen Teichrand verlor er noch einmal den Halt und plumpste hin. Genau auf den Eiersack. Es quietschquakte deutlich
hörbar. Laut fluchend schoss er davon, denn kaputte Eier darf ein Weihnachtsmann nicht verstecken. Obwohl ich so laut lachen musste, hat er mich nicht gehört, er hatte ja auch keine Zeit mehr, denn einen neuen Eiersack kriegt er ja nur am Nordpol, da wo es so schön warm ist. Er wäre sicherlich zurück gekommen, um mit mir zu schimpfen, wenn er gewusst hätte, dass ich es war, der auf der Parklichtung dieses große Schild hingestellt hatte: "Landeplatz für Weihnachtsmänner!" stand darauf.
Die roten Füchse vor dem Schlitten schreckten richtig hoch, als der Osterhase laut anfing, zu lachen. Dann knotete er seine Ohren auf und reichte mir den ganzen Sack mit den Geschenken. "Die hast du alle redlich verdient!", rief er und sprang wieder auf seinen Schlitten, der nun wie ein Blitz davon raste. Aber, die Füchse sind ihm wohl nicht schnell genug gewesen, denn er hob seine Peitsche mit der langen Schnur und knallte noch einmal. " Peng!" und "Knall!"
Da draußen, vor dem Fenster auf der Straße fährt der Fritz mit seinem kaputten Moped wieder Probe. Sein Auspuff knallt schon wieder. Davon bin ich aufgewacht. Komischer Traum war das. Draußen vor dem Fenster schwebten eben leise und langsam Schneeflocken vom Himmel.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.