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Heute ist Weihnachten, und morgen?

Ein paar kritische Gedanken zu Weihnachten von Daniela Suchanek


Ein Obdachloser erzählt:
Strahlende Lichterketten schmücken quer gehängt über die Straßen die in Dämmerung eingehüllte Stadt. Pulverschnee rieselt vom Himmel herab. Eine kühle Brise trägt die Klänge harmonischer Lieder an jedes Ohr und der Duft von Zimt erfreut die Nasen der taumelnden Menge. Gut gelaunt stehen die Menschen, eingepackt in ihren dicken Winterjacken, um den heißen Glühwein herum und erschaffen eine Atmosphäre von ausgelassenem Lachen und friedlichen Gesprächen. Heute ist ein ganz besonderer Tag, denn heute kaufen sich die Menschen ein gutes Gewissen für das ganze Jahr. Sie lächeln mich an, schenken mir Mitleid und werfen ein paar Münzen in meinen Plastikbecher, um mich morgen wieder beruhigt ignorieren zu können. Heute befolgen sie die Worte Jesu und zeigen die Nächstenliebe, doch sollten uns diese Worte nicht lebenslang begleiten? Ist es denn nur ein Tag, der ausreicht, um uns zu einem guten Menschen zu machen?
Wieso kann nicht jeden Tag Weihnachten sein?
Ein Soldat erzählt:
Gestern erleuchteten Kanonenkugeln den Himmel und Schmerzensschreie durchbrachen die Stille, doch heute predigt der Pfarrer von Frieden, denn heute ist ein ganz besonderer Tag. Heute wurde der Erlöser Jesus geboren. Wie scheintrügerisch dieses Fest doch ist. Hauptsache heute gibt es Frieden, was morgen geschieht ist egal. Wie böse muss ich handeln, wenn ich an dem Tag, an welchem ich Jesus ehre, meine Arbeit einstellen muss, weil sich die ganze Welt an diesem Tag für mich schämt. Morgen werden sie mich schon wieder feiern und mit Ehrenauszeichnungen überhäufen, aber heute, in der Zeit des Friedens soll es mich als Soldat nicht geben.
Wieso kann nicht jeden Tag Weihnachten sein?
Ein Baum erzählt:
Im Dickicht der Dämmerung stürmt ihr in den Wald und nehmt den, der euch passend erscheint. Gefällt werde ich wie meine Brüder jeden Tag, jedoch an diesem besonderen Abend werde ich geschmückt mit glitzernd bunten Kugeln und Süßigkeiten. Der liebevolle Duft von frisch gebackenen Keksen hüllt mich ein und Kerzenlicht umtanzt meine Äste. Große Kinderaugen und lachende Gesichter bestaunen meine Pracht. Ich erfreue die Menschen. Doch was passiert morgen? Verdursten und sterben werde ich und der einzige Ausdruck eurer Dankbarkeit ist meine Deplatzierung auf die Müllhalde. Warum verdiene ich nicht an jedem Tag so viel Bewunderung, wie an diesem, ohne sterben zu müssen.
Warum kann ich nicht für immer ein Weihnachtsbaum sein.?


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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