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Lieblingsessen an Heiligabend.
Eine Weihnachtsgeschichte von Katrin Ackermann
Denke ich an meine Kindheit zurück, gab es zu Weihnachten entweder Karpfen
oder Kaninchen. Beides fand ich entsetzlich.
Das abgehäutete Kaninchen in seiner starren Haltung flößte mir beim Anblick
erhebliche Angst ein (eigentlich wollte ich gar nicht hingucken, doch die
kindliche Neugier siegte. Leider!) und die Karpfen schwammen immer noch kurz
bevor sie von meiner Mutter zubereitet wurden, in unserer Badewanne herum. Meine
Schwester und ich saßen dann auf dem Badewannenrand, berührten mit unseren
Fingern die kalte, glitschige Haut und gaben ihnen Namen. Es tat uns unendlich
leid, wenn Kunibert oder Egon in der Pfanne vor sich hinschmorten. Wir aßen,
wenn überhaupt, vom Festmahl höchstens eine Kartoffel, doch der Ausblick auf
die bunten Geschenke unter dem Weihnachtsbaum, zu dem wir immer wieder
hinüberschielten, tröstete uns über das jähe Schicksal der Tiere hinweg.
Von Lieblingsessen konnte keine Rede sein.
Dieser Rückblick in meine Kindheit kam zustande, als meine Töchter mir zum
ersten Advent einen Aufsatz samt gemaltem Portrait mit der Überschrift: "So
ist unsere Mama", präsentierten.
Meine jüngste Tochter Franziska hatte mich gemalt und alles das, was sie an
mir mag, auch farblich herausgearbeitet: Meine braunen schulterlangen Haare
fand ich auf der Zeichnung als bodenlang wieder, mein Ring, den ich jeden Tag
trage, strotzte vor Diamanten und Gold, ich war gertenschlank mit langen
Beinen. Wunderbar! Eine Ähnlichkeit mit Schneewittchen war nicht zu leugnen!
Meine ältere Tochter Charlotte schaute erwartungsvoll auf mein Gesicht, was
ich wohl zu ihrem Aufsatz sagen würde. Nach ausführlicher Beschreibung über
mein Aussehen (ser ser hüpsch), über meinen Arbeitsbereich (schreibt Brife
am Kompjuter) und meine Vorlieben (singt so schön) kam zum Schluss folgende
Passage: "Unsre Mama macht zu Weinachten immer unser Lieblingsessen, das
finden wir ser ser toll".
Ich konnte meine Tränen der Rührung nun wirklich nicht mehr zurückhalten.
Nicht nur aufgrund dieser sehr innigen Liebeserklärung meiner Kinder (was im
Übrigen mehr wiegt, als jedes noch so große Weihnachtsgeschenk), sondern auch
weil ich mich freute, dass die Kinder die Fähigkeit haben, ein für sie leckeres
Essen wertschätzen zu können.
Es ist nämlich wirklich so, dass es bei uns auch schon mal Spaghetti am
Heiligen Abend gab, was zwar weniger feierlich ist, dafür aber super schmeckt; und
Apfelschorle in Sektflöten serviert hat auch seinen Reiz.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.