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Ich fühlte mich als Weihnachtsbaum.

Eine Weihnachtsgeschichte von Katrin Ackermann


Als uns Ende 1990 die Bilder von dahinvegetierenden Kindern in rumänischen Kinderheimen im Fernsehen präsentiert wurden, die unwürdig und unter menschenverachtenden Umständen wie Tiere zusammengepfercht in ihren eigenen Exkrementen lagen, wusste ich, dass ich nicht länger tatenlos zusehen konnte.
Nur: Was hatte ich für Möglichkeiten? Wie und wo sollte ich anfangen?
Wie ein Wink des Schicksals kam es mir vor, als ich ein paar Wochen später am schwarzen Brett der Uni folgende Information las: "Wer hat Interesse für zwei Monate in einem rumänischen Kinderheim zu arbeiten? Bitte melden bei." Mein Herz klopfte. Ja, das wollte ich. Genau das!
Dann ging alles ziemlich schnell. Es kristallisierte sich eine kleine Gruppe von 20 Studenten heraus. Wir trafen uns einmal wöchentlich, lernten im Eiltempo die rumänische Sprache, arbeiteten mit dem ASB zusammen, koordinierten, planten, sammelten.
Alle 8 Wochen startete nun ein Konvoi mit jeweils zwei Studenten und jeder Menge Hilfsgütern nach Oravita, in den rumänischen Karpaten.
Im November 1991 war ich an der Reihe. In Kindergärten hatte ich um Kuscheltierspenden gebeten und so begleiteten mich noch 60 heiß geliebte, ausrangierte, doch gut erhaltene Hasen, Bären und Hunde, die alle auf neue, kleine Besitzer warteten.
Als ich nach drei Tagen anstrengender Fahrt endlich im Heim ankam und zum ersten Mal das Haus betrat, raubte mir ein irrsinniger Gestank die Sinne. Doch mir blieben höchstens zwei Minuten Zeit um mich daran zu gewöhnen, denn schon bestürmte mich eine Masse von kleinen und großen Kindern und ehe ich mich versah, hatte ich gleich zwei auf dem Arm, eins kletterte auf meinen Rücken, eins klammerte sich an meine Beine. Viele Händchen fassten mich an, streichelten meine langen Haare (die Kinder waren alle kahl geschoren wegen Läusebefall). Nasse, fremde Küsse überall. Ich fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Weihnachtsbaum, nur statt Kugeln und Lametta "hingen" Kinder an mir.
Diese 8 Wochen haben mich sehr stark geprägt und ich bin unendlich dankbar, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen.
Zu Weihnachten gab es für jedes Kind ein Kuscheltier und ich kann Ihnen kaum diese Freude beschreiben. Es war unglaublich.
Was ich als absolutes Wunder erlebte und woran ich immer wieder besonders in der Vorweihnachtszeit denke, ist die Tatsache, dass diese Kinder, die so unbeschreibliches Leid erfahren haben, die ihre erfrorenen Freunde noch im Winter 1989 mit der Schubkarre zum Friedhof bringen mussten und Gräber schaufelten, dass es diesen Kindern möglich war, unsere Liebe zu empfangen. Dass sie es genießen konnten, wenn sie auf unserem Schoß saßen und wir sie streichelten, dass sie unsere Nähe suchten, um zu spüren: Wie fühlt sich das an, wenn man geliebt wird? Diese Fähigkeit haben sie bei all ihrem Schmerz nicht verloren.
Als ich wieder zu Hause war, hatte ich große Schwierigkeiten, mich einzuleben. Das hat sich natürlich gelegt, doch übrig geblieben sind meine Erinnerungen und ich erzähle heute meinen eigenen Kindern von Ancuta, Piedone, Caldare. die auch alle einen kleinen Platz in meinem Herzen haben.


Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.


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