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Meiers Weihnacht
Eine Weihnachtsgeschichte von Marcus "BÄRT" Hill
Es kommt nicht oft vor, dass in Weihnachtsgeschichten unbedingt jemand MEIER heißen muss.
Hier schon, vielleicht auch nicht unbedingt, aber Meier passt eben besonders gut zu einem Berliner Taxifahrer wie diesem.
Nicht, dass es ein besonderer Droschkenkutscher wäre, sondern ganz im Gegenteil so einer, wie man ihn sich vorstellt, wie er in Berlin Taxifahrer ist. Eben so mit Halbglatze, leichtem Bauch und Schlapplatschen, und natürlich immer etwas schnodderig und mürrisch.
Und war ja auch kein besonderer Tag - jedenfalls für diesen Meier nicht - ansonsten war es der 24. Dezember, wie in den meisten Weihnachtsgeschichten.
Die Stadt war auch ganz gewöhnlich grau, und nicht winterweiß verschneit. Und das Grau war zu Meiers Schichtbeginn um vier Uhr Nachmittags noch ein wenig dunkler geworden.
Und mit dem Himmel wurde auch Meiers Laune immer düsterer. Weihnachten hatte schon seit Jahren nur einen Schlenker in Meiers Schichtplan bedeutet, so wie vielleicht bei vielen in der heutigen Zeit. Es war eine Schicht wie jede andere, nur dass um diese Zeit so gar niemand mit dem Taxi fahren wollte. Er hatte niemanden zum Weihnachten feiern. Nur nach der Schicht haben die Kollegen in der Zentrale noch ein wenig bei Glühwein und Keksen zusammengesessen.
Und so stand Meier lange Zeit an seinem Warteplatz und beobachtete das schweigende Funkgerät. Die Straßen wurden mit jeder Minute leerer und die Weihnachtslieder im Radio immer seltener von Durchsagen unterbrochen. Meier mochte den Heiligen Abend schon deshalb nicht besonders. Außer gehetzten Tanten und Großeltern gab es kaum Kundschaft und so immer mehr lange Weile.
Es dauerte fast anderthalb Stunden, bis endlich ein Auftrag kam, und Meier sich in Bewegung setzen konnte. An der angegebenen Adresse sollte ein Weihnachtsmann auf ihn warten, und so war es auch. Kaum hatte das Taxi gehalten, tappelte ein kleiner hagerer Weihnachtsmann auf sein Auto zu, einen viel zu Großen Sack mit beiden Armen vor sich her wuchtend.
"Noch so ein Kostümkasper ...", dachte sich Meier, als der Weihnachtsmann die Wagentür öffnete und sich mitsamt seinem Sack aus die hintere Sitzbank fallen ließ.
Bitte nach Friedrichshagen, nuschelte der Mann und hielt Meier aufgeregt und zitternd einen fünfzig-Euro-Schein hin. "Det machen wa nachher !", sagte Meier, der bei der Zielangabe noch ein wenig mürrischer geworden war. Müggelheim am frühen Heilig Abend ist für einen Taxifahrer so weit entfernt wie Kalkutta oder Nairobi, von dort bekommt man kaum eine Tour in die Stadt zurück. Und Meier war fast verärgert, dass er den Ruf angenommen hatte.
Der Weihnachtsmann auf der Rückbank saß kerzengerade, und an seinem kratzigen Atem hörte Meier, dass das die hagere Gestalt hinter ihm den Sommer des Lebens schon einige Zeit hinter sich gelassen haben musste.
Der Alte überreichte Meier zitternd einen knittrigen Zettel mit der Zieladresse.
Während der schwere Wagen über die menschenleeren Straßen rollte, beobachtete Meier seinen wunderlichen Passagier durch den Innenspiegel. Ein wenig verwunderlich sah er schon aus. Der Wattebart hing ein wenig schief über dem faltigen Gesicht und der Gummizug zum Festhalten hatte seinen Weg offenbar noch nicht hinter das Ohr gefunden. Der rote Mantel war viel zu groß und die Hände waren tief in den Ärmeln verschwunden. "her ein Weihnachtsmännchen", dachte Meier und zum ersten Mal lächelte er beim Anblick
des wundersamen Alten.
Meier beeilte sich nicht besonders aber nach einer guten halben Stunde hatte er sein Ziel erreicht. Er strich den Obolus für die Fahrt ein und half dem Weihnachtsmann entgegen seiner üblichen Art sogar noch aus dem Wagen. Erst dabei fielen ihm seine Schuhe auf, offenbar hatte dieser Weihnachtsmann keine Stiefel mehr abbekommen, denn seine Füße steckten in Filzpantoffeln, als der Alte seinen Sack vor die Tür einer hell verputzten Stadtvilla schleppte.
Meier wunderte sich, er hatte Zeit genug und wollte noch warten. Durch die Seitenscheibe sah er, wie sich einige Minuten später das Fenster eines weihnachtlich geschmückten Wohnzimmers öffnete und wieder schloss, nachdem eine Frau ein paar Worte mit Meiers Weihnachtsmann gewechselt hatte.
"Na det kann ja wat werden!", schoss es Meier durch den Kopf, als der Weihnachtsmann zurück zu dem Taxi ging, das er offenbar erst jetzt wieder gesehen hatte.
Aber dieses Mal ging er nicht aufgeregt und erwartungsvoll, sondern missmutig und mit großer Mühe schleppte er seine Last zum Wagen zurück.
Jetzt saß er da zusammengekauert und geknickt auf der Rückbank und Meier glaubte eine Träne unter dem noch immer schiefen Bart seines Weihnachtsmannes hervorlaufen zu sehen.
Er traute sich schon gar nicht mehr zu fragen, wohin die Reise dieses mal gehen sollte, sondern steuerte sein Gefährt geradewegs in die Stadt. Und weil ihm kein besseres Ziel einfiel fuhren, sie zum Ausgangsort ihrer Fahrt zurück. Der Alte begann, Meier Leid zu tun. Aus dem ohnehin schon kleinen und hageren Weihnachtsmännchen war ein Weihnachts-Häufchen-Unglück geworden, dem der Atem schwer fiel.
Aber Meier war ja Berliner Taxifahrer, mit Schlappschuhen, Bäuchlein und Halbglatze, und deshalb musste er nun fragen "Also wohin soll dit denn nu noch jehn, Sie müssen doch wissen wohin Se woll'n!!" Die beiden hatten längst drei Runden um die Taxizentrale gedreht, da bat der Alte ihn, anzuhalten. Das Taxameter hatte eine Summe erreicht, die selbst Meier zu hoch erschien, dass er sie dem Weihnachtsmann hätte abknöpfen können, und so beließ er es bei einem symbolischen Preis. Der Alte zahlte mit zittriger
Hand und wackelte von dannen.
Und weil das Funkgerät die ganze Zeit geschwiegen hatte und weil am Heiligen Abend außer tatterigen Weihnachtsmännern offenbar keiner ein Taxi brauchte, verschloss er den Wagen und betrat mit verwunderten Kopfschütteln die Zentrale.
Drinnen duftete es nach Kaffee, Glühwein und Keksen und eben dem typischen Bürogeruch einer Taxizentrale. Die verbliebenen Kollegen saßen um einen Tisch herum und kloppten Skat, und Meier wollte es ihnen gleichtun, als es an der Tür zaghaft klopfte.
Herein schlurfte der Weihnachtsmann, stilecht mit schiefem Bart und Pantoffeln. Als er mit freudig blitzenden Augen "O Tannebaum" anstimmte, sangen alle mit.
Die Verwunderung der Taxifahrer, in etwa alles Meiers, stieg aber noch mehr, als der Weihnachtmann aufgeregt einige Pakete mit Konfekt und auch eine gute Flasche Cognac aus dem Sack holte und an die Kutscher verschenkte.
Der Bart war in der Aufregung längst abgefallen und Meier hatte dem Alten nach einem Platz auch Kaffee und Kekse angeboten.
Die Taxifahrer freuten sich und er noch viel mehr.
Er erzählte aufgeregt, dass er extra aus seinem Pflegeheim ausgebüxt sei, um dem Sohn und seiner Frau, die ihn aber offenbar vergessen hatten, eine Weihnachtsüberraschung zu bereiten.
Der aber hatte dieses Jahr anscheinend vergessen und war samt Anhang in den Urlaub geflogen.
Weil die schmale Rente aber für das Konfekt und den mit der Zeit beträchtlich geschwundenen Schnaps draufgegangen war, hatte er kurzerhand den heimeigenen Dekorationsweihnachtsmann entkleidet und sich seinen Mantel ausgeborgt.
Es wurde ein langer Heiliger Abend und der erste Weihnachtstag schickte leise Schneeflocken auf die leeren Straßen, als ein glücklicher Meier den noch glücklicheren alten Mann nach Hause fuhr.
Das ist nun schon einige Weihnachten her, und ob Meier nun wirklich Meier heißt oder anders, ist nun auch egal.
Fakt ist, dass der Alte noch einige Jahre in der Taxizentrale herumweihnachtelte, mit einem verzauberten Meier, fröhlichen Fahrern und einem geraden Bart.
Immer am 24. Dezember, wenn Taxifahrer eigentlich eine lange Schicht haben ...
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