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Das verkaufte Mädchen

Eine Weihnachtsgeschichte von Britta Dubber


Das kleine rothaarige Mädchen schlenderte durch die verschneiten Gassen, den Blick starr auf den Boden gerichtet. So bemerkte sie auch nicht den alten Mann, der genau auf sie zu lief.
"Verdammtes Gör, kannst du nicht gucken wo du hinläufst!" schrie er ihr hinterher.
"'Tschuldigung.", flüsterte sie, als sie um die Ecke bog. Ihr Hals fühlte sich geschwollen an und tat weh. Sie trug nur einen dünnen Mantel und einen langen Wollrock mit Stiefeln, die schon ganz kaputt waren und durch die die Kälte und der Schnee ungehindert durchdrangen.
Das einzige was ihr von zu Hause noch geblieben war, waren die Kleider die sie anhatte.
An die Kälte hatte sie sich längst gewöhnt, schließlich lebte sie schon seit Monaten auf der Straße. Aber an den permanenten Hunger würde sie sich wohl nie gewöhnen. Ab und zu bekam sie ein Stück Brot vom Bäcker und wenn er gut gelaunt war, gab er ihr sogar eine Tasse heißen Tee. Ansonsten blieben ihr nur die Essensreste aus den Mülleimern vor den Restaurants.
Manchmal waren gute Sachen dabei, aber satt wurde sie trotzdem nie.
Schlafen tat sie in einem alten verlassenen, halb zerstörten Haus am Stadtrand. Sie hatte ein paar Decken und eine alte Matratze gefunden, so dass sie nachts kaum fror.
Doch am schlimmsten neben dem Hunger war die Einsamkeit. Sie war in einer großen Familie aufgewachsen, mit neun Geschwistern. Dort hatte es auch nie genug zu essen gegeben, deshalb hatten ihre Eltern sie auch verkauft. Als Magd an eine wohlhabende Familie. Doch nach zwei Wochen war sie abgehauen. Die Hausherrin hatte sie bei jeder Gelegenheit geschlagen und angeschrien. Sie hatte auf dem Fußboden im nassen, kalten Keller schlafen müssen. Auch wenn sie jetzt kein Zuhause mehr hatte, so fand sie, dass sie jetzt doch besser lebte.
Zu ihrer Familie zurückkehren konnte sie nicht. Dort würde die Familie, bei der sie als Magd gearbeitet hatte, zuerst suchen. Schließlich hatten sie für sie viel Geld bezahlt. Wie viel wusste sie nicht genau, aber ihre Mutter hatte davon neue Kleider für die ganze Familie und neue Möbel kaufen können.
"He, wer bist du denn?", fragte ein blonder Junge, als sie gerade eine Mülltonne nach Essen durchsuchte.
"Emma", sagte sie knapp. Das Sprechen mit dem entzündeten Hals, bereitete ihr Mühe.
"Ich bin Jakob. Hast du kein Zuhause?"
Emma schüttelte den Kopf und fischte einen Apfel raus, der nur einmal angebissen worden war.
"Ich kann dir was zu essen holen. Dörthe ist gerade am Kochen", sagte der Junge und war schon im gegenüberliegenden Hauseingang verschwunden.
Kurze Zeit später kam er mit einem belegten Brot und einer dampfenden Tasse mit Suppe zurück.
"Hier, nimm. Wie alt bist du?", fragte er, als er ihr das Essen reichte.
"Neun. Fast zehn."
"Ich bin acht. Wieso hast du kein Zuhause?"
Emma biss herzhaft vom Brot ab und zuckte mit den Schultern.
"Lange Geschichte", meinte sie und nahm einen Schluck von der Suppe.
Ihr wurde augenblicklich wärmer und ihr Hals fühlte sich besser an.
"Vielen, vielen Dank", sagte sie, nachdem sie aufgegessen hatte.
"Meine Mama sagt immer, man soll Menschen in Not helfen."
Emma lächelte den Jungen an. Das erste Mal seit langem, dass sie lächeln konnte.
"Heute ist Heiligabend. Da bekomme ich vielleicht ein neues Fahrrad", sagte Jakob aufgeregt.
Emma erschrak. "Was, heute ist schon Weihnachten?"
Jakob nickte. "Vielleicht kannst du ja den Abend bei uns verbringen. Ich kann meine Mutter fragen."
Emma schüttelte den Kopf. "Nein, schon gut" , sagte sie und ging davon.
"Emma!", rief der Junge ihr hinterher, doch sie ging weiter, ohne sich umzudrehen.
Sie wollte nicht, dass er Ärger bekam. Die wenigsten Eltern sahen es gerne, wenn ihre Kinder mit Straßenkindern spielten.
Traurig ging sie zu dem verlassenen Haus zurück. Das erste Weihnachten, was sie alleine verbringen musste, ging es ihr durch den Kopf, als sie sich unter ihre Decken kuschelte.
Als sie einschlief, pfiff der eisige Wind durch die kaputten Fensterscheiben.
In ihren Träumen war sie meist mit ihrer Familie zusammen. Sie lebten in einem großen Haus und saßen an einem festlich gedeckten Tisch. Im Kamin knisterte das Feuer und alle lachten fröhlich und waren glücklich.
"Emma! Emma, wach auf!"
Jemand rüttelte ziemlich unsanft an ihrer Schulter. Als sie die Augen öffnete, sah sie in die blauen Augen von Jakob.
Sie richtete sich auf und bemerkte, dass Jakob jemanden mitgebracht hatte.
"Emma, das ist mein Vater. Ich habe ihm von dir erzählt und er sagte, dass du mit zu uns kommen kannst", erzählte er aufgeregt. Seine Wangen waren von der Kälte ganz rot.
"Wie hast du mich gefunden?", fragte Emma und rieb sich die Augen, um die Müdigkeit abzuschütteln.
"Mein Vater hatte die Idee hier nach dir zu suchen."
"Hallo Emma", meldete sich ihr Vater nun zu Wort. Er war groß und ebenfalls blond. Emma fand ihn auf Anhieb sympathisch.
"Weißt du, meine Frau, Jakobs Mutter, war ebenfalls ein Waisenkind. Meine Eltern haben sie damals auf der Strasse gefunden, halb verhungert."
"Ich bin eigentlich kein Waisenkind. Aber nach Hause kann ich trotzdem nicht mehr."
"Was hältst du davon, wenn du zu uns mitkommst und uns deine Geschichte vor dem Kamin bei einem leckeren Abendessen erzählst?"
Emma nickte dankbar, stand auf und ging mit ihnen nach Hause.
Das Seltsame war, dass das Haus von Jakob von innen genauso aussah, wie das in ihren in ihren Träumen.
Selbst der Kamin und der große Esstisch sahen identisch aus.
Emma fühlte sich auf Anhieb heimisch.
Beim Abendessen begann sie dann ihre Geschichte zu erzählen. Und als Jakobs Eltern ihr anboten, fortan bei ihnen zu wohnen und die Schule besuchen zu können, sagte sie nicht nein.


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