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Weihnachten mal so

Eine Weihnachtsgeschichte von Angela Hoffmann


Mit schleppendem Schritt schlurfte ich auf der mit Schneematsch bedeckten Straße. Meine Schuhe waren schon pitschnass und es roch nach Regen und Autoabgasen.
Es war zwar erst fünf Uhr nachmittags, aber bereits zappenduster.
Hinter mir hupte ein Auto ärgerlich. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich erkennen, wie der Fahrer wutschnaubend und mit erhobener Faust an mir vorbeifuhr.
Normalerweise hätte ich ihm eiskalt den "Stinkefinger" gezeigt, heute war mir das piepegal. Überhaupt war für mich heute alles völlig gleichgültig.
Bis auf eines: Der Gedanke an die Szene gestern Abend, die mich erwartete, als ich unverhofft, eher von meiner Freundin Annabelle nachhause gekommen war, weil wir uns gestritten hatten, dass die Fetzen flogen. Sie hatte mir vorgeworfen, ich wäre ein grenzenloser Egoist. Und das nur, weil ich wieder einmal nur über meine Probleme geredet und ganz vergessen hatte, sie zu fragen, wie es ihr denn gehe. Außerdem war ich eine halbe Stunde zu spät gekommen, ohne ihr noch schnell per Handy bescheid zu sagen und vor zwei Wochen, hatte ich zu allem Überfluss auch noch ihren Geburtstag vergessen.
Irgendwann, so sagte sie, wäre das Maß halt mal zum Überlaufen voll und sie könne auf so eine Freundschaft gerne verzichten.
Ich auch, wenn du so eine kleinliche Kuh bist, dachte ich, als ich vor Zorn schnaubend das Cafe, indem wir uns verabredet hatten, verließ.
Aber zuhause wartete ja mein Traummann Jan auf mich, so glaubte ich wenigstens.
Erst vor zwei Wochen, hatte er mir gestanden, dass er mich liebte und mich spätestens bis Neujahr zum Traualtar führen würde.
Anscheinend änderte er aber seine Meinung, denn als ich bebend vor Zorn nach Hause kam, überraschte ich ihn mit meiner Freundin in flagranti. Sie schauten mich perplex, mit riesigen Augen an.
Ich packte beide wortlos am Arm, schubste sie zur Haustüre hinaus und warf ihre Klamotten, sowie Jans Computer, seine Briefmarkensammlung, und seine E-Gitarre zum Fenster hinaus, hinter ihnen her. (Ich wohne im dritten Stock!)
Keiner sollte behaupten können, ich wollte mich aus Jans Eigentum bereichern!
Der krönende Abschluss aber folgte heute Nachmittag, bei meiner Arbeit im Lebensmittelgeschäft, gleich um die Ecke: Leider waren zum drittenmal, innerhalb von zwei Wochen, 100 Euro, aus meiner Kasse verschwunden und da ich mich weigerte den fehlenden Betrag aus meiner eigenen Tasche zu bezahlen, wurde ich fristlos gefeuert.
Meine Mutter hatte mich erst vorgestern angerufen, sie hätte über Weihnachten eine Reise nach Gran Canaria gebucht. Morgen war Weihnachten!
Auch recht! nach feiern war mir sowieso nicht zumute! Pech nur, dass ich keine Menschenseele mehr hatte, bei der ich mich ausheulen konnte und mich über die schreckliche Welt hätte beklagen können.
Ich überlegte gerade, ob ich mich lieber erschießen, erhängen oder vergiften sollte: Erschießen würde schwer werden, ohne Pistole. Erhängen war mir zu riskant: Wer weiß, wenn das Seil doch hielt und nicht riss, dann müsste ich noch wirklich sterben! Und da ich keinen Cent mehr in der Tasche hatte, konnte ich auch kein Gift kaufen! -
Da hörte ich auf einmal neben meinem Ohr eine heisere, leise Stimme um Hilfe rufen. Auf dem Gehsteig hockte eine alte Frau. Anscheinend war sie auf dem glatten Schneematsch ausgerutscht. Da sie ungefähr fünf Menschenlängen vom Laternenpfahl entfernt saß und anscheinend zu schwach war, um aufzustehen, blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten, bis sich einer ihrer erbarmte: Warum ausgerechnet ich?, dachte ich mir. Wer hat denn mit mir Mitleid? Soll sie doch aufpassen! Warum muss sie auch ausgerechnet dann aus dem Haus gehen, wenn es so glatt ist?
Der Anblick, andere leiden zu sehen, verschaffte meinem gekränkten Herz ein befriedigendes Gefühl.
Trotzdem war da etwas in mir, das meine Füße stoppte. Ich schaffte es einfach nicht vorbeizugehen.
Wie ferngesteuert, bewegte ich mich auf sie zu, reichte ihr widerwillig meine Hand und als ich merkte, dass sie es nicht schaffte, packte ich sie sogar unter den Achseln und hob sie hoch.
Sie bedankte sich mit Tränen in den Augen: "Ich weiß, ich bin selbst schuld", schien sie meine Gedanken zu lesen, "aber ich wollte vor Heilig Abend noch schnell bei meinem Paul am Grab vorbeischauen. Er soll da draußen nicht immer so allein liegen. Er hasste es schon, als er noch lebte, wenn man ihm nicht genug Beachtung schenkte und da sich die Menschen nach dem Tod nicht mehr ändern können, glaubte ich, es wäre besser mal wieder vorbeizuschauen, um ihn nicht ganz zu verärgern!"
Sie sagte das mit ganz todernster Miene. War sie geisteskrank?
Ihre alten Augen blickten mich klar und durchdringlicht an:
"Mädchen, warum schaust du mich so an?, Ich bin nicht verrückt, auch wenn das manche glauben, früher sagte man dazu Lebenserfahrung und Weisheit, heute stempelt einen die Welt als krank ab, wenn man nicht so denkt, wie die Jungen, die die Welt beherrschen wollen!" -
Diese seltsame Alte machte mich plötzlich neugierig. Wusste sie etwas, was ich vielleicht tief im Inneren suchte, aber bisher nicht finden konnte? -
Fragen, wie: Warum lebe ich?, Woher komme ich und wohin gehe ich?, sowie: "Was ist der Sinn meines Daseins? Ich spürte, dass es da noch Dinge gab, die mir weder Jan, noch Annabelle, noch mein Job geben konnten und die ich mir auch nicht mit meinem monatlichem Lohn erkaufen konnte. Es gab da noch ein Gefühl des Hungers in mir, den man auch nicht mit Lebensmitteln stillen konnte. Da wohnten auch noch Sehnsüchte in mir, die man mit Sex nicht erfüllen konnte! "Darf ich Sie nach Hause begleiten?", hörte ich mich plötzlich kleinlaut fragen. Sie nickte nur. Aber das störte mich nicht. Es machte mich glücklich, sie einfach nur begleiten zu dürfen. Sie wohnte gleich um die Ecke, der Weg war ganz nah. Ich half ihr noch, die Wohnung aufzusperren. "Hätten Sie was dagegen, wenn ich morgen mal vorbeikomme? - Natürlich bringe ich auch Plätzchen und Glühwein mit!", beeilte ich mich, noch schnell hinzuzufügen. "Mädchen, du musst aber einsam sein, wenn du Weihnachten bei einer alten Frau verbringen willst! Aber natürlich freue ich mich sehr, wenn ich nicht dauernd alleine bin!" - "Also abgemacht, morgen um fünf und dann erzählen Sie mir mehr von Paul und von ihrem Leben!" - "Und du mir von dir, Mädchen!" - Leise pfeifend verließ ich das alte, muffige Mietshaus der Alten.


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