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Eine Weihnachtstraumgeschichte

Eine Kurzgeschichte von Ulrike Schilling


Hinter der den Bergen blinzelte gerade die Sonne hervor.
Sie trocknete gedankenverloren die letzten Regentropfen um sich herum, die sie manchmal weinen machten und breitete dann ihr wärmendes Gefieder aus. Sie umspannte den Horizont, der ihr zärtlich wohlgesonnen war. Alles war so unbegreiflich schön.
Auf den Feldern rieben sich die Erdbeeren den Schlaf aus den Augen. "Hmmm", machte die Sonne. Unter ihrer sanften Glut entfalteten sie ein wunderbares Aroma. Nun zogen neugierig die Zuckerwattewölkchen heran. Auch sie wollten den neuen Tag begrüßen, denn heute sollte ein - erst keimendes Pflänzchen - zur Blüte erwachen. Die Stille und die Freiheit waren wie von Sinnen. Der rauschende, kühle Gebirgsbach wusch sich immer klarer. Er war von schimmerndem Eisblau und wusste um seine Wirkung, seine überzogene Reinheit. "Guten Morgen, stolzes Wasser!" sagte die Erde. Die Gräser und Blumen würzten die frische Luft, die voller Lebenslust und Freude zu einem mächtigen Wind aufbrauste. Eine Spur zu übermütig. Die wilde Sahne am Himmel wirbelte durcheinander. Erbost über so viel Untugend streute der Sand seine Körner aus. Die Blüten tanzten einen ungezügelten Reigen. Plötzlich glättete eine unbekannte Kraft die Wogen. Die Bäume ruhten von ihrem Schaukeln, die Stimmen der Blätter im Wind von ihren Schwingungen aus. Vorsichtig tastend lugte ein neuer Erdenbewohner hervor. Alles schaute und staunte und war ganz gerührt von soviel unmittelbarem Augenblick. Das Pflänzchen - man nennt es Liebe - hatte sich voll entfaltet. Die Blumen sangen Wiegenlieder im Takt des väterlichen Windes, erfüllt von Dankbarkeit gegenüber dem Wunder Natur. Und Mutter Sonne breitete wieder stolz ihre Arme aus. Noch nie hatte sie so gestrahlt wie an diesem Morgen unschätzbaren Glücks....
Auf der anderen Seite der Welt erwachte Karl unter der Brücke. Die Kälte in den Gliedern hatte seinen Körper steif gemacht. Nebel war über dem Flüsschen zu sehen, von der Sonne keine Spur. Er schnürte sein Bündel und trottete in ausgelatschten Pantoffeln die noch schlafende Gasse entlang. In der dritten Straße kam er an einer Abfalltonne vorbei. Er schaute mit müden Augen hinein und fand ein rotes warmes Gewand, das er sich hastig überstreifte. Mit gebücktem Rücken ging er weiter. Er musste sich mittlerweile durch hohen Schnee kämpfen, denn hier war der Pfad noch nicht so ausgetreten. "Peng." Ein Schneeball hatte ihn direkt ins Gesicht getroffen. Es folgten lärmendes Kindergeschrei, ein Lachen, dann ein großer Schreck. "Peter spinnst du, jetzt hast du den Weihnachtsmann getroffen!" Besagter Peter begann kläglich zu weinen "Es gibt ihn doch, und ich hab gar nicht an ihn geglaubt und jetzt ist er bestimmt böse auf mich und ich bekomme keine Geschenke!" Die Mutter lächelte.
"Kommen Sie doch heute Abend bei uns vorbei... Gartenstr. 29, sagen wir 19 Uhr."
Karl war verdutzt und schaute die engelgleiche Frau ungläubig an. "Doch wirklich", sagte sie nun, "ich würde mich sehr freuen!" Als Karl sich am Abend dem Haus mit der Nummer 29 näherte, wehte ihm der köstliche Duft von Bratäpfeln entgegen. Die Tür war nur angelehnt und so trat er beherzt ein. "Da sind Sie ja, wir haben sie schon erwartet!" klang es aus der Küche. Es wurde eine lange Weihnachtsnacht mit unbeschwertem Lachen und besinnlichen Gesprächen. Karl hatte seinen Glauben wiedergefunden. An das Gute im Menschen. An das Positive im Leben und Werden. Und Peter wusste nun, dass er doch existierte - derjenige, den die Kälte fast auffrisst und der von ganz tief unten dennoch den richtigen Weg findet. Als sich Karl zum Gehen wand, legte sich ihm eine Hand auf die Schulter. "Bleiben Sie! Sie haben diesem Haus die Freude zurückgegeben. Peters Mutter hatte einen Anruf erhalten. Ihr Mann würde aus Bosnien zurückkehren und wäre auf der Suche nach einem lebenserfahrenen Geschichtenerzähler in der Bücherei in der Nähe der Kirche. So bekam Karl das Zimmer im Dachgeschoss. Karl, der sich früher so manche frostige Nacht unter der Brücke um die Ohren schlug, schrieb nun manchmal nächtelang in seinem warmen Stübchen. Ab und zu brachte Peter Schulfreunde mit nach Hause, die nur wegen Karl kamen um seine Geschichten zu hören. Diese Erkenntnis trieb Karl mehr als einmal Tränen der Rührung in die Augen, die er sich verstohlen wegwischte. Er lächelte über das ganze Gesicht und war unsagbar glücklich.
Und er erinnerte sich nur zu gern an den schicksalhaften Weihnachtsabend an dem die Sterne um die Wette strahlten.
In jener Nacht voller Erleuchtung.


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