Mein erster Hund
© Elke Link
Heute war ein besonderer Tag.
Schon lange haben wir diesen Tag herbei gesehnt und uns darauf gefreut, endlich in unser neues Haus einziehen zu können.
Vor dem Neubau stand der Möbelwagen, aus dem die Möbelpacker unser Mobiliar schleppten. Mutti stand hinten direkt neben der Ladefläche und rief den Männern zu, wo denn die einzelnen Möbelstücke hin sollten.
Ich hätte zu gerne geholfen, aber für mich war keine Arbeit da. Ich war wohl noch zu klein, um eine wirkliche Hilfe zu sein.
Also stand ich da, ziemlich gelangweilt und schaute zu.
Plötzlich hörte ich ein leises Winseln. Ich schaute in die Richtung, aus der ich die zarten Stimmchen hörte und lief sofort hin.
An Nachbars Gartenzaun angekommen, sah ich sie.
Nicht weit von mir entfernt stand ein runder Weiden-Korb, in dem auf einer alten, zerrissenen Decke ein paar winzige schwarze Wesen krabbelten.
"Ob es große, schwarze Mäuse sind? Ratten oder Maulwürfe?" überlegte ich ängstlich. Doch als ich mir sicher war, dass es kleine Hunde waren, war alle Angst verflogen.
Es waren fünf kleine süße, mehr oder weniger eifrig umherkrabbelnde, hell piepsende Wesen, wahrscheinlich gerade erst auf die Welt gekommen. Ihr Fell glänzte, sicher hatte ihre Mutter sie gerade fein sauber geleckt.
In einiger Entfernung saß Purzel, ein hellbrauner Mischling, mit dem ich schon vor ein paar Tagen Bekanntschaft gemacht hatte. Aber heute schien Purzel ganz aufgeregt zu sein. Er wollte sich wohl nicht mehr an mich erinnern, denn als ich mich dem Gartenzaun näherte, begann er aufgeregt umher zu laufen, zu bellen, zu knurren, irgend etwas wollte er mir wohl mitteilen…
Ich vermutete, dass Purzel Angst um seine Jungen hatte. Aber ich konnte seine Angst nicht verstehen.
"Purzel, Du kennst mich doch! Hör auf zu knurren", redete ich auf ihn ein. " Ich will Dir doch Deine Jungen nicht wegnehmen, die sind Dir, und die holt Dir keiner weg!"
Doch Purzels Angst, die sich beim Herannahen seines Herrchens immer mehr steigerte, verwandelte sich in Panik, und galt, wie ich dann schnell feststellte nicht mir, sondern ihm, Herrn Sauerborn. Purzel lief hinter dem Mann her, sprang an seinen Beinen hoch, versuchte ihn in den Arm zu beißen, wurde von ihm weggetreten. Er bellte verzweifelt und ich fragte mich, warum…warum hasste der Hund seinen Herrn so sehr?
Mir war das ganze ziemlich unheimlich und ich war mittlerweile ein paar Meter zurückgewichen, stand am Ende des Zaunes und sah, wie Herr Sauerborn den Korb nahm und ihn unter dem Apfelbaum abstellte.
Den kläffenden Purzel packte er am Halsband und zerrte ihn zu dem Schuppen, wo er ihn einsperrte. Nur noch ein verzweifeltes Kratzen an der dicken Holztüre ließ vermuten, wie sehr sich der Hund wehrte, eingesperrt zu sein.
Ich konnte mir nicht erklären, was das alles sollte. Purzel war doch ein so lieber Hund, der selten bellte und seinem Herrchen aufs Wort hörte. Warum nur wurde er heute so bestraft?
Herr Sauerborn machte ein finsteres Gesicht, als er zu dem Korb, der unter dem Apfelbaum stand, ging. Er hatte einen Spaten dabei, mit dem er ein Loch in den Boden grub. Nun bückte er sich runter zu dem Korb und holte ein Hundchen nach dem anderen heraus, hielt es in der Hand, schlug mit einem Stein auf den Kopf der Kleinen und ließ sie dann in das tiefe Loch fallen.
Ein paar Sekunden war ich ohnmächtig, was zu tun. Ich stand da und schaute entsetzt dem ganzen zu.
Von einer Sekunde zur anderen war ich hellwach, wusste was da geschah, rannte um das Leben des letzten kleinen Hundes….
"Herr Sauerborn, Sie Mörder", schrie ich den Mann an, der mich so gleichgültig anschaute, als hätte er überhaupt kein Unrechtsbewusstsein.
"Ich kann sie doch nicht alle ernähren!" fuhr er mich knurrend an.
"Jedes Jahr kriegt Purzel Junge!"
"Aber töten - töten darf man sie doch nicht!" jammerte ich. "Verkaufen Sie sie doch!"
"Verkaufen", lachte er verkniffen, "solche Straßenhunde kauft doch keiner!"
"Ich schon", versicherte ich ihm. "Ich kaufe ihnen den da - den sie in der Hand halten - ab."
Und das war der Anfang meiner Hundeliebe. An diesem Tag wurde sie geboren. Vorher hatten wir nie einen Hund, meine Eltern interessierten sich nicht für Hunde und ich hatte mir bis zu diesem Tag noch keinerlei Gedanken über Hunde gemacht.
An diesem Tag nahm ich dieses kleine schwarze, mit weißen Pfötchen, weißem Näschen, weißem Schwanzspitzchen, ausstaffierte Hundebaby mit nach Hause und taufte es "Bimbo".
Das war vor 48 Jahren.
Bimbo lebt schon lange nicht mehr, aber es gab danach noch einen Bimbo, dann einen Cäsar, einen Bingo, eine Kathi und jetzt gibt es Moritz und Lilly.
Eingereicht am 13. Februar 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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