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"Strupphuhn" mit Herzeleid

© Elke Link

Ein leises Wimmern, welches zu mir ins Badezimmer drang, verriet mir, dass irgendetwas mit unserer Lilly nicht stimmte. Ich erkannte Lillys Stimme sofort und lief, noch die Zahnbürste im Mund, sofort zu ihr, um nachzuschauen, was denn sei.
Wie ein Häufchen Elend saß sie da - in einer Ecke - und rührte sich nicht. Ihre Augen hatten einen verzweifelten Ausdruck angenommen, den ich sonst von ihr gar nicht gewohnt bin. Lilly ist nämlich eine ganz Kesse. Auch irgendwie intelligent. Bestimmt aber raffiniert. Und … zuckersüß.
Das rechte Hinterbeinchen - weit von sich gestreckt - hielt sie mir hin. Es war ein ganz ungewohnter Anblick - wie sie so da saß. Lilly ist normalerweise morgens immer die erste, die beim Öffnen der Treppenhaustür, wie eine Rakete nach unten startet. Sicherlich ist das schnelle Hinunterkommen ein Zeichen der Lust auf den neuen Tag, aber wahrscheinlich wird es wohl eher der "Druck auf die Blase" sein, der Lilly immer dazu verleitet, Hals über Kopf, nach unten zu jagen.
Ach ja, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - Lilly ist eine kleine Hundedame.
Eine kleine süße White-Westhighland-Fox-Terrier-Hündin. Keine solch eingebildete, womöglich noch mit Schleifchen im Haar oder sonst irgendeinem Firlefanz - nein - Lilly ist eigentlich ein richtiges Strupphuhn. Ein Strupphuhn mit Charakter. Wer sie sich anschauen will, kann dies in Frauchens Homepage tun, unter "meine Lieblinge", www.elke-link.de
"Strupphuhn" deswegen, weil sie keinen besonderen Wert auf ihr Outfit legt. Sie kommt ja auch gar nicht dazu, sich über solche Nebensächlichkeiten Gedanken zu machen, weil sie ständig in Action ist. Sie geht nicht wie andere Hundedamen vornehm spazieren, nein - sie springt "überall" rein, sei es jetzt eine große Pfütze, eine zwischen den Moor-Wiesen angelegte sumpfig riechende Wasserrinne oder junges frisch gemähtes Gras - Lilly ist halt eben naturverbunden! Nur in Vogel- und Kuhscheiße springt sie nicht. Das tut dann Moritz, ihr Lebenspartner, mit Vorliebe.
Nun wieder zurück zu dem besagten Morgen:
Ich schaute Lilly an, Lilly schaute mich an. Ich glaube, sie vergaß sogar zu atmen. Dieser Blick - für eine Zehntelsekunde glaubte ich, dass ihre Augen einen vorwurfsvollen Ausdruck hätten.
Lilly ist etwas Besonderes. Irgendwie habe ich das Gefühl, als sei sie nicht nur ein einfacher Hund, sondern mehr. Vielleicht ist sie irgendwann mal ein Mensch gewesen, und kam diesmal als Hund auf die Welt? Wer weiß …?
Also, ich komme auf diese Vermutung, weil Lilly - genau wie eine kleine raffinierte Frau reagiert. Leider kann Lilly nicht sprechen. Aber ihre Augen verraten genau, was sie denkt.
Sie kann wütend sein, beleidigt sein, sie kann motzen, sie kann ihren Lebensgefährten Moritz kommandieren, traktieren, nerven, bestrafen, ins Ohr beißen, oder einfach links liegenlassen. Sie kann ihn ganz schön reizen, ihn animieren, auf sie aufmerksam zu werden, um ihn dann wieder abblitzen zu lassen. Aber nur wenn's ihr passt.
Sie bestimmt, ob er auf der Couch sitzen darf oder nicht. Natürlich hat sie das Sagen, ob und wann gegessen wird. Moritz steht dann immer in der zweiten Reihe und freut sich, wenn sie satt ist, damit er dann dran kommt. Leckerlis beansprucht sie erst mal beide für sich. Moritz gibt ihr dann seines freiwillig ab. Abends im Bett dominiert sie natürlich auch und bestimmt, wo, wer liegt.
Nun ja - aber heute sah Lillys Welt irgendwie bedrohlich aus. Immer noch saß sie da - wie ein Schluck Wasser. An Aufstehen war überhaupt nicht zu denken.
"Es muss was passiert sein, Lilly kann sich nicht mehr bewegen!" war mein erschrockener Gedanke. Mir fiel ein, dass wir tags zuvor beim Hundefriseur waren. "Vielleicht ist sie dort vom Tisch gefallen?" versuchte ich, mir eine Erklärung zurecht zu basteln.
Immer noch keine Bewegung.
Ich sprang in meine Sachen, hob Lilly vorsichtig auf den Arm, trug sie nach unten, setzte sie auf den Rasen, damit sie wenigstens Pipi machen konnte, was aber auch kaum möglich war, denn das Beinchen, welches immer noch extrem weit ausgestreckt war, zitterte erbärmlich.
So trug ich Lilly ins Auto. Sie durfte diesmal sogar neben mir auf dem Beifahrersitz, in eine warme Decke gehüllt sitzen. So fuhren wir zum Tierarzt, der sogleich eine Ultraschallaufnahme machte, aber…nichts feststellte.
Aus Angst, Not oder sonst was - ich weiß es nicht - öffnete sich noch ein bisschen ihr kleines Därmchen und meine Hose war "waschmaschinenreif". Nun gut - aber das arme Tier mit den gotterbärmlichen Augen - was konnte es dafür???
Also wir fuhren wieder heim. Lilly hatte "ihre Krankheit", die sie voll auskostete. Sie wurde von allen Familienmitgliedern ständig bedauert, betrachtet, gestreichelt, geküsst.
Sie genoss es.
Moritz kam auch ein paar Mal nach ihr schauen, durfte ihr jedoch nicht zu nahe kommen, weil Lilly dann knurrte. So saß sie den ganzen Tag, mit einer Decke über dem Kopf. Sie sah aus wie ein kleines süßes Gespenst. Nur ihre kleinen dunklen Äuglein und ihre nasse kalte Hundeschnauze schienen noch gesund zu sein.
Wir waren alle vollkommen daneben.
Ich telefonierte, mailte Verwandte und Freunde an und erzählte von Lillys Leid.
Ich bekam alle möglichen Hilfsmittelchen empfohlen, Leckerlis wurden schon für Lilly abgegeben und ein guter Freund zog in Erwägung, dass sie womöglich an Herzeleid erkrankt sei.
"An Herzeleid?" war meine Reaktion. Nach einigen Fragen über das Wie und das Was und das Wo und das Warum kamen wir der Sache näher.
"Wen hast Du denn lieber, Lilly oder Moritz?" fragte mich der Freund.
"Tja, alle beide - aber - Moritz habe ich schon länger, und wir schmusen immer viel miteinander - Lilly mag das nicht."
"Und - hast Du sie in letzter Zeit mal benachteiligt?" war seine nächste Frage.
Und da fiel es mir "wie Schuppen von den Augen".
Ja - wir hatten Lilly ausquartiert. Ausquartiert aus unserem Schlafzimmer. Sie sollte mal - aus einer puren Laune heraus - in einem anderen Zimmer schlafen.
"Da haben wir es - Lilly ist beleidigt, dass Moritz im Ehebett schlafen darf und sie nicht". Das war des Rätsels Lösung!
Nun ja - so ganz konnte ich mir das nicht vorstellen. Dass Lilly schon einen regelrechten psychischen Schaden davon tragen sollte, nur - weil sie mal nicht bei uns im Zimmer schlafen durfte!.
Nun gut - ich bin ja gelehrig. "Man kann es ja versuchen", redete ich mir ein. Und so schlief Lilly in der nächsten Nacht wieder bei uns.
Der nächste Morgen kam. Siegesbewusst saß Lilly in meinem Bett - aber blickte immer noch nicht fröhlicher drein.
"Auch kein psychischer Schaden", war mein erster frühmorgendlicher Gedanke.
Und wieder trug ich sie nach unten, glaubte schon an die Dackellähmung, die wir auch in Erwägung gezogen hatten, setzte sie auf ihre Wiese, zum pinkeln, und…plötzlich kam ein Fahrradfahrer an der Längsseite unseres Grundstückes vorbei gefahren, was Lilly ja überhaupt nicht leiden kann.
Wie vom Blitz getroffen, sprang sie auf, ihre Krankheit total vergessend, schmiss sich regelrecht in die Luft, und raste davon, dem Fahrradfahrer hinterher.
"Was für ein Glück, dass der Zaun dazwischen war!"
Seit diesem Moment ist Lilly wieder gesund und ich um eine Erfahrung reicher.



Eingereicht am 15. Mai 2005.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



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