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Rebecca - Eine junge Frau auf der Suche nach ihren Wurzeln

Eine Kurzgeschichte von Andrea Mordasini


Geboren wurde ich im 14.10.1982. Die ersten Jahre verbrachten meine Eltern und ich in einer kleinen Siedlung am Stadtrand. Ich verlebte eine sehr glückliche Kindheit und wurde von meinen Eltern nach Strich und Faden verwöhnt. Das einzige was mir fehlte, war ein Geschwisterchen. Leider konnte meine Mutter nach einer Operation keine Kinder mehr bekommen. Mein Vater arbeitete als Architekt oft auch an den Wochenenden; meine Mutter verdiente zusätzlich Geld mit der Arbeit in einem Lebensmittelladen. Als man meinem Vater eine Stelle in der Stadt anbot, zogen wir um. Für mich als 12-Jährige war es hart, all meine Freunde verlassen und wegziehen zu müssen.
Zum Glück war alles halb so schlimm. In der neuen Schule fand ich rasch Kontakt zu meinen Mitschülern. Mit Julia, einem gleichaltrigen Mädchen, schloss ich Freundschaft. Wir verbrachten jede freie Minute miteinander und begannen, uns für Mode, Musik und Jungs zu interessieren. In der Schule kam ich überall gut mit. Nur mit der Pubertät hatte ich meine liebe Mühe. Die Verwandlung vom Mädchen zur jungen Frau ging auch bei mir nicht problemlos vorüber. Ich wurde rundlicher und rebellisch, mein Gesicht war von Akne übersät, und die Periode setzte ein.
Als mir meine Eltern kurz nach meinem 14. Geburtstag eröffneten, dass ich mit 3 Monaten adoptiert wurde, brach für mich eine Welt zusammen. Nie hätte ich geglaubt, nicht ihr "eigenes" Kind zu sein. Ich fühlte mich belogen und betrogen und wusste nicht, wie mit dieser neuen Situation umzugehen. Auf die Frage, wieso sie mir dies erst jetzt sagten, drucksten sie zunächst herum, ehe sie mit der ganzen Wahrheit herausrückten.
Sie erzählten mir, dass mich meine damals erst 17-jährige Mutter vor der Eingangstüre eines Mehrfamilienhauses gut eingewickelt in einem Körbchen ausgesetzt hatte. Ein Spaziergänger fand mich und brachte mich in die Kinderklinik, wo ich mich von den Strapazen erholte. Einen Monat später kam ich ins Kinderheim und zwei Monate darauf wurde ich von meinen Adoptiveltern aufgenommen. Meine leibliche Mutter blieb trotz Pressemitteilungen und Zeugenbefragungen unauffindbar. Meine Eltern bewahrten einige Tageszeitungen auf, welche damals im Oktober 1982 über mich schrieben.
Die Morgenpost vom 15.10.1982:
" Hilfloser Säugling von Mutter ausgesetzt"
"Dank der beherzten Reaktion eines Rentners wurde das kleine Mädchen, dessen Nabelschnur unfachmännisch durchtrennt worden war, gefunden und gerettet. Das Frühchen wurde in die Kinderklinik gebracht, wo es sich von den Strapazen erholt. Von der Rabenmutter fehlt jede Spur..."
"Das Blatt" vom 16.10.1982:
"Das vor einem Mehrfamilienhaus ausgesetzte Findelkind kämpft in der Kinderklinik um sein Leben. Ärzte und Pflegepersonal tun ihr Möglichstes, um die Kleine am Leben zu erhalten..."
Unter all den Zeitungsartikeln kam auch das von meiner leiblichen Mutter gekritzelte Schreiben zum Vorschein. In kindlicher und zittriger Handschrift stand da geschrieben:
"Meine Kleine,
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Dich Menschen aufnehmen, großziehen und lieben werden und dass Du Deinen Weg gehen wirst. Was ich hier tue, tue ich schweren Herzens. Ich lasse Dich nicht gerne zurück, doch leider sehe ich keinen anderen Ausweg. Niemand darf von meiner Schwangerschaft und der Geburt erfahren; ich bin doch selber erst siebzehn und noch in Ausbildung. Ich tue dies, weil ich dich ganz fest liebe und weil ich für Dich nur das Beste will. In meinem Herzen wirst Du immer bei mir sein. Ich werde Dich nie vergessen und immer an Dich denken.
Deine Mama"
Erschüttert hielt ich diesen Brief in der Hand, welche eine erst 17-jährige Mutter in ihrer Verzweiflung geschrieben hatte. Der Zorn wandelte sich in Mitleid. Mir tat diese unbekannte Frau leid. Was wohl aus ihr geworden ist; wie es ihr jetzt gehen mag?
Für mich war es schwer, mit der ganzen Situation klarzukommen. Dank meinen Eltern und meiner Freundin Julia, welche mich immer unterstützten, gelang es mir, darüber hinwegzukommen. Noch heute sprechen meine Eltern und ich oft über die Ereignisse vom Herbst 1982. Die Gespräche tun mir gut und geben mir das Gefühl, ernst genommen und verstanden zu werden.
Nun habe ich beschlossen, nach meiner noch unbekannten Mutter zu suchen, will aber nichts überstürzen. Ich will sie jedoch unbedingt finden, denn ich habe ihr so viel zu erzählen. An dieser Stelle danke ich all denen, die mir in den letzten Jahren zur Seite gestanden und mir geholfen haben. In erster Linie meinen lieben Eltern, die mich damals aufgenommen, großgezogen, mich immer geliebt und mich zu einem selbstständigen Menschen erzogen und meiner Freundin Julia sowie meinen Kollegen, welche mir in schweren Stunden stets zugehört haben. Zuletzt aber danke ich meiner leiblichen Mutter, dass sie mir dieses schöne Leben überhaupt ermöglicht hat. Deshalb widme ich die letzten Zeilen ausschließlich ihr.
"Liebe unbekannte Mama,
Leider habe ich erst vor ein paar Jahren erfahren, was mit mir vor mehr als 21 Jahren geschehen ist. Ich hoffe, dass wir uns irgendwann mal sehen können, denn ich habe Dir so viel zu erzählen. Ich hoffe, dass es Dir gut geht und Du Dein Leben trotz allem, was Du als junges Mädchen durchmachen musstest, genießen kannst. Ich weiß nun, dass Du aus Verzweiflung gehandelt hast und nicht, weil Du mich nicht liebtest. Du sollst wissen, dass es mir gut geht und Du Dir wegen mir keine Vorwürfe machen musst. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen alles Gute und Liebe.
Deine Rebecca"



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