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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Tod durch Alkohol

Eine Kurzgeschichte von Andrea Mordasini


Der Junge ging in meine Klasse. Ich erinnere mich noch gut an Peter, den kleinen, schm&aumlchtigen, &aumlngstlichen und sch&uumlchternen Sch&uumller, der allen Konflikten und Auseinandersetzungen aus dem Weg ging; ein Streber und Außenseiter ohne viele Freunde. Und doch beeindruckte er mich. Nie verfiel er dem Gruppendruck wie die meisten von uns. Er rauchte und kiffte nie und trank auch keinen Alkohol. Auch in unseren ber&uumlhmt-ber&uumlchtigten feuchtfr&oumlhlichen Klassenlagern blieb er immer "sauber".
W&aumlhrend der Lehre und sp&aumlter habe ich ihn aus den Augen verloren; habe nie wieder was von ihm geh&oumlrt. An unserer ersten Klassenzusammenkunft nach f&uumlnf Jahren nahm er auch nicht teil. Im Nachhinein habe ich dann erfahren, dass er gar nicht eingeladen wurde.
Es war im letzten Sommer, an einem gem&uumltlichen warmen Samstagnachmittag. Ich saß in einem Straßencafé, beobachtete die Leute um mich herum, als sich pl&oumltzlich ein ungepflegt scheinender und nach Alkohol riechender Mann sich nebenan an einen freien Tisch setzte. Ich merkte, wie er mich musterte und f&uumlhlte mich dabei unbehaglich, ließ mir jedoch nichts anmerken. Doch irgendetwas an ihm kam mir bekannt, ja sogar vertraut, vor. Als er mich mit seinen ausdruckslosen Augen anstarrte, erkannte ich ihn wieder - es war Peter, der einst so seri&oumlse Junge aus der Schule. Meine G&uumlte, schoss es mir durch den Kopf, das kann doch nicht wahr sein; was ist denn bloß mit ihm geschehen? Nun erkannte er auch mich wieder und fragte besch&aumlmt, ob er sich zu mir setzen und ein bisschen mit mir plaudern d&uumlrfe. Ein wenig angewidert durch sein schmuddeliges Äußeres bot ich ihm dennoch den freien Platz neben mir an.
So kam es, dass wir bis weit in die Abendstunden zusammen saßen und er sich all seinen Kummer von der Seele sprach. Z&oumlgernd begann er zu erz&aumlhlen wie er bereits nach zwei Monaten seine Lehrstelle als Elektriker abbrach, weil er sich von seinen Mitarbeitern wie seinen Vorgesetzten missverstanden f&uumlhlte und wie er dann in diversen Bars jobbte, um wenigstens ein wenig Geld zu verdienen und dort so seine ersten Erfahrungen mit dem Alkohol und anderen Drogen machte. Seine alleinerziehende Mutter f&uumlhlte sich mit ihm &uumlberfordert und setzte den Taugenichts kurzerhand vor die T&uumlre. Sein geschiedener Vater, ein versnobter neureicher Arzt wollte ebenfalls nichts mehr mit ihm zu tun haben und brach den Kontakt zu ihm g&aumlnzlich ab. Ein arbeitsloser Sohn h&aumltte bloß seinem Ansehen geschadet. Als Einzelkind hatte Peter also auch keine Geschwister, denen er sich in seiner Not h&aumltte anvertrauen k&oumlnnen. So begann der soziale Abstieg. Zun&aumlchst fand er Unterschlupf bei einem auf der Gasse lebenden Junkie, sp&aumlter schloss er sich Jungs aus der Alk-Szene an. Er hatte es satt, &uumlberall den Kopf hinhalten zu m&uumlssen und von der Gesellschaft ausgegrenzt zu sein. So begann er seinen Frust im Alkohol zu ertr&aumlnken. Nach drei erfolglosen Entziehungskuren, mehreren R&uumlckf&aumlllen und Aufenthalten in Ausn&uumlchterungszellen hatte er sich v&oumlllig seinem Schicksal ergeben, auch wenn es insgeheim sein größter Wunsch blieb, von der Sucht loszukommen, beschwerdefrei zu leben, einen Beruf zu erlernen und sp&aumlter vielleicht sogar mal eine Familie zu gr&uumlnden. Die Realit&aumlt jedoch sah leider ganz anders, sprich arg, aus.
Geschockt und traurig &uumlber diese tragische Entwicklung bot ich ihm an, ein paar Tage bei mir zu wohnen. Es war ihm peinlich; doch nahm er die Einladung dankend an. Es tat ihm gut, endlich wieder mal duschen und etwas Nahrhaftes zu sich nehmen zu k&oumlnnen. Bei mir machte sich mein schlechtes Gewissen sp&uumlrbar; h&aumltte ich doch damals w&aumlhrend der Schulzeit mehr mit ihm gesprochen und ihn in unsere Clique integriert; doch auch ich geh&oumlrte damals zu diesen Feiglingen, welche den Weg des geringsten Widerstandes w&aumlhlten und lieber mit dem Strom schwammen.
Nun bin ich jedoch erwachsen(er) und um einige Erfahrungen reicher geworden. Leider reichten diese Erkenntnis und meine sp&aumlte Einsicht nicht, Peter aus dem Alkohol-Sumpf zu retten. Die &uumlber vier Jahre Abh&aumlngigkeit haben seiner Leber bereits zu sehr zugesetzt. Er sah schlecht aus, war abgemagert, hatte oft mit Virusinfektionen zu k&aumlmpfen; seine Haut war mit juckenden Ekzemen und Ausschl&aumlgen befallen.
Kurz nach seinem 22. Geburtstag im September letzten Jahres ist er gestorben. Neben vereinzelten "Trinker-Kollegen" war ich die einzige, die ihn auf seinem letzten Weg begleitet hat und noch immer plagen mich Gewissensbisse. Immer und immer frage ich mich, wieso gerade er dieser t&oumldlichen Sucht verfallen musste. Auch wenn mir bewusst ist, dass jeder einzelne allein die Verantwortung f&uumlr sein Leben tr&aumlgt und ich ihn wohl gar nicht von der Sucht h&aumltte befreien k&oumlnnen, f&uumlhle ich mich mitschuldig an seinem Leiden und seinem Tod. Regelmäßig besuche ich sein Grab, schm&uumlcke es mit Blumen, verweile einen Moment dort und versuche meine Gedanken zu ordnen.
Bei einem unserer letzten gemeinsamen Gespr&aumlche habe ich ihm und mir versprochen die Finger vom Alkohol zu lassen. Bis jetzt habe ich mich an dieses Versprechen gehalten und werde es auch weiter tun.



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