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Kurzgeschichte Kurzgeschichten

Skydive

© Martina Kracke


Splitternackt sonne ich mich in den Dünen von Maspalomas. Der Himmel ist blau, das Meer rauscht, die Sonne scheint..... Hombre, ist mir langweilig. Schnauze, da oben. Du bist überarbeitet, Du brauchst Erholung. Was willst Du denn??? Bäh, aber nur Strand und Essen und Cocktails kann's doch nicht gewesen sein??? Wo ist der Kick??? Nichts passiert. Caramba! Jawoll, Erholung ist angesagt. Okay, ist ja schon gut.....Ich döse weiter.
Am Himmel brummt wieder das Flugzeug. Brumm, brumm. Es kreist und kreist und irgendwann sieht man Punkte herausfallen, und dann sieht man bunte Fallschirme. Momentmal, Fallschirme??????? ICH WILL AUCH!!!
Abends laufen Bernd und ich an den Landeplatz und sehen uns um. Relativ schnell kommt ein Mädel angesprungen und spricht uns auf englisch an. Das Mädel sieht aus wie Jennifer Lopez. "You will love it", sagt sie zu mir, und ruft nach hinten "Paco, venga!". Ein grosser, dunkelhaariger Spanier erhebt sich unlustig aus dem Café und erklärt uns alles auf deutsch. Ausbildung eine Minute, freier Fall etc. Ich bin völlig woanders, bis der Typ mich direkt anspricht "Haben Sie eigentlich auch eine Stimme?". Wahrscheinlich stehe ich schon die längste Zeit wie der Depp mit offenem Mund herum da. Peinlich, okay, ich kann auch sprechen. Dann melde ich mich an. Jennifer Lopez heisst Carmen Delia und macht den Schreibkram, der Typ verzieht sich wieder.
Am nächsten Tag geht es los. Um 16.00 Uhr soll ich abgeholt werden. Nachts bin ich mal aufgewacht und habe überlegt, ob ich eigentlich des Wahnsinns fette Beute bin??? Oder war ich betrunken?? Nee, nee. Den Vormittag inspiziere ich unruhig den Himmel. Jede Wolke stört mich, hoffentlich kommt kein Gewitter. Das Wetter bleibt gut, kurz vor vier trete ich aus dem Hotelzimmer und sehe von oben schon den Minibus. Sie sind schon da. Ich habe eine beige Jeans an, weisses T-Shirt, und den weinroten Ballettpulli umgebunden. Es könnte kalt werden da oben. 15-16°C, meinte Carmen. Paco schüttelt mir die Pfote. "Wie geht’s? Hast Du Angst?" - "Iiich, neiiin, üüüberhaupt kein bisschen" (wenn’s nur schon rum wäre....). "Die andere Springerin ist aus Luxembourg, sie versteht deutsch." Ich krabbel mal in den Bus. Im Bus sitzt ein Mädel. Auch sie hat ihren (zugegebenermassen dicken) Freund mitgebracht, der ebenfalls NICHT mitmacht. Paco erklärt, dass noch zwei Jungen aus Irland springen wollen, ob wir die zuerst lassen wollen? Blitzschnell beschliesse ich, dass ich unmöglich länger warten kann. "Wir zuerst". Yvette stimmt zu (ich war mal wieder durchsetzungskräftig). "Okay", meint Paco "Ihr seid Frauen, Ihr habt Vortritt."
Dann fahren wie zum Aeroclub nach San Agustin. Vor dem "aeropuerto" steht ein altes, ausgeschlachtetes Flugzeug. Wir betreten ein chaotisches "Büro". Ich unterschreibe, dass mir bekannt ist, dass im Extremfall der Fallschirm nicht aufgeht und auch der Reserveschirm versagen könnte. Auweia. Dann findet die Schulung statt. Carmen erklärt die Haltung beim Aussteigen. Beine gekreuzt, unter dem Popo, Arme gekreuzt, beim Aussteigen den Kopf nach hinten links auf die Schulter des Instructors legen. Aha, Körperkontakt. Mir ist sowieso alles egal. Ich hoffe aber, dass ich mit Paco springen werde. Erstens mal ist er der Älteste, ca. 46 Jahre alt, und der Grösste. Ausserdem rennen noch zwei Jüngere herum. Die Jüngeren werfen sich in ihre Montur, mit Rucksack und allem drum und dran, Paco macht gar nichts. Hä??? Dann werden Yvette und ich in die Gurte verpackt. Yvette ist ziemlich schnell drin, bei mir gibt’s mal wieder Probleme. Das Ding ist nicht unbedingt auf 1,82m Körpergrösse eingestellt. Paco "verpackt" mich. Reisst ziemlich unsanft an mir herum und zurrt alle möglichen Gurte fest. Schreit nach Carmen, die helfen soll. Tut sie auch. Dann wurschtelt er weiter an mir herum. Quetscht mir meinen Minibusen platt. Möchte mal wissen, was er mit welchen mit grösserem Vorbau macht? Das Ding ist ein richtiger Keuschheitsgürtel. Hahaha. Ich kann nur noch o-beinig laufen. Dann zieht auch er sich endlich an. Gottseidank. Ich peile auch langsam, warum es drei sein müssen: Zwei Tandemspringer und ein Kameramann. Aha. Denn Yvette will sich filmen lassen. Mir alles vollkommen schnurz. Brauche weder Film noch Foto, denn ich werde, sofern ich das hier überlebe und es gut war, sicher was Nettes drüber schreiben. Irgendwie lasse ich mich aber doch zum Fotografieren überreden. Wie das gehen soll? Wer knipst denn? "The instructor", erklärt Carmen. "Does he have time?"- "Oh, yes, he does." Ist mir alles nicht ganz klar, aber relativ wurscht. Dann geht’s los. Wir gehen zum Flugzeug, bzw. ich watschle. Vor dem Flugzeug: Fototermin. Mit Paco, ohne Paco. Meine Herren, ich vertraue dem Typen mein kostbares Leben an. Hilfeeeee. Das Flugzeug hat gar keine Türe zum schliessen. Oje. Kurz vorher wird die Absprunghaltung geübt. Ich muss (oder darf?) auf Pacos Schoss sitzen. Eigentlich ganz nett. Nettes Rasierwasser verwendet der Mann. (Bernd ist mit Carmen und dem Luxembourger auf dem Weg zum Bus. Die fahren an die Landestelle nach Playa del Inglés). Der Gedanke ist schnell wieder vergessen. Dann geht es los. Wir liegen hinten, mit dem Rücken zur Flugrichtung. Yvette und ihr Partner in Richtung Pilot. Paco und ich vornedran, vor uns der Kameramann. Das Flugzeug startet und steigt. Unter uns das glitzernde blaue Meer. Ich erkenne Las Palmas, die Hauptstadt von Gran Canaria (und von Fuerteventura und Lanzarote). Im Westen zerklüftete Gebirge, karg und braun. Die Dünen von Maspalomas. Wow. Playa del Inglés. Ich sehe genau meine Sonnendüne. Erkenne ich daran, dass sie den maximalen Abstand zu den beiden Strandkneipen südlich und nördlich hat. Paco stupst mich auf die Schulter "Martina, schau, Tenerife". Tatsache. Der (schneebedeckte?) Gipfel des Pico del Teide ist in Wolken gehüllt. Somit kann ich nicht erkennen, ob’s Schnee hat. "Und jetzt relax. Geniesse den Flug." Der hat gut reden. Ich hocke stocksteif zwischen seinen Beinen. Tja, würde mich ja gerne zurücklehnen und an seiner starken Brust relaxen, aber soweit sind wir ja schliesslich (noch?) nicht. Hmmmm, kurzfristig fällt mir auf, dass aber der Kameramann und der Partner von Yvette wirklich knackig sind. Wir hier oben im Flugzeug, ein dicker Pilot, Yvette und ich, und die drei knackigsten Spanier weit und breit. Neiiiiiiiiiiiin, verdammt, DAS ist hier NICHT das Thema. Andererseits, ich vertraue dem Knaben mein Leben an, vielleicht sollte frau doch mal anfangen, so etwas wie eine persönliche Beziehung aufzubauen. "Hast Du auch noch Angst?" frage ich. Irgendwie bin ich verklemmt heute. "Nein, ich habe keine Angst, aber das Adrenalin, das ist bei jedem Sprung dabei. Stell Dir mal vor, wir beide hätten Angst, wäre doch schlimm....." Auch wahr, ich vertraue ihm jetzt einfach blind. Kann mich aber auch anlehnen, ist sehr angenehm.......Das Flugzeug steigt und es wird kälter. Jetzt wird‘s aber öde, und vor allem: schlotter!
Dann geht es los. Der Kameramann rutscht zur Seite. Paco zieht mich hoch "Sitz auf meinen Schoss - ab jetzt mache ich alles". Als ich mithelfen will, zum Ausgang zu robben heisst es "ICH mache alles". Er hat mich nun ganz an sich gekettet. (Hey, der hat mich sich auf den Bauch gebunden, der weiss gar nicht, wie viele Typen gerne an seiner Stelle wären....) Dann soll ich die Brille aufziehen. "Willst Du mir mir runterschauen?" Si, Claro. Uaaaahhhhhh, das ist aber wirklich eklig, vor allem, weil ich halb aus dem Flugzeug hänge. Kotz. Und dann sind wir draussen. Wuuuuuuuuuuuuuuuuschhhhhh. Ziiiiiischhhhhhhhhh. Aus 3.700 m Höhe.
Der freie Fall dauert 52 Sekunden (erfahre ich später), macht 160km/h. Stimmt das nun? Mathematik ist lange her...... Kriege ich das auch hin, wenn ich im SLK das Dach aufreisse und auf der Autobahn rase????? Nee, und irgendwas mit Erdbeschleunigung gab’s auch noch. m x g x h = ??????? Keine Ahnung, ist auch nicht das Thema..... Ziiiiischhhhh. Die Erde ist soweit entfernt, dass ich keine Angst habe. Paco klopft mir auf die Schulter, das bedeutet, dass ich die Arme öffnen darf. Rechtwinklig zur Seite (not like Superman): Beine immer noch gekreuzt unter dem Popo, Hohlkreuz. (wie zwei Frösche aufeinander, hahaha).
Nach vorne schauen, nur Idioten schauen nach unten. Es dreht sich, uuups, mein Magen. Ich sehe blau, blau, blau. Blau wie das Meer, blau wie der Himmel. Mir reisst es den Mund zum Breitmaulfroschgrinsen auseinander, ich schmecke salzige Luft. Paco kontrolliert den Höhenmesser an seinem Arm. Bei 1.400m ist es soweit, er zieht den Schirm. Es klappt alles. Mir reisst es die Beine nach vorne, dann wird’s gemütlich. Paco gibt mir die Leinen rechts und links in die Hand und fasst mir in die Hose.......... natürlich um den Wegwerfotoapparat herauszuholen, der vorher dort verstaut wurde. Er fängt an zu knipsen. Von oben, von unten. Mir egal. Ich fliege. Es ist super, hoffentlich dauert es ewig. Unterwegs treffen wir Yvette. Sie hat ihre Brille noch auf. Paco hat mir meine nach dem Öffnen des Schirmes aus dem Gesicht gezogen. Gottseidank, dekorativ ist das Teil ja nicht. Unser Schirm ist in der Mitte grossflächig pink und zu den Seiten hin regenbogenfarben. Ich sehe Playa del Inglés, Häuser, Bettenburgen und massenhaft Swimmingpools, die Dünen von Maspalomas. Meine Düne. Unser Hotel, Riu Palace Maspalomas. Wir berühren den Schirm von Yvette und winken. Touch Screen (ist eigentlich was anderes). Paco knipst weiter. Ob das was wird? "Lächeln, Du bist hier der Star!" Na schön, wenn er meint. Wir sehen Yvette landen, machen noch einen Umweg. Es soll aber nicht aufhören. Kurz vor der Landung soll ich die Beine hochziehen. Wir üben das kurz und fliegen noch über die Promenade. Alle Leute glotzen. Dann ist es vorbei. Ich ziehe meine Beine an, und stehe im Sand.
"I believe I can fly, I believe I can touch the Sky" UND DIESMAL ABER RICHTIG!!!!



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