Spuk in der Nacht
Von Elke Ripka-Exler
Diese Geschichte ist eine wahre Begebenheit und sie stammt aus dem Jahre
1913, kurz nachdem meine Oma 8 Jahre alt wurde.
Zu diesem Zeitpunkt wohnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in
demselben Haus, wie die Familie Dermitzel. Diese Familie besaß 5 Kinder, im
Alter von 15 bis 7 Jahren. Zu Ostern sollte das zweite Kind, eine
Tochter, konfirmiert werden, aber es fehlte noch an allem. Das Unglück wurde
besonders groß, als der Vater der Familie stürzte und viele Wochen, wegen des
verletzten Knies, im Bett liegen musste. Frau Dermitzel, nicht allzu
kräftig, wusch bei feinen Leuten die Wäsche und hatte außerdem für zwei
Kostgänger zu sorgen. Diese beiden zogen dann aber aus, weil sie glaubten, sie
bekämen für ihr Geld nicht genug zu essen, seit der Vater Dermitzel krank
feierte. Der Einsegnungstag rückte immer näher und die kleine Frida Dermitzel
weinte oft nachts in ihr Kopfkissen, weil sie in der Schule die anderen
Mädchen über ihre Kleider und sonstigen Sachen für die Konfirmation sprechen
hörte. Sie besaß von alledem noch nicht das Geringste. Da sagte abends einmal
die Mutter: "Ich weiß was ich tue. Ich fahre nach Berlin, dort wohnen drei
wohlhabende Brüder von mir. Ihnen werde ich meine Notlage schildern und ich
glaube bestimmt, dass sie mir helfen werden." Schon am übernächsten Tag fuhr
sie ab. Die drei Brüder Schmidt, die ihre Schwester lange nicht gesehen
hatten, freuten sich über ihren Besuch und erfüllten ihr alle Wünsche, doch
sie sollte wenigstens eine Woche bei ihnen bleiben.
In ihrer Wohnung zu Hause geschahen aber gleich in der folgenden Nacht, nach
ihrer Abreise, die seltsamsten Dinge. In der Küche schlugen Topfdeckel
gegeneinander, die mit Wasser gefüllten Eimer standen am Morgen oben auf dem
Küchenschrank. Die schmutzigen Schuhe der Kinder waren im Küchenschrank und
das Geschirr, sowie Gläser und sonstiger Zierrat, standen in der Nische unter
dem Herd, wo man gewöhnlich Holz zum Trocknen aufschichten konnte. Der Vater
Dermitzel hatte eine große Dose Bratheringe holen lassen und als diese leer
war, stellte sie jemand aufs Fensterbrett. Als nun dieser fürchterliche Lärm
anbrach, schleppte sich der kranke Mann dorthin, denn er wollte doch sehen, ob
das womöglich seine Kinder wären. Aber die waren es nicht, sie lagen im
Nebenzimmer und klammerten sich vor Furcht aneinander. Dann begann der
Krawall im Schlafzimmer der Kinder. Es klopfte und kratzte an den
Bettstellen, einmal am Seitenbrett, dann wieder am Kopfende. Dazu erscholl ein
ganz gemeines, höllisches Gelächter. Eines der Kinder bekam vor lauter Angst
dann Durst und traute sich doch nicht aus dem Bett heraus. Also ging der
Vater in die Küche, um etwas zu holen. Da sah er plötzlich, wie die leere
Bratheringsdose von unsichtbaren Händen aufgehoben und in Richtung seines
Kopfes geschleudert wurde. Er bückte sich noch rechtzeitig und die Dose flog
krachend gegen die Wand. Wieder erklang dieses widerliche, meckernde
Gelächter. Nicht nur die Kinder fürchteten sich, nein, auch dem Vater sträubten
sich die Haare. Im Abstellraum neben der Küche, befand sich das Fahrrad des
Vaters. Ein Gegenstand, der zu dieser Zeit kostbar war. Damit seine Jungs in
seiner Abwesenheit damit nicht Unfug treiben konnten, hatte Vater Dermitzel
dieses Fahrrad mittels eines Flaschenzugs an die Decke hochgezogen und mit
einer Kette und einem Schloss gesichert. Nun hörten alle ein Surren und als
sie nachschauten, drehte sich das Hinterrad des Fahrrads mit größter
Geschwindigkeit. Und wieder dieses dämonische Lachen, das ihnen das Grauen
über den Rücken jagte.
Drei Nächte hatten sie überstanden, da hieß es für alle, auch für den
Vater: "Mutter muss zurück kommen." Also wurde eine Postkarte geschrieben und
gleich ausgerechnet, wann die Mutter da sein könnte. Dass sie nicht kommen
würde, daran wollte niemand denken. Und sie kam wirklich. Alle fünf Kinder
waren am Bahnhof, um sie abzuholen. Und jedes wollte ihr zuerst erzählen, was
geschah und warum sie gerufen wurde. "Ihr seid nur rechte Schlingel", lächelte
die Mutter verzeihend. Von dem Spuk glaubte sie kein Wort, auch dann noch
nicht, als der Vater dasselbe erzählte wie die Kinder. In der Nacht verging
ihr aber das Lachen, denn der Spuk tobte frecher als jemals vorher. "Jetzt
muss Onkel August her", sagte sie kläglich, "er ist der Einzige, der uns helfen
kann." Onkel August war ein Cousin der Mutter. Aber die Kinder nannten ihn
"Onkel".
Dieser Onkel August war ein Bauer, wohnte etwa 30 bis 40 Kilometer
von der Familie Deremitzel entfernt und war nebenbei Prediger einer kleinen
Sekte. Er besaß ein eigenes Haus und hatte den Boden zu einem
Versammlungsort, für seine Anhänger, ausbauen lassen. Dort sangen sie ihre
Lieder und beten ihre Gebete.
Also wurde von der Familie Dermitzel wieder eine Karte
geschrieben, abgeschickt und man wusste, der Onkel kommt bestimmt. Aber der hatte
nur Sonntags Zeit. Wieder warteten die Kinder an der Bahnstation; und
richtig, da kam auch schon der Zug und Onkel August stieg aus. "Wieder"
wollte jeder zuerst erzählen, aber der Onkel sagte, es komme jeder an die
Reihe, erst der Älteste bis zum Jüngsten. Zu Hause angekommen, wollte die
Mutter ihm eine Erfrischung anbieten, der Onkel wollte jedoch erst seine
"Arbeit" ausführen. Von den Eltern ließ er sich nun alles gewissenhaft und
ordentlich erzählen. Dann kniete der Mann sich an einen Stuhl nieder und
betete mindestens zwei Stunden lang, währenddessen die Kinder
mucksmäuschenstill auf ihren Stühlen sitzen mussten. Nach Beendigung seines
Gebetes ging der Onkel in die hinterste Kammer, wischte mit seinen Händen
alle Ecken aus und tat so, als triebe er etwas vor sich her, zur Tür
hinaus. Dann machte er ein Kreuz in die Tür, wobei seine Hand den Türrahmen
zu beiden Seiten, sowie oben und unten, berührte. So machte er es in den beiden
Schlafräumen, im Wohnzimmer, in der Küche und im Korridor. Und jedes Mal schloss
er die betreffende Tür hinter sich zu. Er ging sogar in den Hausflur hinaus
und machte auch dort die fortwischenden Handbewegungen und in der Haustür
das Zeichen des Kreuzes. "So meine Lieben, jetzt ist eure Wohnung von diesem
Ungetüm befreit. Ihr braucht euch nicht mehr zu fürchten. Er kommt auch nicht
wieder, er kann nämlich nicht herein."
Der Onkel nahm nun am Mittagessen teil und dann drängte er fort, er wolle
seine Gläubigen nicht warten lassen, die heute Nachmittag bestimmt kommen und
seine Predigt hören wollen. Skeptisch erwartete die Familie Dermitzel die
Nacht, aber kein Spuk, kein Krach oder böses Gelächter ließ sich hören.
Onkel August hatte sie davor befreit und sie schrieben ihm ihren Dank.
Und ich danke meiner Oma, die schon lange im Himmel ist, für diese
Geschichte.