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Der Kartentrick

Von Uwe Neugebauer


Die langsam beginnende Nacht schien das ganze Haus zu verschlucken. Nur ein schwacher Schimmer drang durch die finsteren Fenster und eigentlich hatte Hans kein gutes Gefühl, als er auf den Klingelknopf drückte.
Das Schimmern verschwand und wurde durch ein helles Leuchten überdeckt, beinah im selben Augenblick öffnete sich die Tür und die schlanke Gestalt eine alten Frau stand ihm gegenüber.
"Guten Abend", sagte er aufgeregt, "Eibner ist mein Name. Ich habe eine Autopanne und wollte fragen, ob ich bei Ihnen mal telefonieren dürfte."
"Gottchen, guter Mann", sagte die Alte mit wispernder Stimme, "und das ganz alleine in dieser Gegend." Ein mitleidiger Blick sprang dabei über den Rand ihrer rahmenlosen Brille, und obwohl sie doch sehr besorgt aussah, schien sie ihn gleichzeitig genau zu beobachten.
"Nein, das nicht", beruhigte er sie. "Meine Frau ist noch mit im Wagen." Beflissen deutete Hans die Straße hinunter, an deren Ende die Umrisse des Fahrzeuges noch zu erkennen waren. "Ich möchte auch keine allzu großen Umstände machen", fügte er an.
Sie trat einen Schritt zur Seite und bat ihn herein. "Ein Tässchen Hagebuttentee?", fragte sie gleich.
Leise fiel die Tür ins Schloss. Mit lautlosen Schritten tippelte die Alte vorneweg und ehe sich Hans versah, war sie schon entschwunden.
"Nein", rief er hinterher, "das ist nicht nötig."
Aber sie schien ihn nicht zu hören, da das Geräusch von klappernden Töpfen seine Worte wohl übertönte. Als er noch ein paar Schritte in den Raum trat, bemerkte Hans dieses samtweiche Gefühl unter seinen Füßen. Es war ein schwarzer, mit Goldfäden durchzogener Teppichboden, auf dem sich das gesamte Mobiliar ausbreitete. Neugierig fiel sein Blick in die hinterste Ecke. Neben einem altertümlichen Sofa befand sich ein runder Tisch, dessen hölzerne Beine so auffällig gedrechselt waren, dass es ihm eine echte Freude war, diese ungewöhnliche Arbeit zu bewundern. Obenauf lag ein Kartenspiel, fein säuberlich auseinander gereiht, wobei jedes einzelne Blatt seine eigene Bedeutung haben musste, denn dies war kein normales Kartenspiel.
"Sind sie nicht wunderschön?", schwärmte sie.
Wie aus dem Nichts stand die Alte plötzlich neben ihm. Ihre knochigen Hände falteten sich dabei wie zum Gebet und mit einem gütigen Blick, lächelte sie auf die ausgebreiteten Karten.
"Oh ja", sagte Hans.
Eigentlich verstand er nichts von solchen Dingen, aber dass sie der alten Frau sehr viel bedeuteten, das sah er ihr sofort an.
"Wirklich sehr schön", sagte er wieder, "auch die Bilder darauf, wirklich schön."
Sie setzte sich in den großen Ohrensessel, der davor stand. Dieses ruhige Lächeln in ihrem schmalen Gesicht begleitete sie dabei unaufhörlich. "Bitte setzen Sie sich doch", sagte sie. Ihre Stimme klang mit einmal viel lauter, aber trotzdem sanft.
Hans wollte nicht unhöflich sein auch wenn er wusste, dass Dagmar im Wagen wartete, und so nahm er auf dem Sofa Platz.
"Na ja", sagte er nervös, "wir sind von der 289 runtergefahr´n und wollten nur ´nen Abstecher machen, und jetzt das."
"Ja, ich weiß", sagte die Alte abwesend. Konzentriert sah sie auf die Karten, wobei ihre eine Hand unentwegt von einem Bild zum nächsten hüpfte. Ein besorgtes "Ah ja, Besuch kommt ins Haus", entfuhr ihr dabei und mit ernster Miene fuhr sie fort: Wissen Sie, die Karten lügen niemals."
Sie deutete auf zwei einzelne Bilder und klärte Hans auf, dass er und seine Frau die beiden Personen darauf wären.
"Sie haben doch ein Telefon?", fragte Hans etwas unsicher.
"Oh ja, Herr... Wie war nochmal ihr Name?"
"Eibner, Hans Eibner", antwortete er.
"Natürlich, Herr Eibner, ein Telefon habe ich." Nachdenklich sah sie ihn an. "Fenchel", sagte sie plötzlich, "einen guten Fencheltee werd´ ich uns machen. Am besten, Sie sagen Ihrer Frau Bescheid, sonst wird sie womöglich noch vor Sorge umkommen."
Verdutzt sah er ihr nach, so schnell war sie aufgesprungen und schon wieder in dem anderen Zimmer verschwunden. Hans glaubte nicht an Kartenlegerei, aber als er aufstand konnte er nicht umhin, nochmal einen Blick auf die beiden Kartenbilder zu werfen. Plötzlich stockte ihm der Atem. Erst jetzt war ihm aufgefallen, dass zwischen ihm und Dagmar ja eine dritte Karte lag. Es brauchte keine hellseherischen Fähigkeiten um dies zu verstehen, denn die skelettierte Gestalt auf der Karte war eindeutig.
"Der Tod", stammelte Hans. Seine Hände begannen zu zittern, kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Es ist eindeutig, dachte Hans, wenn diese Karten den heutigen Besuch angekündigt haben, dann ist auch das mein heutiges Schicksal. Oder doch Dagmars? Oder wir beide? Ziemlich verwirrt ging er zur Tür hinaus und eilte zum Wagen.
Es brauchte sehr viel Feingefühl, bis Dagmar ihn endlich zur Rede stellen konnte.
"Blödsinn", sagte sie dann, "du glaubst das doch nicht etwa wirklich?"
Erst nach mehreren Versuchen war es ihr gelungen, Hans wieder zu beruhigen, ihm endgültig klarzumachen, dass heute nicht mehr das Geringste passieren wird.
Die alte Frau saß bereits an ihrem runden Tisch, als Hans mit Dagmar wieder zurück kam. Ein durchdringender Geruch von Fenchel erfüllte das Zimmer und nur das unscheinbare Schimmern einer Stehlampe warf seinen schwachen Schein in den Raum.
"Da sind Sie ja wieder", sagte sie freundlich lächelnd. "Nun setzen Sie sich erstmal und trinken einen guten Tee."
Beide nahmen auf dem Sofa Platz. Vor ihnen stand ein hölzerner Teewagen mit verschnörkelten Porzellantassen darauf und einer ebensolchen Kanne.
"Ich hab den Pannenservice angerufen", erklärte die Alte. "Der Mechaniker wird in einer Stunde hier sein." Mit ruhiger Hand füllte sie die Tassen.
Während alle da saßen und den heißen Tee schlürften, begann die Frau von ihrem einsamen Leben zu erzählen. Sie redete unentwegt, und als Hans versuchte, dem leiser werdenden Klang ihrer Stimme zu folgen, fiel ihm auf, dass die Frau tatsächlich immer kleiner wurde. Auch konnte er sich nicht erinnern, dass Fenchel einen so bitteren Nachgeschmack habe, und während er darüber nachsann, sank er in sich zusammen.
Der nächste Morgen begann still. Hans und Dagmar lagen zusammengesackt auf dem Sofa. Als die Alte mit einem zufriedenen Summen aus dem Fenster sah, befand sie, dass nun Zeit wäre die beiden zu wecken.
"Sie waren wohl gestern so erschöpft von der Reise, dass Sie einfach eingeschlafen sind", sagte sie. "Tut mir leid, aber da wollte ich Sie nicht mehr stören."
"Schon gut", sagte Hans. Was ist bloß los, dachte er. Das Letzte woran er sich erinnerte, waren die gefüllten Teetassen. Ein leichtes Brummen im Schädel konnte er spüren und Dagmar erging es auch nicht besser.
"Nun ist alles wieder in Ordnung", sagte die Frau. Mit einem etwas eitlen Blick drückte sie Hans die Wagenschlüssel in die Hand und verabschiedete beide.
Später, als Hans und Dagmar wieder auf der Landstraße fuhren und es ihnen auf befremdliche Weise komisch erschien, dass seit einer halben Stunde noch keiner einen Ton gesagt hatte, sagte Dagmar plötzlich: "Und wir sind einfach eingeschlafen?"
Hans konnte es sich auch nicht recht erklären. Doch als er einen Wortfetzen aus dem leise laufenden Autoradio vernahm, ging er vom Gas und ließ er den Wagen allmählich auf dem Seitenstreifen ausrollen, bis er hielt. Er stellte den Regler auf gut hörbare Lautstärke, und beide horchten wie versteinert den letzten Worten dieser Meldung: "...in den späten Abendstunden. Die B289 war für insgesamt sechs Stunden voll gesperrt. Weitere acht Verletzte sowie drei Tote wurden aus den zertrümmerten Wrackteilen dieser bisher schlimmsten Massenkarambolage geborgen."



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