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Die Hinterlassenschaft

© Frank Moné


9342 Jahre vor Christus, südlicher Teil der nubischen Wüste
Maáli war froh. Die dunklen Götter waren zurückgekehrt. Er hatte Angst um sie gehabt, denn sie lagen im Streit mit den weißen Göttern. Vor vielen, vielen Monden waren zuerst die weißen Götter aus den Wolken gestiegen, in runden Zelten, so groß wie ein kleiner Berg. Es waren große, schöne weißhäutige Wesen mit zwei paar Armen, eines davon wie die der Vögel. Aber sie waren böse. Seit ihrer Ankunft verschwanden immer wieder Mitglieder seines Dorfes. Und wenn die Stammesangehörigen zurück kamen waren sie nicht mehr wie vorher. Eher wie die Tiere, die sie vorher hüteten. Aber doch ganz anders. Sie fielen über das Dorf her, so dass man sie töten musste. Doch wenn man sie tötete erzürnten sich die weißen Götter. Dann kamen die dunklen Götter, in ebenso großen Zelten. Sie waren nur etwas kleiner und breiter als die weißen, hatten aber eine rote bis schwarze Haut und aus ihren Köpfen ragten bewegliche Hörner, wie die der Wüstenböcke. Sie trafen sich mit den weißen und gerieten in Streit. Maáli erinnerte sich noch wie aus dem Zelt der Weißen ein Finger aus Licht drang und in das Zelt der Dunklen einschlug. Und dann verschwanden die Dunklen vor seinen Augen, so wie die Tiere, die sich auf einen Stein setzen und auch zu Stein werden. Von beiden Seiten erbrandete sodann ein furchtbares Brüllen und auf ihren Feuerschwänzen schienen die beiden Zelte der Götter wieder in die Wolken hinauf zu steigen. Er sah noch viele Lichtfinger und ein Unwetter aus Blitzen am Himmel. Dann sah er wieder das große Zelt der Dunklen. Bis der dunkle Gott wieder aus seinem Zelt kam vergingen vier Monde. Der Gott war verletzt, das sah Maáli sofort. Er schwankte und eine gelbliche Flüssigkeit rann dort aus einer Wunde, wo Maáli den Hals vermutete. Der dunkle Gott gab ihm eine runde Scheibe mit kleinen Malereien darauf. Sie war schwer und kostbar. Vorsichtig näherte sich die große schwarze Hand des Gottes Maális Kopf und behutsam berührte er Maális schwarze Haare und seine dunkle Haut. Dann fiel der dunkle Gott um. Ein langes tiefes Geräusch erklang und das Zelt der Dunklen ritt auf seinem Feuerschwanz wieder in die Wolken. Der Dunkle blieb liegen. So lange, bis nichts mehr an ihn erinnerte.
Anno Domini 2008
Es war wohl das erste Mal, dass der Vatikan und verschiedene Universitäten derartig zusammen arbeiteten. Der Kleinststaat im Herzen Roms hatte den Denkfabriken ein Artefakt zur Untersuchung überlassen, welches sich schon seit fast zweitausend Jahren im seinem Besitz befand. Und ebenso lange trotzte diese vollkommen runde Scheibe mit den verwirrenden Symbolen und Zeichen auf der Oberseite den Entschlüsselungs- und Interpretationsversuchen der Kuttenträger. Der Pontifex Maximus selbst hatte um die Mitarbeit gebeten und so hatte im Jahre des Herrn 2008 das uralte Stück unter strengsten Geheimhaltungs- und Vorsichtsmaßnahmen seinen Weg nach Deutschland gefunden.
02. Juni 2008, Saarbrücken, Universitätsgelände, 18:52 Uhr
"Klick mal auf diesen Link; ich denke, das interessiert sogar dich. Seit fast zweitausend Jahren kann nichts und niemand was damit anfangen. Professor Weiler hat das Teil ins Netz gestellt". Zweifelnd und ziemlich uninteressiert blickte Regis seinen 24-jährigen, schwergewichtigen Studiumsgenossen an. Er kannte das schon, David kam des Öfteren mit obskuren Ideen und nervte ihn damit oft fast bis zum Erbrechen. Aber um gleich die mit Sicherheit folgenden und nichts bringenden Diskussionen zu vermeiden brachte er die Maus in Position und tippte mit dem Zeigefinger auf den Knopf. Langsam baute sich ein Bild auf dem Schirm auf. Doch je mehr Einzelheiten sich aus dem interlaceten Bild schälten, desto faszinierter starrte Regis auf den Monitor. "Großer Gott, was ist denn das?" Er fuhr zu David herum, doch der war schon, anscheinend wieder ziemlich stoned, auf der gemeinsamen Couch eingeschlafen. David las die angefügten Daten zu dem Teil: eine exakt runde Scheibe mit einem Durchmesser von 42 Zentimetern, die Oberfläche war überdeckt mit Linien, Punkten und Symbolen. Im oberen Drittel, jeweils ganz außen waren Darstellungen von zwei unterschiedlichen Gestalten mit Armen und Beinen angebracht, ebenso ganz unten, dort wo bei einem Kompass Süden wäre. Von den oberen Gestalten liefen Linien auf die Mitte zu vereinigten sich und kamen senkrecht bei der dritten Gestalt ganz unten an. Und überall auf der Scheibe Punkte, welche durch die Linien verbunden waren. Es gab aber auch Punkte, die nicht verbunden waren. Regis fiel auf, dass die Anordnungen auf der Scheibe nicht nur mal so angebracht wurden, sondern dass sie einen Sinn ergeben mussten. Er warf seine langen, kräftigen und dunkelblonden Haare mit einem Kopfrucken zurück und rubbelte seine Stirn. Das tat er immer wenn er angestrengt nachdachte. Aber noch was fiel im auf. Alles was auf der Scheibe zu sehen war, war in die Scheibe eingraviert oder eingehämmert. Und zwar äußerst detailreich. Und ... es gab unterschiedliche Tiefen der Gravur. Es erinnerte ihn an sein Bildbearbeitungsprogramm. Dort konnte man Ebenen anlegen, wie mehrere Klarsichtfolien, die man einzeln bemalen konnte und wenn man sie alle übereinander legte entstand daraus ein neues Bild. Zumindest wenn man damit umgehen konnte.
David holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, den Rest kalter Pizza und machte sich daran zu sehen, wie weit er mit seiner Idee kam.
04. Juni 2008, Saarbrücken, Universitätsgelände, 09:14 Uhr
"Professor Weiler! Professor, Regis hats raus. Regis hats raus". David hüpfte trotz seines Gewichts wie ein Gummiball durch die Aula der Uni, im Schlepptau Regis, der von den Sprüngen seines Studiumskollegen durchgeschüttelt wurde. Bestimmt hatte sein Bandwurm jetzt einen Drehwurm. "Setzen Sie sich, meine jungen Freunde, setzen Sie sich. Und Sie Herr Wallner erklären mir um was es geht". Regis setzte sich zurecht und fing etwas stockend an: "Na ja, David hat mir im Netz das Bild der Scheibe gezeigt und ich hab mich ein bisschen damit beschäftigt. Es ist ziemlich verwirrend, nicht wahr? Bis mir die unterschiedlichen Tiefen der Gravur oder was das ist, aufgefallen ist. Also hab ich die Bereiche der Scheibe mit der geringsten Gravurtiefe isoliert, dann die Bereiche mit der nächst größeren, dann die mit der noch größeren und so weiter. So entstanden eben sechs verschiedene Ebenen mit sechs verschieden Informationsinhalten. Und die Scheibe als Ganzes bildet eine siebte Informationsebene. Und so siehts ausgedruckt aus." Regis reichte dem hageren Professor Weiler sieben bedruckte Klarsichtfolien, welcher der sich konzentriert ansah. Als Weiler bei der vierten angelangt war, beugte sich David über den Tisch und zeigte auf die Folie. "Sagt Ihnen das was, Herr Professor?" Auf dieser Folie befand sich ein größerer Punkt, rechts daneben, in einer schnurgeraden Reihe, neun weitere, kleinere. Eines der stilisierten Männchen schien mit ausgestrecktem Arm auf den dritten der kleineren Punkt zu zeigen. Und über eben diesem Punkt befand sich ein noch kleinerer. Angestrengt besah sich Weiler die Folie, dann, urplötzlich riss er die Augen auf und das Erkennen trat in sein Gesicht. "Mein Gott," sagte er rau " der große Punkt symbolisiert die Sonne, unsere Sonne, die neun Punkte rechts davon unsere Planeten und die ganz kleinen Punkte die Monde der Planeten. Unser Sonnensystem. Und die kleine Figur ist ein Mensch. Und zeigt auf die Erde." Regis räusperte sich: "Das denke ich auch und ... wir können jetzt auch die Inhalte von zwei weitere Folien davon ableiten und zeigte auf Folie eins und zwei. Professor Weiler fiel die Kinnlade auf die Knie.
06. Juni 2008, Saarbrücken, Universitätsgelände, Aula, 12:04 Uhr
In dem kleinen, recht spartanisch eingerichteten Büro im Verwaltungsflügel der süddeutschen Universität hatten sich schon fünf Personen eingefunden. Frau Dr. Hilgerd, ihres Zeichens Astronomin, gemeinsam mit ihrem nigerianischen Kollegen Herrn Dr. Danuba, Herrn Löffler, ein Experte für das östliche Afrika, Professor Weiler und Regis. Doch bevor ihnen die Zeit zu lang werden konnte, trat ein kleiner, schmächtiger Mann ein. Er hatte schon schütteres Haar und trug eine schmale, modische und sicher sündhaft teure Brille. Prof. Weiler stürzte ihm entgegen. "Herr Kardinal Wolf, seien sie willkommen. Bitte, setzen sie sich doch." Mit einem knappen Nicken und einem ernstem Blick nahm der in Zivil erschienen Kardinal die restlichen Teilnehmer dieses Treffens wahr. "Meine Damen und Herren", fuhr Weiler fort, "ich möchte Ihnen Kardinal Wolf vorstellen, er vertritt in direkter Form die Interessen des Vatikans, von wem wir ja freundlicherweise das Artefakt erhalten haben. Eine umgekehrte Vorstellung wird sich erübrigen, da ich Herrn Kardinal, auf seinen Wunsch hin, schon im Vorfeld über sie informiert habe." Mit etwas säuerlichem Blick fragte sich Regis wie Weiler nur einen solch langen Satz hinbrachte, ohne zwischen durch Luft holen zu müssen. "Nun, Herr Kardinal, ich möchte Sie im Folgenden über das was wir herausfinden konnten informieren. Unser junger Freund hier", Weiler deutete kurz auf Regis, "brachte uns den Schlüssel zu dem Ganzen, indem er darstellen konnte, in welcher Weise die Informationen auf der Scheibe hinterlegt sind. Zunächst einmal konnten wir unser eigenes Sonnensystem auf dieser Folie identifizieren." Der Diaprojektor flammte auf: Weiler verwendete dieselben Folien die Regis ihm ausgedruckt hatte. "Daraus schlossen wir, dass diese beiden Folien, welche ähnlich aufgebaut sind, zwei andere Sonnensysteme kennzeichnen. Bei der ersten Folie sehen sie hier unten eine Figur, die auf diesen Punkt zeigt, den wir als die Erde ausmachen konnten. Somit können wir sicher sein, dass diese Figur einen Menschen darstellt". Weiler machte nun doch eine kleine Pause, um tief Luft zu holen und fuhr dann fort: "Auf den beiden anderen Folien konnten nun Frau Dr. Hilgerd und Herr Dr. Danuba diese Informationen entschlüsseln. Es handelt sich dabei einmal um Sternzeichen, dann, innerhalb dieser Sternzeichen, um bestimmte Sonnen und innerhalb dieser Sonnensysteme um bestimmte Planeten. Dazu muss ich anmerken, dass die Identifizierung der Sternzeichen sehr schwierig war, da diese durch ihre Eigenbewegung heute anders aussehen, als sie das vor rund 9300 Jahren taten. Das ungefähre Alter der Scheibe konnten wir anhand der Halbwertzeit bestimmter Stoffe, aus der die Scheibe besteht, ermitteln." Wie es aussah, versuchte Weiler mit möglichst wenig Fachchinesisch auszukommen. "Die beiden Astronomen haben Folgendes identifizieren können: zum Einen das Sternbild Auriga mit dem Stern HR 2095 / HD 40312. Laut der Scheibe verfügt diese Sonne über fünf Planeten, wobei hier wohl der zweite Planet, von der Sonne aus gerechnet, gemeint ist. Zum Anderen das Sternbild Taurus mit dem Stern HR 1239 / HD 25204, der über 15 Planeten verfügen soll und hier ist der achte Planet gemeint." Der Kardinal ließ Weiler nicht eine Sekunde aus den Augen, aber Regis hatte das Gefühl das auch er genau beobachtet wurde. Regis fiel auf, dass Professor Weiler schwitzte und entgegen seiner sonstigen Art sehr nervös wirkte. Einem Kardinal über den Weg zu laufen ist zwar keine alltägliche Sache, aber ein solcher Hammer nun auch wieder nicht. "Ja, äh, wie es scheint"; fuhr er fort, "führen zwei Linien von diesen Sternen weg, treffen sich ungefähr in der Mitte der Scheibe und laufen dann gemeinsam und geradewegs auf die Erde zu. So, hier", der Prof blätterte zu einer weiteren Folie, "können wir Linien erkennen, drei kleinere, welche dann in diese breitere enden und dann sind da und dort noch welche; und mein Kollege Löffler hier war in der Lage, den Nil mit seinem Delta und den drei großen Zuflüssen auszumachen. Hier scheint eine Stelle besonderes gekennzeichnet zu sein. Herr Löffler hat es als das Gedjia-Tal bezeichnet. Es liegt ca. 400 Km östlich des heutigen Karthum." Weiler stieß die Luft aus und atmete ein paar Mal durch. "Tja, Herr Kardinal, das ist im Großen und Ganzen das, was wir ihnen mitteilen können." Scheinbar zufrieden lehnte sich Weiler in seinem Stuhl zurück, es schien als ob ihm eine große Last von den Schultern genommen worden war. Kardinal Wolf gestatte sich zum ersten Mal eine Reaktion. Ein leises Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte, huschte über seine Züge. Dann sah er direkt auf Regis. "Was halten Sie davon?" Sein Blick saugte sich an Regis fest. "Na ja, das war alles, bis auf die Tatsache, dass es da noch zwei Figuren auf der Scheibe gibt. Die eine sieht aus wie ein Engel, die andere eher wie ein Teufel". Professor Weiler verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und hustete sich die Seele aus dem Leib, während seine Blicke Regis durchbohrten. "Und es sieht so aus", fuhr Regis fort, "als ob beide schon mal auf unserer Welt weilten und aus anderen Welten stammten, oder?" Nun erhob sich Wolf und schaute ernst in die kleine Runde. Dann sagte er: "Meine Dame, meine Herren, sicher sind Sie sich der Tragweite dessen, was sie herausgefunden haben, bewusst. Ich muss sie darum bitten, über all das strengstes Stillschweigen zu bewahren. Ebenso über unsere anstehende gemeinsame Reise nach Afrika."



Eingereicht am 20. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.


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