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Zeitpunkte

© Anita Pöltl


Klick!
Blitzschnell hatte die Maschine sie erfasst. Eine schrille Stimme schrie: "Daniela Müller, sie haben noch 3 Zeitpunkte."
Nur noch 3 ??!! Das waren noch 9 Tage. Zu wenig.
Hektisch bahnte Dani sich ihren Weg durch die Menschenmassen, die ihr entgegen kamen. Mit gehetzten Blicken, leeren Gesichtern.
Dani seufzte. Heute Morgen hatte es wieder einen Streik gegeben. Vor dem Büro für Zeitteilung hatten sich Tausende versammelt und gegen das neue Punktesystem protestiert. Grundsätzlich war Dani ja auf ihrer Seite, aber sie hatte nur noch 3 Punkte, und musste dringend ihre Angelegenheiten regeln, bevor sie sie wieder abschalteten.
Durch diese Proteste waren aber alle Straßen gesperrt worden, und nun war Daniela sieben Stunden zu spät.
Dabei war das schon ihre zweite Runde. Viele Menschen hatten gar nicht das Glück, zweimal rausgelassen zu werden.
Sie war aber eine Presleeper, also ein Kind, das in den Anfangszeiten der Zeitteinteilung geboren wurde, und das sie nach 4 Jahren abgeschaltet hatten.
Als Dani wieder aufgewacht war, war sie 26.
Damals wurde Kindern noch keine Ausbildungszeit gegeben.
Genau in diesem Moment kam Dani eine Gruppe Kinder entgegen. Sie lächelte. Die waren vielleicht sieben, höchstens neun, aber dieses Jahr würden die Neunjährigen ihr Abitur machen, und dann abgeschaltet werden, wenn sie nicht studierten.
Spätestens mit zehn würden alle diese kleinen Gesichter kalt in einem Kanister liegen.
Durch diese speziellen Pillen war es dem Staat gelungen, die Ausbildungszeit zu halbieren. Damals gab es das noch nicht.
Der Anwalt, selbst erst seit 10 Zeitpunkten wieder wach, musterte sie kalt.
"Ich nehme nicht an, sie schalten Sie wieder ein?", fragte er.
"Wieso sollten sie auch? Ich habe diese Runde nur wegen meines Presleepersyndroms bekommen."
Der Anwalt zog die Brauen hoch: "Sie könnten sich noch einen Punkt kaufen."
"Kaufen? Ich dachte, alle Menschen würden gleich geschaltet. Unabhängig von Geld oder Alter. Das war doch der Sinn!"
"Der ursprüngliche Sinn war, trotz der Überbevölkerung des Planeten jedem Menschen sein Leben zu lassen. Jeder sollte leben dürfen, und Platz zum Leben haben. Die Zeitpunkte kontrollieren, wie lange sie hier sind, und nach Ablauf ihrer Zeitpunkte werden sie abgeschaltet, und der nächste darf 1 Jahr lang leben."
Langsam wurde Dani wütend: "Erklären Sie mir nicht Dinge, die ich längst weiß! Wieso kann man sich jetzt Zeit kaufen?"
"Arme Familien gebären Kinder und verkaufen deren Zeitpunkte. Damit verdienen sie eine Menge Geld."
Dani war geschockt. "Aber … was ist mit diesen Kindern? Die werden dann nie leben! Auf immer abgeschaltet!"
Es fröstelte sie, als der Anwalt bedächtig nickte. Es schien ihn nicht zu bewegen.
"Nun denn, Sie vererben also ihre Kette ihrer Tochter. Wenn Sie eine bekommen, in den nächsten 9 Tagen … " der versteckte Sarkasmus traf Dani nicht im geringsten. Sie hatte gestern ihren Kollegen gebeten, ihr ein Kind zu machen. Das war keineswegs unüblich bei letzten Runden.
Es erwischte sie kalt: und wenn das nicht ihre letzte Runde wäre? Wenn sie die Geburt ihres Kindes miterleben könnte? Das wären noch neun Monate … zu lang. So viele Punkte konnte sie sich nicht leisten. Aber ein paar Punkte mehr wären doch okay.
Kurzzeitig drängte sich ihr das Bild von den abgeschalteten Körpern in den blauen Röhren auf, doch sie schob es zur Seite. Punkte kaufen!
"Können Sie mir zwei Punkte besorgen?"
"Das ist nicht legal."
"Können Sie es oder nicht?"
"Es würde Sie 10000$ kosten. So viel haben Sie nicht. "
Aber wenn sie das Erbe verkaufen würde … dann hätte ihre Tochter aber nichts außer der staatlichen Starthilfe.
Nur 6 Tage mehr … was sie alles machen könnte. Daniela nickte: "5000$ für einen?" Der Anwalt nickte wieder gewissenhaft.
"Ich würde gerne eine Testamentsänderung vornehmen."



Eingereicht am 16. April 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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