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4) Ein Tag
Von Igor Zobin
Der Hahn krähte und sein Kopf spürte auf einmal wieder das harte Bett
aus Stroh. Der undefinierbare Geruch, den es hier gab, kam in seine
Nase und riss ihn unsanft aus dem Schlaf und von dem selbstgemachten
Bett hoch.
Der verdammte Hahn schrie immer noch, Peter überlegte sich, ob er das
Vieh nicht essen sollte. Aber immerhin brauchte er so keinen Wecker,
obwohl der Hahn den Nachteil hatte, immer auf halb sechs Morgens
eingestellt zu sein. Na egal. Peter stand von dem abscheulichen Bett
auf und hörte, wie sein Schlüsselknochen leicht knackte, das verhieß
nichts Gutes. Bestimmt war es nicht gesund, in so einem Bett zu
schlafen, aber Geld hatte er ja nicht.
Seine Hütte hatte vorerst Erdboden, das musste er bis zum Winter
ausbessern, wenn er nicht erfrieren wollte. Einen Moment lang
überlegte er sich, ob dieses Schicksal nicht besser für ihn wäre, er
stellte sich vor, wie er auf der zugefrorener Erde in seiner Hütte saß
und an seinen Haaren und an seiner Nase kleine Eiszapfen hingen und
wie er sich mit den Händen aufzuwärmen versuchte, immer langsamer und
langsamer. Peter schüttelte den Kopf. Für Selbstmord hätte er nicht
bis zum Winter warten müssen, er könnte auch jetzt sofort in die Stadt
gehen und von einem Hochhaus springen. Außerdem wäre er nicht so weit
gekommen, wenn ihm nichts am Überleben gelegen hätte. Er erinnerte
sich an die langen Wochen davor, in denen er gelernt hat, eine Axt zu
schwingen und mit einer Säge umzugehen. Die Säge hat er in irgendeinem
Baumarkt in der Stadt geklaut. Die Axt stammte aus einem
Küchengeschäft und war eigentlich für das Hacken von Fleisch
vorgesehen. Angefertigt in China, war diese Axt sehr viel Euro wert
und fast unzerstörbar; sie eignete sich für sein Vorhaben eine Hütte
zu bauen. Er nahm die Axt und eine Säge, jemand anders klaute Nägeln,
andere brachten sogar etwas Baumaterial mit. Aber das meiste haben
sie aus dem Wald bekommen, der früher an dieser Stelle gewachsen war.
Er schaute sich die Wände an, besser gesagt: er schaute durch sie
durch. Er war ein beschissener Handwerker, er konnte nicht einmal ein
Spielzeughaus zusammenkleben und er hasste es, auf dem Land zu leben.
Es hätte nicht besser kommen können, dass er jetzt sein Haus mit
seinen eigenen Händen bauen sollte und dass er davon leben sollte, was
er auf dem kleinen Feld vor seinem Haus erntete. Gestern, als die
Wände standen und das Dach einigermaßen akzeptabel auf ihnen ruhte,
ging Peter verärgert in die Stadt und klaute (außer einigen
Lebensmitteln) in der Bücherei ein Buch mit einer Anleitung für
diejenigen, die ihr Haus selber bauen wollten. Zwar ging der Autor
davon aus, dass man über die modernsten Werkzeuge verfügte (das tat
man nicht immer, denn Klauen war gefährlich und niemand wollte es
einmal zu oft tun), aber es würde ihm eine große Hilfe werden, wenn er
aus dem Haus was er jetzt hatte, eine windfeste, für den Winter
gerüstete Behausung machen wollte.
Er erschauderte bei dem Gedanken
bis zum See laufen zu müssen um sich bei dieser Morgenkälte zu waschen
und ließ es zum ersten Mal in seinem Leben ausfallen. Er zog den
wackligen Stuhl an den nicht weniger wackligen Tisch heran und
schnürte die Tasche auf, in der er die geklauten Sachen gestern Abend
hier hingeschmissen hatte. Mit Interesse (denn er wusste es nicht mehr
genau) holte er ein Brot hervor. Dann vier Packungen von irgendeiner
Wurst, drei Schokoladentafeln und genauso viele Flaschen Bier. Das
müsste für etwa zwei bis drei Tage ausreichen, dachte er grimmig. Er
wagte es nicht, weiter nach vorne zu schauen, denn die Polizei war
hundertprozentig auf ihre Aktivitäten aufmerksam geworden und es war
jetzt viel gefährlicher irgendetwas zu stehlen.
Die Wurst, die er auf ein abgebissenes Stück Brot legte, schmeckte ganz
gut. Bei der Kälte in der Nacht war es fast wie ein Kühlschrank hier
drin und sogar die Schokolade war nicht geschmolzen. Nachdem er die
halbe Tafel in sich reingestopft hat und noch ein Paar Schluck Bier zu
sich nahm, machte er sich an die Arbeit. Zuerst musste der Boden
gelegt werden und dazu schleppte er seine Möbel vor das Haus. Das
Bett war einfach ein mit Brettern abgegrenzter Bereich, in den er Gras
reingeschmissen hat und es mit einem Tuch bedeckte. Mittlerweile war
das Gras gelb, erinnerte an Stroh und stach ihm in der Nacht ins
Gesicht. Er trug es auch raus und legte alles auf einen Haufen.
So fing ein weiterer Tag an, und wie die anderen war er überhaupt
nicht erfreulich. Peter und noch fünf weitere Leute, die keine Arbeit
in der Stadt fanden und nichts mehr zum Essen hatten, kamen vor etwa
einem Monat hierhin. Natürlich nahmen sie alles mit, was sie tragen
konnten. Außer den Möbeln. Die waren schon längst verkauft, denn die
Menschen klammerten sich mit aller Kraft an das Leben in der
erstickenden Stadt. Als nichts mehr zu verkaufen war, haben sie einen
riskanten Schritt unternommen - sie gingen in die Wildnis, um dort zu
leben. Die ersten, so hieß es, waren zwei gewisse Programmierer aus
Frankfurt am Main, Karl und Otto. Angeblich hat man sie durch Roboter
ersetzt, wie viele andere, und dann erkannten sie als Erste, dass die
Stadt keine Zuflucht mehr bieten konnte. Daraufhin sollen sie
weggegangen sein und bauten das erste Haus. Ihr Dorf soll inzwischen
ziemlich groß geworden sein, aber sie nahmen nur Leute auf, die
handwerklich begabt waren. Peter hatte keine Chance. Wahrscheinlich
müsste er sein Leben lang in dieser Hütte leben, die bei jedem
Windstoß zu zerfallen drohte und höchstens einen schattigen Platz im
Sommer bot.
Er legte das Buch einfach auf die Erde und schlug die nötige Seite
auf. Anweisung für Anweisung, Schritt für Schritt, machte er das, was
ihm das Buch vorschrieb. Improvisation war dabei genauso wichtig wie
das Verständnis von einzelnen Anweisungen. Peter fehlte das eine fast
genauso sehr wie das andere, dennoch mühte er sich den ganzen Tag
damit ab. Am Ende hat er tatsächlich die nötige Fläche für seinen
Boden herausbekommen und ging mit der Axt in den Wald.
Gefällte Bäume lagen tot und gestapelt aufeinander, der Geruch des
frisch gefällten Holzes hing schwer in der Luft. Ein kurzer, starker
Windhauch durchfuhr Peter und er erschauderte. Zum Glück war Kleidung
das Erste, woran er gedacht hat und in seinem Haus war jetzt ein
ansehnlicher Vorrat an Jacken, Pullovern und anderen Sachen
vorzufinden. Er schritt langsam auf einen Baumstamm zu, der bereits
viel von seiner ursprünglichen Länge verloren hat, Chris hat mit ihm
bis Gestern Abend gearbeitet.
Knack!..
Knack!..
Seine Axt fraß sich in das Holz und hinterließ tiefe Narben darin.
Etwas Saft floss aus dem Schnitt, der mit jedem Schlag immer tiefer
wurde. Schließlich drehte Peter den Baumstamm mit Mühen um und fing
dasselbe von der anderen Seite an. Knack!..
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich, andere Leute aus der Siedlung waren bereits mit anderen Arbeiten fertig geworden und gingen zum Wald um Holz zu holen,
ihre Werkzeuge grimmig in den Händen geklemmt. Andere Schlaggeräusche
gesellten sich zu Peters Axt und bald schlugen und sägten sechs
Menschen eifrig an den vor kurzem gefällten Baumstämmen mit
erstaunlicher Entschlossenheit. Das Gefühl der gemeinschaftlichen
Arbeit durchfloss sie und linderte den Schmerz des Verlustes, den alle
empfanden, ein wenig.
Mit jedem Schlag und mit jedem Tag wurden sie präziser, besser,
erlernten immer neue Geheimnisse der Holzbearbeitung und ihre Häuser
veränderten sich ständig. Aus einem Zimmer wurden zwei, aus einem
Fenster drei. Irgendwann fanden sie das Vieh, was von den Bauernhöfen
geflohen war, welches nun unnötig und verlassen da stand. Das Essen
wurde in den Fabriken synthetisiert und einige Bauern wollten nicht auf
dem Land bleiben und zogen in die Städte um. Diejenigen die blieben,
halfen den Neuankömmlingen ihre ersten Häuser zu bauen und mit dem Vieh
umzugehen. Die Dörfer wuchsen schnell zu einem Gegengewicht in Europa
an und schon sehr bald waren sie überall zu sehen. Die Menschen, die
darin lebten, waren wider Erwartung der Stadtbewohner weder halb
verhungert, noch von der schweren Arbeit verkrüppelt. Im Gegenteil.
Ihr Wuchs war größer, ihre Gesichter lebendiger. Körperlich konnten
sie es mit jedem Stadtbewohner spielend aufnehmen und führten ein viel
besseres und gesundes Leben. Doch der Rauch aus den Städten kam bis zu
ihnen, und unzufriedene, feindselige Blicke wurden in Richtung der
dampfenden Monster des Urbanismus geworfen.