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1) Der Hauch der Zukunft
Von Igor Zobin
Die Zukunft war angebrochen. Schnell und unaufhaltsam, mit
unaufdringlicher Notwendigkeit war sie gekommen. Der Zufall legte die
Erfindung in die Hände eines unbekannten russischen Wissenschaftlers,
als er in seiner Garage mit unaussprechlicher Not gearbeitet hat.
Er aß wenig und schlief noch weniger, er verlor seine Freunde, sogar
die, die am Anfang mit ihm geforscht haben. Seine Familie verlor er
ganz am Anfang. Sein Leben schien verloren und er selbst war am Rande
des geistigen Stillstandes, in Gedanken darüber, ob seine Arbeit noch
einen Sinn hatte. Er hasste die Forschung, weil sie ihm alles genommen
hat und liebte sie, weil sie ihm alles gab, was er nun hatte. Wo lag
schließlich der Unterschied zwischen ihm und den anderen? Andere
bedienten sich der Macht des Alkohols, um aus der Realität zu fliehen,
er bediente sich der Wissenschaft. Mit zitternden Fingern
unterzeichnete er Kaufverträge und zog aus der Wohnung in die Garage
um, nur um sich den Computer zu leisten. Denn er stand am Rande... Das
Ende war nah. Entweder das von ihm, oder das von der Forschung. Er
musste ein halbes Jahr davon ablassen, um seine eigene
Programmiersprache zu schaffen, die seinen Anforderungen gewachsen war
und machte schließlich weiter. Durch eine Reihe von simplen Befehlen
erweckte er das Programm zum Leben und schließlich, nach zwei Jahren
des Trial-and-Error Vorgehens, hatte er es geschafft und baute das erste
künstliche Gehirn. Der ewige Traum der Menschheit nach einem
unbeirrbaren Helfer, ohne Müdigkeit und Ambitionen, schnell und stark.
Der perfekte Sklave, der Ersatz für unqualifizierte Arbeiter, so dass
die Menschen nie wieder schmutzige Arbeit verrichten müssten. So haben
es die Medien gesagt. So war es auch gemeint.
Viele protestierten dagegen, redeten über die Gefahren und über die
Visionen von den zahlreichen Sci-Fi Schriftstellern, wie die Roboter
einen Aufstand starteten, oder wie die Menschen zu willenlosen
Apathiewesen wurden, umgeben von mechanischen Helfern und unfähig etwas
selbst zu machen. Sie hatten Angst vor der globalen Mechanisierung,
weil im Falle eines Stromausfalls die Folgen dann verheerend wären und
auch wollten sie den Robotern nicht vertrauen. Keiner hat an die
Arbeitslosen gedacht, die früher diese schmutzige, wie sie später
genannt wurde "drittklassige"; Arbeit ausübten. Wo würden sie hingehen,
wenn die Roboter ihren Platz einnehmen würden? Wo würden ihre Kinder
hingehen? Darüber machten sich die Regierungen der Welt keine Sorgen.
Fortschritt sei nicht aufzuhalten und die Industrialisierung habe auch
am Anfang viele Opfer gefordert, sagten sie. Niemand wagte zu fragen,
ob wir nun nicht aus den Anfängen der Industrialisierung eine Lehre
gezogen hätten. Denn anscheinend hatten wir es nicht. Und so begann das
neue Zeitalter des globalen Urbanismus. Die Städte dehnten sich aus und
die Menschen wurden faul.
Am Anfang gab es sie noch: die Menschen mit einem leeren Blick, in alte
Sachen gekleidet und geistesabwesend. Sie haben früher geschuftet, sie
haben nach Kohle gegraben und die Straßen geputzt. Sie suchten sich
früher Nebenjobs bei McDonalds und Zeitungsverlagen. Sie arbeiteten mit
ihren Händen und nicht mit ihrem Kopf und sie waren es, die durch
Roboter ersetzt wurden. Sie wurden zerschmettert, dem grausamen
Schicksal zum Opfer gefallen. Sie konnten nichts, als graben, tragen,
wischen und zählen. Diejenigen, die jünger waren, konnten dem Schicksal
entkommen und lernten den Umgang mit Robotern um Roboterwärter zu
werden, aber es waren weniger Wärter erforderlich, als Roboter und so
konnten sie nicht alle auf der Oberfläche des sozialen Ozeans bleiben.
Viele Sozialstaaten waren zusammengebrochen, unfähig all die Menschen
zu versorgen. Überlebten nur die, die es aufgaben den Menschen helfen
zu wollen und nach dem Gesetz des Dschungels lebten. Der Stärkere
siegte und der Schwächere ward besiegt.
Doch später, als einige Generationen verstrichen, ward es besser. Es
gab keine Siedlungen mehr außerhalb der Städte, die wie im Mittelalter
alles zum Leben Notwendige von der Erde bekamen; diese Siedlungen
wurden einfach verlassen, weil die Kinder der Verlierer des Umbruchs
nicht im Mittelalter leben wollten und alle zur Schule gingen. Und
bekamen Arbeit. So zogen langsam die Leute wieder in die Städte um und
es waren nur ein paar die auf dem Land geblieben, denn neue
Erfindungen machten die Bauern nutzlos: ein Forschungsinstitut in
Amerika erfand einen Weg, das Essen zu synthetisieren, löste damit das
Problem mit dem Platzmangel auf der Erde und wurde weltberühmt. Ein
anderer Mangel blieb lange Zeit ungelöst: es gab nicht genug Arbeit für
alle. Die Roboter nahmen die Plätze ein, die früher die Menschen
eingenommen haben und sogar die hochqualifizierten Arbeiter hatten
nicht genug Arbeitsplätze. Als Antwort darauf dehnte sich die
Bürokratie zu gefährlichen Ausmaßen aus und nahm die Notleidenden
mitleidend auf. Die neue Balance war hergestellt...
Der Urbanismus gewann die Menschheit in die Hand und ging mit
Riesenschritten auf der Erde um. Sein bleiches, kraftloses Gesicht war
das Gesicht der faulenzenden Menschheit geworden und niemand erhob mehr
die Stimme des Protestes.