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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Froschlaichgewitter

© Holger Weischenberg


Es sieht wieder nach Regen aus. Ich meine, dass sieht man sofort, wenn sich die Wolken derart wichtig und gewichtig machen. In Sachen Wetter kenne ich mich aus.
Mein Problem wird die ungünstige Witterung noch verschärfen. Lassen sie sich von einem Frosch einen Rat geben: Denken sie nie zu lang und zu tiefsinnig über das Fliegenfangen nach.
Letzthin kreuzte ein dicker Brummer meinen Weg. Ich lag - durch mein Tarnkleid so gut wie unsichtbar - im Uferschlick, öffnete keusch den spitzen Mund, so dass man das Glitzern meines feuchten Fangapparats sehen konnte. Die Zunge begann sich langsam aus meinen Maul herauszuschieben und im Sprung schleuderte ich sie hinaus. Das Insekt blieb an ihr pappen und noch während ich wieder auf die Wasseroberfläche schlug, breitete sich der wohlige Geschmack der Beute unter meinem Gaumen aus.
Aber als ich den Brocken schluckte, schrie irgendetwas in mir: Halt! In diesem Augenblick musst du verweilen, ein wenig darin baden. So paddelte ich zur Seemitte und ließ mich mit gespreizten Schwimmflossen und ausgebreiteten Gliedern treiben. Oh, unvernünftiger Frosch, hast du noch nie von den schuppigen Gefahren der Welt gehört, dass du dich hier vor aller Augen gehen lässt; vergisst du die Gefiederten, die nur zu gern deine Reste als warmen Brei in die bettelnden Rachen ihrer Brut würgen würden. Ich hatte und ich vergaß.
Das einlullende Brummen des Umspannungswerks, das am Rande meines Zuhauses lag, begleitete meine Gedanken in die uferlosen Gewässer der Weltschau. Haben sie sich jemals von außen gesehen, je den Körper verlassen, um aus gesunder Entfernung auf ihn zu schauen.
Ich rate ihnen davon ab. Nichts hat mich so verwirrt, wie mich selbst im Rauschen der Elemente zu sehen, mich selbst zu beobachten, während meine kräftigen Hinterbeine den Körper vom schlammigen Grund abstießen, den grünen Körper hoch in die Luft katapultierten; mich selbst im Sprung zu sehen -und vor dem Sprung, die Bronzeaugen auf das Opfer fixiert.
Schließlich sah ich meinen Körper aufklatschen, die Augenbälle verschwanden zu ihrem Schutz im Kopf und ich tauchte kurz, verlies die Wärme der Oberfläche und spürte die Kälte, die aus den Untiefen drohte. Ich begriff das Geschäft des Jagens, ich sah, dass ich es, ohne es zu wissen, zur ästhetischen Perfektion gebracht hatte. Die Kälte, die meinen hellen Bauch kühlte, ließ mich erschauern. Ich tauchte wieder auf und trieb, wie gesagt, versonnen in der Teichmitte.
Es mag seltsam klingen: Ich fragte mich nach dem Sinn all dieser komplizierten Schönheit. Wäre es nicht einfacher, wenn mir die Fliegen einfach so in den Mund fielen. Die Smaragde der Insektenwelt, die Libellen, mir breitwillig ins geöffnete Maul flögen. Wozu der ganze Aufwand, wem gefällt mein kunstvoller Sprung, mein ausgeklügelter Jagdstil? Denn eins ist sicher, es muss einen Betrachter geben, einen der all das sieht und der sich an dem täglichen Tanz, den wir in unserer kleinen und begrenzten Wasserwelt aufführen, erfreut. Oder ist es doch nicht so sicher, kann es sein, dass da niemand ist? Das dieser Tümpel nur einer unter vielen, Abermillionen ist, die niemanden kümmern, die einfach nur aus Selbstzweck existieren, deren schlammiges, miefiges Geschäft alltäglich wie ein dummes, falschgehendes Uhrwerk ungehört vor sich hinplappert.
In der Ferne grummelte wütend der Donner, meine ketzerischen Gedanken wollten ihm nicht gefallen. Aber er war noch zu weit weg, um mir ernsthaft Angst zu machen und um mich am Verstehen zu hindern. Vereinzelt fielen ein paar Tröpfchen. Meine Artgenossen reagierten darauf mit dem Konzert, das für mich früher immer von symphonischer Erhabenheit gewesen war, jetzt aber wie eine Kakophonie klang, ausgelöst einzig durch das Grausen vor dem nahendem Gewitter, Angst als gebratener Frosch zu enden. Wir Frösche mussten schon immer für elektrische Experimente herhalten, warum also jedes Mal diese nutzlose Aufgeregtheit. Quakt nur, es hört euch doch niemand, außer dem ebenso furchtzerfressenen und hilflosen Nachbarn.
Ich ließ mich einfach weiter treiben. Um mich herum explodierte der Weiher. Wasserläufer suchten panisch Schutz. Ich beobachtete wie ein Stelzbein von einem Tropfen getroffen wurde: Seine dünnen Glieder, die sonst immer kleine Grübchen in die Wasseroberfläche drückten, lösten sich vom schwankendem Grund und wirbelten, wie der Rest des Körpers, durch die Regen getränkte Luft. Er landete wieder, einer Katze gleich, sicher auf allen Sechsen. Der Stolz auf diese Virtuosität ließ seine Flucht nun lässiger wirken.
Der Regen nahm an Intensität zu. Das ferne Grummeln ist zu einem Grollen geworden, das meine Gedanken übertönt und auch die Quakophonie verstummen ließ.
Und dann brauste das Regeninferno los.
Froschlaichgrosse Tropfen wühlten den See auf. Ich holte meine Augen in den Kopf und ließ mich wieder sinken. Als ich sie wieder öffnete, schaute ich nach oben und sah durch das trübe Wasser die dünne Haut, die Luft und Wasser von einander trennt. Beide berührten sich ungestüm. Die aufgewühlten Elemente versuchten sich zu vereinen, aber erreichten lediglich ein kurzes Verwischen der Grenze.
Das Stakkato der Einschläge stand im seltsamen Kontrast zu der kühlen Stille, die unten am Grund herrschte. Ich wühlte mich in den Boden und labte mich an der Verrottungswärme. Große Gasblasen stiegen auf, verschwanden im Trommelfeuer des Regens.
Ich spürte, dass die wesentliche Konstante meines Lebens zurückkehrte, der Hunger... .
Steht es einem Frosch überhaupt zu, über alle diese Dinge nachzusinnen? Das Gewittern sandte ein dumpfes Dröhnen zu mir hinab. Meine grüne Haut macht mich nicht nur optisch zu einem Teil der Vegetation, ich bin ein Teil des Ganzen und habe einem höheren Plan zu gehorchen, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Ich muss meinen Hunger an der Insektenwelt stillen, sie damit im Gleichgewicht mit den anderen Welten halten, wenn ich meine Jagdfähigkeiten verliere, verliere ich auch meinen Platz in der Schöpfung. Ob es einen Schöpfer gibt, der meinem Versagen einer Träne hinterher weint oder wütend die Faust schüttelt ist einerlei: Wesentlich ist nur, dass ich als Teil meinen Sinn einbüße.
Ich stieg langsam wieder auf und wühlte mich durch den dichten Filz einiger Algen, die das Unwetter aus der Uferzone gerissen hatte. Ein paar Fischeier, die im sattgrünem Dickicht verborgen waren, stillten den gröbsten Hunger. Eine große braune Libellenlarve floh, indem sie ihren eingebauten Düsenantrieb nutzte. Der entgangene Leckerbissen machte mich wütend. Vorsichtig drückte ich meinen Kopf durch die Wasseroberfläche. Das Unwetter tobte noch immer. Ein Blitz entlud sich Funken werfend in der Umspannungsanlage. Der Knall zerriss mir fast den Kopf.
Schnell tauchte ich wieder ab und verbarg mich im Röhrenspiel des Schilfs. Hier wartete ich hungrig auf das Ende des Unwetters. Mein unter den Augenkuppeln verborgener Sehnerv schaute beide Welten. Sah wie eine Böe, die biegsamen Stangen niederdrückte und sie dann wieder in den schlingernden Tanz der schwächeren Winde entließ. Er beobachtete die unterhalb der trennenden Linie zäh wirkenden Bewegung des Riedwaldes. Endlich hatten sich die Elemente ausgetobt, der Regen war nur noch eine fallende Wolke.
Die Sonne fand unseren Tümpel wieder und die Welt begann zu trocknen. Hoch oben im Schilf hingen einige Libellen, an ihren durchsichtigen, feingeäderten Flügeln glänzten Tropfen im Licht. Der Anblick ließ mein Herz hüpfen und meinen Magen marschieren. Sehnsüchtig erwartete ich, dass die Wärme die Uhrzeitviecher wieder zum Leben erwecken würde. Schon rekelten sie ihre langen Schwänze und krümmten sie nach oben zur Sonnen hin, so dass sie sich schließlich selbst zwischen den Flügeln am Rücken berührten. Der Schöpfer griff in diese pumpenden Henkel, zerrte sie vom dem Riedschaft, an dem sich ihre schwarzen Widerhacken festkrallten, und warf sie in den Himmel. Bald war die Luft erfüllt von dem Knistern ihrer Flügel. Ein Augenblick des Glaubens macht Stunden des Zweifelns wett.
Ein Augenblick des Zweifelns zerstört das über Jahre sicher gewähnte Wissen. Seit Tagen versuche ich einen der köstlichen Luftikusse zu schnappen, aber immer wenn ich zu einem Fangsprung ansetzte, fällt die Last der Sinnlosigkeit meines Tuns auf meine Schultern zurück und macht ein weit gedachten Sprung zu einem Hopser. Mein Ehrgeiz und meine Wut hindert mich Schnecken zu fressen. Dem Himmel sehe ich an, dass er schlechte Zeiten für mich bereit hält, aber ich werde mich nicht eher satt essen, bis ich an meinen gewohnten Platz im Ganzen zurückkehre.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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