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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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War - das - Grund genug ...?
(...an American sho[r]t story )

© Wolfgang Haggenmiller


Sie hat mich erschossen. Soeben erschossen.
Ich werde ihr jetzt zuhören. Zuhören müssen.
"...ja, wenn ich mich recht entsinne, als Kind.., als kleines Mädchen..; wir zogen damals kreuz und quer durch die Gegend.., mit einem lustig bemalten Wohnwagen, hinter einen alten Chevy gehängt..., wir hielten uns nie für längere Zeit an einem bestimmten Ort auf..." Wiederholt schlürft sie an einem Getränk. "Doch, einmal.., Vater kam eines Morgens nicht mehr zurück, erst viele Nächte später..., übel zugerichtet..., wir hatten Angst um ihn gehabt... oder um uns.., draußen.., im Wohnwagen, ohne Chevy, meilenweit entfernt vom nächsten Supermarkt.
Vater ging.., wenn er ging, üblicherweise spät abends weg, kam aber meistens zum Frühstück zurück... Oft war er schon wieder da, wenn ich noch schlief... Er saß dann rauchend, trinkend und je nach Laune Zeitung lesend oder nur so, neben meinem Bett, nein.., eigentlich nicht direkt daneben. Ich schlief im hinteren Teil, am Kühlschrank.., mit den Bierdosen. Vater hatte immer dafür gesorgt, dass von dem bitteren Zeug genügend im Haus war.."
Ffrrrt.., das Streichholz kratzt funkenschlagend über die Reibefläche, auf dem Weg zur Zigarette entzündet es sich vollends. Ihre rot geweinten Augen glitzern diamanten im grellen Aufblitzen mit; die geschwollenen Lider zucken gequält. Für wenige Sekunden wird der Raum vor ihr erhellt. Der Aschenbecher ist am Überquellen; neben zerdrückten Stummeln drängen sich benutzte Gläser zwischen halbleer- und leergesoffenen Flaschen, von kreis-in-kreis-geformten Bier- und Whiskypfützen umflossen.
Hässlich! Verweinte Gesichter sind etwas unangenehm Hässliches, fiebrig glänzend, rötlich aufgedunsen, abstoßend und...
Ein gieriges Saugen. Ein nachlässiges Schütteln, das Flämmchen erlischt.
"...Haus, wir sagten zu unserem Gefährt -Haus-, schließlich wohnten wir darin...", stammelt sie weiter, vom pausenlosen Heulen heißer. "...Mutter trank Whisky; Whisky in jeder Form. Lange schon, vor ich war.., hat man mir später erzählt. Und, wenn ich genau nachrechne, kann Dad auch nicht mein Vater sein.., also nicht mein leiblicher Vater... Dad war trotzdem immer mein Vater... Davon abgesehen! Als Kind, als damals kleines Mädchen, ging für mich.., ohne, dass ich jemals sonderlich darüber nachgedacht habe, ob das tatsächlich alles so ist, wie es scheinbar ist.., frühmorgens die Sonne im Osten auf und abends im Westen wieder unter.., genauso, wie auch alles andere in ganz normalen Bahnen zu verlaufen schien. Meine Welt war Mam, Dad und das Miteinander im Haus.
Was hätte da auch großartig anders sein sollen, als anderswo? Ich hatte geweint, wenn mir danach war.., gelacht natürlich auch... Lachen ist schön, und weinen ist wichtig! Tiere.., glaube ich, weinen nie...
Ja, Mam, Dad und ich... Nein, nicht ganz... Immer und überall kamen fremde Männer auf Besuch.., aber die blieben nie lange.."
Ein besonders langer Zug an der Zigarette; ein gerauchtes Aufatmen. Die angefachte Glut beleuchtet ihren stumpfen, ins Dunkel, ins Nichts gerichteten Blick
"...Natürlich blieben die nie lange... Heute weiß ich, wenn Mam nächtens schrie, waren es nicht immer Schreie des Schmerzes...
Mam war oft laut, wenn sie trank, und ich meine, sie trank viel..! Ja, und wenn sie vom Whisky zu ausfällig wurde, und Dad zu spät schrie, sie solle endlich ihr versoffenes Maul halten, er könne ihr hysterisches Gekreische nicht mehr hören, und sie mit irgendwas warf.., meistens war es ja eine Tasse.., sie trank am liebsten aus der Tasse.., oft schon beim Frühstück.., den Rest der zweiten Tasse Kaffee streckte sie gerne mit einem kräftigen Schuss Whisky..; ja.., dann konnte es schon mal passieren, dass Vater ihr mit der Faust ins Gesicht schlug... Wenn ich in der Früh aufwachte, und er mit einer Bierdose in der Hand immer im selben Winkel der Eckbank lungerte, eine Selbstgedrehte zwischen den nikotingelben Fingern...," sie stockt, würgt ein gezwungenes Lachen hervor, irgendwo klingt etwas Sehnsüchtiges mit; dann herrscht Stille.
Warum spricht sie nicht weiter? Immer diese Pausen, diese unerträglich langen Pausen, während sie in ihrer Vergangenheit kramt. Will sie sich an irgendwas Bestimmtes erinnern, oder liegt es schlichtweg nur daran, dass sie nie einen Gedanken zu Ende bringen kann ?
"...Vater war Linkshänder; er trank rechts und rauchte links! Das wäre mir so nie aufgefallen, damals.., hätte Vater nicht öfters zu mir gesagt: "Du bist wie ich, mein Kleines. Die wichtigen Handgriffe im Leben erledigst du links!" Etwas links-machen, ja, wurde seither für mich zum Maß aller Dinge! Ein männliches Wesen.., Junge.., Mann..., war für mich erst dann so richtig interessant, wenn es die wichtigen Dinge -links- erledigte... Vater trank, wenn er gerade mal nicht rauchte, links. Mutter hingegen tat alles rechts...
Ich musste damals noch verdammt jung gewesen sein, als Vater die Welt in ungleiche Hälften aufgeteilt hatte: Linkshänder, die wenigeren.., aber die besseren, wie ich meinte herauszuhören, und Rechtshänder. Es erschien mir einleuchtend, und warum auch nicht? Die Welt wird ständig eingeteilt ..und geteilt ..und verteilt: Die Weißen und die Farbigen; die Reichen und die Armen, die Schönen und... ich; und immer bekommen wenige den großen Teil ab, das Filetstück, wobei.., das Filet mengenmäßig gesehen.....? Andererseits..., ach, ist ja egal! Jedenfalls, warum nicht in links- und rechtshändig aufteilen?
Ja, und bei einer solchen Gelegenheit hatte Vater von einem ziemlich scheußlichen Kriegserlebnis erzählt. Schon von Anfang an kam es mir so vor, als spräche er dabei gar nicht zu mir. Und das, worüber er dann sinnierte, und so gedankenverloren wie er das tat, war dann tatsächlich mehr ein Selbstgespräch... Nie war er mir so fremd, wie an diesem Morgen. Auch wie er nebenbei die Bierdose zu ertasten suchte.. sichtlich zerstreut, und wie er sie ungelenk öffnete..;. und seine Zigarette, die im Mundwinkel hing, rauchte ihm dabei dermaßen ins Gesicht, dass sein linkes Auge zu tränen begann... Tränen? Nein..! Richtig weinen, habe ich ihn nie gesehen...
Vater? Dad, bist du hier..? Nein, so etwas Absurdes..! Merkwürdig, mir war für einen Moment, als säße er neben mir, wie damals, und er hätte nur noch... Dad..?
"Wir hatten seinerzeit in Min-lai, oder wie das verdammte Dorf hieß, da hatten wir einen, der hat ein Mädchen erschossen; es stand plötzlich vor ihm, war aus einem Erdloch gekrochen. Das Mädchen machte dummerweise irgendwie eine unberechenbare Bewegung, ...sah wahrscheinlich so aus, als hätte es, statt einer hässlichen primitiv gebastelten Puppe, wie sich später herausstellte, eine Handgranate, oder was weiß ich in der Hand; ..fffffttt.., der eine hielt sofort mit dem Flammenwerfer drauf, und als wäre diese hässliche Puppe, wichtiger als ihr verdammtes Leben, hat das Mädchen diese Puppe instinktiv, wie zum Schutz vor den Flammen, an sich gedrückt, ..ffffffttt... Er hielt nur kurz in einem Schwenk aus der Drehung drauf, ...fffttt.. hat sie weggefackelt. Es war Krieg, Tag für Tag: Ich oder du; Infanterist! Wir waren immer ganz vorne, oft mitten unter ihnen, hinter den Linien. Wir hatten auch unsere Toten! Sie verkohlte im Fallen, lag auf dem Boden. Sie lebte noch, lag auf dem Boden, wie ein vom Blitz zerschmetterter Baum, nur, dass sie schrie! Sie hat entsetzlich geschrieen! Dazu dieser widerliche Geruch, so als hätte man 50 pounds Steak mit Benzin übergossen und angezündet; sie hat geschrieen, tierisch geschrieen! Die Arme übers Gesicht und den Hals geschlagen; darunter vergraben: Die Puppe! Nur kaum verbrannt, wie sich später herausstellte. Und der eine drehte durch, oder er wollte sie nur erlösen, was weiß ich, hat seine Pistole, nahe an ihrem Kopf abgedrückt. ...peng!... Rote Spritzer lösten im Moment des Schusses das Gekreische ab. Das Herz pumpt das Blut aus der Wunde. Man sieht jeden Herzschlag, kaum zeitversetzt, am Spritzen des Blutes. Der erste Strahl ist immer der kräftigste. Die Arme klappten leblos auseinander. Am Hals erkannten wir dann diese hässliche Puppe; nur ein wenig versengt. …Rechtshänder! habe ich mir gedacht. Es mag sich unwahrscheinlich anhören, aber mein erster Gedanke war: Rechtshänder. Warum erzähle ich das überhaupt? Gerade dir mein Kleines; vergiss es, hörst du? Vergiss es wieder! Es ist meine Scheiße, einzig und allein meine verdammte Scheiße."
Vater..? Dad, warum erzählst du mir.., oh Gott, ich phantasiere! Diese fürchterliche Geschichte.., ich glaubte, sie doch längst vergessen zu haben! Krieg, Flammenwerfer, töten..; merkwürdig, dass ich mich ausgerechnet jetzt daran erinnere? Und wenn ich mich recht entsinne, habe ich damals noch gefragt, warum -der Eine- das getan hat, und ob alle Rechtshänder böse Menschen seien.
"Nein, mein Kleines! Der Krieg, die Angst. Sie machten aus uns Bestien! Ja, aus uns allen! Dazu eben die Angst..; Angst, selber dabei krepieren zu können. Kleines, vergiss es wieder, was ich erzählt habe! Hörst du ?"
Vater hat dann, glaube ich, auch nie wieder davon gesprochen.., von dem Mädchen.., dem Krieg.., und so...
Du warst Rechtshänder, nicht? Ich hätte darauf achten müssen.
Warum sagst du nichts mehr...? Weil ich dir endlich dein fieses Maul gestopft habe, wie? Damit hast du wohl nie gerechnet, oder? Du mieses Schwein hast mich immer nur getreten.., mich missbraucht, auf mich herabgesehen; mich zweimal zur Abtreibung gezwungen.
Nur manchmal, wenn ich am Ende war, und von dir weg wollte, hast du mir beteuert, wie du mich liebest, ja, dass du nur mich lieben könntest.
Ja, und wie oft wollte ich gehen, und bin dann doch geblieben? Wo hätte ich auch hin sollen? Seltsam, anfangs warst du mir nur ein väterlicher Freund... Und von Mal zu Mal hast du mich schlimmer behandelt, die ganzen Jahre hindurch. Immer wieder hast du mich anschaffen geschickt..., mich noch mehr gedemütigt.., hast mir die Zähne eingeschlagen.., mir damit die Reste meines Lachens gestohlen! Alles habe ich erduldet; alles! Und wofür? Für deine brutalen Zärtlichkeiten und deine verletzenden Worte. -Meine kleine, billige Schlampe!- hast du mir immer ins Ohr gesäuselt..., wenn du mich brutal genommen hast, und fandest dich ganz toll dabei..."
Dann, wieder Stille. Ein ungemein tiefer Zug, die Zigarette leuchtet auf. Ein befreiendes Ausstoßen der Atemluft durch die Nase komplettiert die Geräuschkulisse ihres eigenwilligen Rauchens, vermischt sich darüber hinaus mit einem angedeuteten Lachen zu einem Moment naivster Ergebung ins Schicksal. Und wieder ein gieriges Saugen an der aufglühenden Zigarette, und immer wieder; ansonsten tödliche Stille.
Wie kann sie so mir-nichts-dir-nichts dasitzen, allein, mit meiner Leiche, ihr gegenüber, auf der Couch?
"Ich seh dich nicht. Ich will dich auch nicht sehen! Dich und dein widerliches, von braunen Zahnstümpfen umkränztes Grinsen. Du riechst so fremd; ...anders als sonst, nicht nach verräucherten Klamotten und Bier und hin und wieder frisch Gekotztem. Du riechst... von innen. Riecht man so von innen? Du riechst ekelig... in deinem Blut und deiner Scheiße... Ekelig..! Eigenartig, was einem alles durch den Kopf geht, wenn man so dasitzt.., und überhaupt, warum gerade das?"
Warum..? Warum.., fragst du?
Warum ging dir -was- durch den Kopf. Warum? Ich hätte Grund zu fragen: Warum?! Warum hast du mich weg gepustet? ...peng-peng- peng... Sag! Sag's mir, warum! Weil du mich liebst? Ja, weil du mich geliebt hast, so wie ich war. Mein Gott! Du kannst mich nicht mehr hören. Ich liege hier, in meiner Scheiße, in meinem Blut; laufe aus, versickere in der Couch! Die Schmerzen, diese unerträglichen Schmerzen, die ich hatte. Habe ich arg geschrieen, oh Gott, ich muss doch fürchterlich geschrieen haben.. und jämmerlichst geweint?
Erkaltete Pisse und warme Scheiße aus meinen zerrissenen Därmen, vermischen sich mit Blut, mit aus mir rinnendem Blut; das ganze Magazin abgeschossen ...in meinen Bauch, ...warum? 10 Jahre, ..oder wie viele waren es?.. hast du mich geradezu darum gebeten, dich zu demütigen. Ist es nicht so? Du! Du mein Starker, hast du mich immer angefeuert! Und ich? Ich habe dir den Starken markiert!
Was ist denn schon Außergewöhnliches passiert, in dieser Nacht? Wir haben zusammen gesoffen wie immer. Du hast über dein beschissenes Leben lamentiert wie immer. Du hast mir wieder und immer wieder die Schuld dafür gegeben. Okay, ich habe dich dafür verprügelt wie immer. Aber!
Bitte, sag' mir, wo habe ich dich aufgegabelt, Baby, wo? Auf dem miesesten Strich östlich von, von..., ach komm!
Im Spaß habe ich gesagt, noch einen Ton, und ich drücke dir die Zigarette in deinem Scheiß-Gesicht aus. "Das, wenn du machst, mein großer Revolverheld", hast du gedroht, "erschieße ich dich mit deiner eigenen Knarre!" Und das in einem derart üblen Ton, Baby! Du hast es von mir verlangt.., richtiggehend abverlangt hast du es mir.
Okay, es war das erste Mal! Alles ist irgendwann das erste Mal, aber deswegen gleich ernst machen..? Eine Zigarette, ausgedrückt in deinem.., deinem längst zerstörten Gesicht..., Baby.., bitte.., sag's mir.., im Ernst! War -das- Grund genug...?



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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