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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Das Stofftier namens Isaak

© Sarah Rehm


Vielleicht war es der übermächtig klare Himmel an diesem Tag, der mir soviel innere Flüssigkeit in die Augen schickte, dass deren Kapazität nicht ausreichen wollte, um jene zu fassen. Ich ging ein wenig gebeugt, denn der Weg war beschwerlich und den ich zu gehen beschlossen hatte, jener war mir noch unbekannt, würde das Kind sein, das ich zu gebären hatte eines aufrechten Planes für das Leben.
Ich sollte für es sprechen, ich sollte verhindern, dass es ausgelöscht wurde. Fragt mich besser nicht, welche höhere Größe mich schon, während ich die Hütte verließ, beschützte. Eine lange regierende, die auch mir auferlegt war, verwehrte mir in Wirklichkeit mein Tun, doch ich hielt mich dagegen.
Als ich auf den schmalen Weg trat, stob die Traube der Schafe auseinander. Sie waren voller Unruhe, befanden sich seit Wochen in ihr und es kam mir vor, als blökten sie mir Ratschläge hinterher, die aus der Klage bestanden, dass einige von ihnen schon ohne Nutzen geopfert waren. Ein Dutzend von ihnen zeigte sich mir als Lücke unter den lebenden. Das Land war dürr, die Sonne schien ohne Gnade auf die weiten Flächen mäßig gewachsenen Grases.
Der sandige Farbton und die offene Helligkeit des Landes, in dem ich lebte, waren mir vertraut, doch heute stach beides meinen Blick wie ein Dorn, der die feine Spitze eines Balkens in einem andere Auge, einem geblendeten war, das ich liebte.
Tausende Jahre später, wir sollten es damals noch nicht erahnen, sollten zwei junge Frauen des nachts eine lärmende Feier verlassen. Es war in einer grossen Stadt, weit von hier fort und weit davon abgeschnitten, was wir versuchten und dachten. Es war Herbst, die Zweige, die entlang des Bürgersteiges hingen, trugen keine Blätter mehr. Erkühlt an der Voraussicht des Winters zog die eine ihren Mantel zu, die andere schritt ein paar Meter voraus, und sie sollte von vielen Menschen unbemerkt aufschreien, erfasst von dem, was sie auf einem Holzpflock neben der Strasse erkannte.
Sie standen bald beide und zitterten vor dem Werk, das ihnen bis zum Magen reichte. Ein schneeweisser Teddybär war auf das Holz wie eine der Nacht ausgesetzte Fahne mit einem Messer gepfählt. Kein Laut war um sie her. Sie blickten sich nicht an und besahen wie im Gedenken die das Laternenlicht widerwerfenden Glasaugen des Kuscheltieres.
Sie sollten nichts sagen; dass sie ein Wort verloren, hätte das mächtige Bild berechtigen können vor der Welt, dem keine Würde zuteil geworden war.
So alt und zerbrechlich ich bereits sein mochte, als ich meinen Weg zu dem Berg machte, zu dem hin mein Mann gegen den Morgen, unseren Sohn in seiner treuen Gewalt, gezogen war, spürte ich in den Lungen, die gierig die Luft verzehrten, meine endlose Kraft. Bald würde es Mittag sein und ich hatte Bedenken wegen der Hitze, die mich auf der Höhe befallen würde können.
Was auch immer ich tun konnte, ich würde die Härte meines Zieles vielleicht nicht bis über mein Leben hinaus bewältigen können. Doch ich dachte daran, während ich wie im Flug die unermessliche Schönheit des Horizontes besah, dass in tausenden Jahren jene Menschen, die den weiten machtlosen Weg hin zu einer Veränderung gehen würden, meinen Namen tragen mochten. Ich glaubte nicht, dass sie über mich sprechen würden und was zu tun ich fähig war. Ich hatte Angst, fürchtete mich vor einem Bruch mit der unerdenklichen Größe, die mich beschützte.
Schon vor meiner Zeit war Erschreckendes geschehen, so wurde uns erzählt.
Ich fühlte, während ich zuhörte, deutlich, dass verschiedene Menschen die Lehre aus der Vergangenheit missdeutet hatten, so dass sie so zu uns drang.
Als eine Schlange durch einen Haufen erhitzter Steine von meinem Fuß fort davon strich, erinnerte ich mich daran, an die Geschichte dieser Frau, die nicht vermochte, den Durst ihres Mannes nach einer ihm nicht eigenen Kraft zu besänftigen. Im Gegenteil, auch sie hatte den Wunsch in sich wahrgenommen Unbekanntes zu erfahren und auszuziehen, um sich ihrer Herkunft als ein Mensch zu vergewissern. Denn sie glaubte, dass es noch etwas ausserhalb gäbe jener Geschichte, der sie unerlässlicher Teil war.
"Wo ist Adam?", fragte sie dann.
"Er ist arbeiten.", antwortete man ihr und man fügte im Geheimen hinzu:
"Du wirst Täler durchwandern, ganze Ebenen wirst du begehen und viele Gipfel erklimmen, bevor du mit Liebe ansehen kannst, was du notwendig, auf die Zukunft gerichtet und in Wahrheit ergeben in ein freies Leben getragen und geboren und auch erschaffen hast."
"Das ist viel.", soll sie daraufhin gesagt haben. "Ich werde gehen und Adam davon berichten, er wird innehalten, mich ansehen und die Töchter und Söhne unserer Kindeskinder werden den Sinn all dessen erkennen können."
Des nachts und an diesem Ort, in dieser Stadt fern von dort, wo ich lebte, sollten die beiden jungen Frauen, die von einer langdauernden Feier kamen, das Blatt dessen, was von der Geschichte bis hin zu ihnen geschrieben steht, noch einmal wenden, um die Ausflüchte der Dunkelheit genauer zu besehen.
Jene, die den ermordeten Teddybären als die erste entdeckt hatte, fasste entschlossen den Griff des Messers und zog es aus seinem Magen. Die andere verwehrte sich kurze Zeit lange zu atmen und sah, wie ihre Freundin, sowie ihr die späte Stunde in einem Mal Schwung in die Adern gab, das Kuscheltier in ihrer Hand hin und her schwenkte.
Sie trat auf die offene Strasse, die von niemandem befahren oder begangen war, und drehte sich im Kreis um sich selbst. Das Stofftier hatte sie an der Hand und führte es mit. Ihre Freundin sah ihr zu und lächelte ein wenig betrübt, aber sie war beruhigt, da sie der spielenden Freundin ansehen konnte, dass keine Schuld auf ihr lastete.
Freilich war das Spielzeug nie zuvor ein lebendiges Wesen gewesen, dachte sie bei sich, und wäre dem nicht so und schleuderte man es nun auf diese Weise, wie es eben geschah, umher, tat es ihm keinen Schaden mehr an.
Doch woher kam der Teddybär, wo war der Mensch, der ihn verunstaltet hatte und welches Kind konnte es sein, dem er einst angehört hatte und dem er nun verloren war? Die beiden Frauen, tausende Jahre nach meiner Zeit lebend, würden es niemals erfahren mögen.
Aus dem Schlitz, den das Werkzeug an dem Stofftier verursacht hatte, drangen tausende kleiner Kügelchen, und es war ihnen, als ob zu dieser Stunde der Nacht der Winter über die Welt hereingebrochen war und es feinen Hagel schneite, aus einem Ort auseinanderstobend, dessen Türen sich weithin geöffnet hatten.
Niemand hatte mir befohlen, geschweige denn geraten auf den Berg zu steigen; ein wenig hatten sich die Frauen, die um mich waren, um mich gesorgt.
Bevor ich verschwand, meinen Umhang schließend und einen kleinen Krug Wasser mit mir, hatte ich niemandem gegenüber ausgesprochen, was ich tun wollte und musste. Aber die mir die nahesten waren, hatten es doch ahnen müssen und schwiegen hierzu. Es war mir recht, sie standen in Ehre neben mir selbst und sie waren einfache Frauen wie ich.
Wie sehr hatte sich die, welche mir die liebste war, mit mir gefreut und dabei geweint, als ich in meinen späten Jahren noch ein Kind gebar.
Es war ein Sohn, er hatte helle Locken und wenn er sich als Hüter der Herde aus kindlichem Spieltrieb und Eifer hervortat, war er gerade erst so groß, dass ich ihn nur durch schärferes Blicken von den meist unruhig in Bewegung ausharrenden Schafen unterscheiden konnte.
Lange hatte es nicht geregnet und die fehlenden Tiere, die nicht mein Mann fortgenommen hatte, um sie auf dem Gipfel des Berges zu opfern, fehlten, weil ein Stamm des anderen Größe misstraute und eine Familie missachtete den Wohlstand der anderen, anstatt um Beistand zu ersuchen. Selbst mein Mann befand sich in Verzweiflung, so dass er der hohen Macht, die uns behüten wollte, folgte, was auch immer sie verlangte.
Mein Sohn war fort. Ich umklammerte den Krug Wasser, den ich ihm zu trinken geben wollte, während ich lief. Vögel flogen auf vor meinen Augen wie Luftblasen, als ob sie Boden verloren, weil sie wenig gegessen hatten und jemand anderes als der stehende Wind sie blies.
Ich dachte immerzu an das Bild, das in tausenden Jahren mit dem Teddybären geschaffen sein würde und von dem ich nicht wissen konnte, doch bald befand ich mich wieder in der beängstigten vertrauenslosen Wirklichkeit, der ich alles hingeben wollte, was mein Glaube war.
Was mochte mein Mann fühlen und zweifeln, während er vielleicht in diesem Augenblick schon ein Schwert gegen ein lebendiges Wesen hob, das aus mir kam, die er liebte?
Wo waren die Pflugscharen in seinen Gedanken und wo der Sinn des Ganzen, wenn ich zu spät kam? Ich versuchte stille Bitten in die Höhe ausbleibender Wolken und kahler Täler zu schicken, ich dachte stark und voll Güte an meine Vorfahren, die alles Menschliche auf sich genommen haben und nach deren Zeit der Mensch selbst über das Menschliche hinaus durch Gnade und Menschlichkeit Großartiges bewirkt haben mag.
"Wo war Adam?", fragte ich Eva, "Befand er sich nicht bei der Arbeit auf dem Acker, als du ihm die Nachricht überbrachtest, dass du ein Kind erwartest?"
"Ja.", sagte sie da und ich vernahm sie deutlich, "Und er unterbrach sich um sich mit mir zu freuen, er nahm mir sogar mit seiner Freude die Angst, dass ich ohne zu wissen, was mir bevorstand, noch einmal und ganz anders geboren werden würde."
Während ich mir nicht vorzustellen wagte, wie mein kleiner Sohn ohne das in ihm noch strömende Blut auf einem Holzpfeiler neben einer schwach beschienen Strasse weit fort an Ort und Zeit sein Leben ließ ohne Ahnung und ohne dass ein Mensch ein solches Opfer an sich verschulden können mochte, muss eine junge Frau weit nach meinem Leben, das mir nicht mehr wichtig erschien, an mich gedacht haben.
Als das ausgeleerte noch einmal zum Spielen gebrauchte Stofftier ohne jemals geatmet zu haben auf der Strasse liegengelassen werden sollte, die wie von Schnee überdeckt war, hob sie, die meinen Namen trug, es auf.
Es war der Augenblick, da sie beschloss ihm wieder Leben zu geben, es anzufüllen und zuzunähen, wem auch immer es angehört hatte und was auch immer dieser Mensch oder dieses Kind zu dieser Zeit tat. Niemand mehr vielleicht sollte es besitzen, es sollte nur zu einem Zeichen werden dieser Nacht, in der ein erzwungener Tod an ihm geschah, des folgenden Tages, an dem alles verändert sein würde, was lebte und je gelebt hatte, am Leben sein würde und dieses Recht hatte, welchen Namen auch immer es trug, und wenn es ohne Namen oder von unbekanntem Namen war wie dieser Teddybär, der verlorene, eines unbekannten Menschen oder Kindes.
Ich kam der jungen Frau in Erinnerung wie eine Geschichte, die ihr erzählt worden war und die sie von neuem begriff. Es war der Schrecken und der tiefe Wunsch zu verhindern, ungeschehen zu machen, abzusagen den wieder und wieder ausgeführten Tritt an dem uns wirklich verloren gegangenen Paradies des Leben eines Kindes.
Sie erinnerte sich, dass einst eine Frau gelebt hat, die ihren Mann vor dem Opfer seines Sohnes bewahrt haben mag und über lange Wege zu ihm schritt und frei ihre Liebe ausrief, ihr unbestrittenes Vertrauen auf ein Erbarmen. Und sie dachte daran, dass auch sie einst ein Stofftier besaß, von dessen Besitz sie sich, dieses weitergebend, befreite, als sie älter geworden war. Sie würde jenes, das sie in jener Nacht gefunden hatte, verletzt und gedemütigt, in Obhut nehmen, wiederherstellen sein Kleid.
Sie umklammerte es mit einem Lächeln und schaute mir zu, wie ich auf den Berg stieg, den Wasserkrug tragend.
Wie bange mit war unter dem Himmel, wie klar und glücklich mein Vorgehen die durstige Erde durch meinen kräftigen Körper durchrieselte.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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