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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Die Röhre

© Andreas Sticklies


"Also los Andreas, nun sag schon, warum bist Du "Wasserhüter", und warum machst Du immer so ein Geheimnis darum? Du hast mir versprochen, wenn ich Dir mein Jawort gebe erzählst Du mir alles"
"Aber der Termin ist doch erst nächste Woche"
"Los"
"Die ganze Geschichte?"
"Die ganze Geschichte!"
Also gut, es war am 30. Dezember 2004, also vor gut 20 Jahren, als sich die nun folgende Geschichte ereignete.
Dort wo ich damals mit meinen Eltern wohnte, war viel Grün, rund um die Häuser, also auch viel Platz zum spielen. Etwas abseits der Häuser war eine große Wiese die zur Grünanlage der Stadt gehörte und regelmäßig gemäht wurde.
Diese Wiese war aber nicht wie anderer, gewöhnliche Wiesen. Denn diese Wiese hatte einen durchlaufenden Buckel von etwa einem Meter Breite. Der Buckel war nicht so sehr das Wesentliche an der Geschichte, sondern vielmehr das, was sich darunter verbarg.
Knapp 10 cm unter der Grasnarbe war nämlich Beton, und dieser Beton bildete eine Röhre und die transportierte Abwasser. Wenn man nun von den Häusern kam, war dieses Rohr, vielmehr seine Erhebung kurz vor einer Straße am Ende der Wiese, am sichtbarsten auf der rechten Seite. Verfolgte man nun die Abwasserleitung in dieser Richtung, stieß man auf einen kleinen Waldgürtel. Den durchschnitt noch ein breiter roter Ascheweg und dann war es da, das Ende des Tunnels. Es floss alles in einen Bach ... den Weiherbach.
Hätte uns damals jemand gefragt, wo der Weiherbach ist, wir hätten es nicht gewusst, obwohl wir sehr oft dort spielten, doch dazu später.
Eine der liebsten Beschäftigungen war es, unsere Geschicklichkeit im sogenannten Plattenspringen zu beweisen.
-? -
Wie, du weißt nicht was Plattenspringen ist?
"Reifen?"
Nein, nein, hat mit platten Reifen nichts zu tun.
Ich will´s mal kurz erklären.
Als die Bäche damals mal in ein Korsett gezwängt wurden, dass heißt begradigt und irgendwie zurecht geformt, hat man in den schnelleren Fließbereichen, Betonplatten in die schrägen Grabenwände eingebaut, um einen Bodenabtrag zu verhindern und somit den Randbereichen Stabilität zu geben. Der Grabenboden war zum Teil ebenfalls eine Betonrinne.
Selbstverständlich gab es auch betonlose Regionen, die wir aber wegen Ihrer, für uns nutzlosen, natürlichen Schönheit, selten aufsuchten. Zur Sache. Es ging darum, auf diesen zwischen 30 und 45 Grad schrägen Plattenbereichen, fangen zu spielen. Oder einfach nur so hin und her zu laufen, wohlgemerkt, über den Bach springend. Je nach Stelle und Benutzungsgrad waren verschiedene Schwierigkeiten zu überwinden. Zum Beispiel, wie steil, wie viele Platten übereinander (manche Bereiche waren nur mit zwei ca 50 cm x 50 cm breiten Plattenreihen versehen, was wenig Spielraum ließ) und wie breit die Bachstelle war (Varianten von 50 cm bis 1,00 m). Andere, von uns wenig benutzte Stellen, waren wiederum mit Moos überwachsen, oder mit Algen garniert. Dementsprechend war auch die Zahl der Ausrutscher an den bemoosten Strecken etwas über dem Durchschnitt. Meistens hatte man Glück und konnte sich dann mit einem Bein im Wasser abfangen, genauso gut ist man aber auch auf dem algenbesetzten Grund weggeglitten und mit voller Breitseite in dem von Klopapier und anderen "Andenken" durchsetztem Wasser gelandet. Manchmal kamen einem auch kleine Stichlinge entgegen, allerdings meistens eher ein paar Blutegel.
Das Wichtigste in so einer Situation war aber, genügend plausible Erklärungen für die elterlichen Fragen bereit zu halten, sollten die Sachen bis zum Nachhausegehen nicht getrocknet sein. Doch wie schon gesagt, oder viel mehr geschrieben, dass waren Ausnahmen. An manchen Stellen ohne Platten, wo die Grasnarben bis ins Wasser ragten, bildeten die alten, gebrauchten Papierfetzen, eine Art wehenden Schleier, im ansonsten so klar wirkenden Nass.
Die Schönheit solcher Bilder liegt natürlich im Auge des Betrachters. Für uns "Kröten" war das Woher zwar ziemlich logisch, aber es störte uns nicht weiter.
"Wieso wusstet Ihr nicht, wo der Weiherbach ist, wenn ihr so oft da gespielt habt? Jetzt sag endlich! "
Okay, also, warum wir nicht wussten wo der Weiherbach ist, lag daran, das er bei uns aus naheliegenden Gründen "Köddelbecke" hieß.
Diese Köddelbecke machte ihrem Namen, vorzugsweise nach leichten Regenfällen, alle Ehre, da sah man am besten, warum wir sie so nannten. Denn abgesehen von dem Papier, das sowieso immer an einigen Stellen zu sehen war, kullerten Produktionsabfälle des menschlichen Körper durch die grünliche Sohle der Betonrinne.
"Und was hat das jetzt mit Deinem Job zu tun?"
Warte ab. Kehren wir nun noch weiter zurück, zur unterirdischen Röhre. Das ca 1,2 Meter durchmessende Rohr endete nicht direkt im Bach, es war vorher noch großzügig abgemauert, beziehungsweise aus Beton gegossen. So eine Art aufgeschnittener Kasten von ca 4,0 m x 4,0 m. Wahrscheinlich, damit sich das Wasser, bei starken Regenfällen, erst mal verteilen konnte und somit nicht die gegenüberliegende Wand zerstörte.
Diese Aussparung im Gelände war so breit, weil früher dort zwei Rohre endeten, wobei die eine aber zu dieser Zeit schon lange zugemauert war. In dem dort so entstandenen toten Winkel, sammelte sich - naja, nicht direkt Sand, eher irgendein Gemisch, das sandähnlich aussah und seltsam roch, besonders wenn man es auseinander machte. Es schimmerte zudem etwas grünlich.
Aber etwas an diesem Teil, unser damals noch recht kleinen Welt, war besonders interessant, ja geradezu unheimlich - der offene "Eingang" in Form dieses Betonrohres von 1,2 Metern Durchmesser. Wir sind öfter mal ein paar Schritte, bis hin zum ersten Ausstiegsschacht gegangen, der war allerdings schon nach etwa 5 Metern. Hier knickte die Röhre das erste mal leicht nach links - in die Dunkelheit ab. Da konnte man sich hinsetzen, der Beton war wie eine Art Bank geformt. Ein fantastisches Echo gehörte auch zu den unheimlichen Eigenschaften dieses "Tunnels", wenn man hineinrief, dann schallte es eine ganze Weile.
Kurz nach Silvester, wenn wir überall die Blindgänger gesammelt hatten, dann ließen wir so ab und an mal einen Kanonenschlag oder China-Böller in der Röhre hochgehen. Das schepperte so laut, das einem beinahe die Ohren abfielen - affenstark.
Es kamen aber auch eigene geheimnisvolle Laute aus diesem Kanalsystem. Ich kann es nicht näher beschreiben, ein leichtes Donnern, es klang wie "wumm-wumm" oder so, in unregelmäßigen Abständen. - Unheimlich - Angsteinflößend. Wir wussten damals nicht wo es her kam, aber wir würden es schon noch ergründen, das war, trotz dem unangenehmen Gefühl in der Magengegend, für uns so klar, wie klare Kloßbrühe, wie wir damals zu sagen pflegten.
Man konnte übrigens, wie schon geschrieben, ohne weiteres hineingehen - wenn es trocken war und auch noch, wenn es ein wenig nieselte.
Ein kleines Rinnsal, na okay, ein wenig mehr, aber nicht breiter als 10 cm und nur Schuhsolentief, floss den Betonboden entlang.
Wäre aber jemand bei starkem Regen hineingegangen, er würde nicht mehr unter uns weilen.
Der ansonsten ruhige Bach, verwandelte sich dann in einen reißenden Strom, der alles mit sich riss und manchmal sogar teilweise die Ufer überschwemmte. Auch aus dem sonst ruhigen Rinnsal im Betonrohr, wurde dann eine tobende Bestie, die donnernd in den ohnehin schon vollen Bach einfiel, ein faszinierendes Schauspiel. Es kam zwar selten vor, das der Bach so über sich hinauswuchs, aber dann schafften es sogar hin und wieder die Brücken nicht, das ganze Wasser unter sich durch zu lassen, so das in diesen Bereichen sogar die Straßen teilweise überflutet wurden. Während in den, in der Nähe stehenden, Häusern die Keller voll liefen und die Leute voller Verzweiflung versuchten, ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen, waren für uns diese Naturgewallten etwas unbeschreiblich Schönes und Spannendes. Unser Spielleck (Spielplatz) glich dann auch immer einem großen See. Sozusagen: "Ham die Großen Keller nass, ha´m die Kleinen großen Spaß". Oder so ähnlich. Das war jetzt aber nur ein kleiner Seitensprung vom eigentlichen Thema weg.
Denn was uns am meisten Interessierte war, wo führt dieses Rohr hin, woher kamen diese dumpfen donnernden Geräusche, die man von Zeit zu Zeit hörte, was war das Geheimnis dieses Eingangs in die unterirdische Welt?
Es gab schon mutige unter uns, die sich mit einer Kerze oder, wer hatte, einer Taschenlampe bewaffneten und in die Dunkelheit vorstießen. Bis zum zweiten leichten Knick, der ungefähr 20 Meter vom Eingang entfernt lag und nach rechts führte. Die absoluten Heros trauten sich sogar (zu Zweit) bis zu einem, uns bis dato, unbekannten Abzweig, allerdings zu klein um hineinzukrabbeln. Das heißt, man passte wohl rein, aber das war auch alles. Wir waren zwar so wahnsinnig in die große Röhre zu gehen, aber nicht so Lebensmüde in den kleineren Abzweig zu schlüpfen.
Ja, wir - nachdem die ersten sich getraut hatten, konnten wir anderen schließlich um nichts nachstehen. Der Abzweig lag ca 100 Meter vom Eingang. Ich weiß noch, als ich hineinging, mit einer Kerze in der Hand, mein Kumpel dicht hinter mir. Natürlich durfte man, obwohl die Hosen gestrichen voll, keine Angst zeigen. Zwischendurch immer wieder dieses dumpfe "wumm-wumm, wumm-wumm". Allerdings machten meine Herztöne, meiner Meinung nach, dem Geräusch erhebliche Konkurrenz in der Lautstärke. Mit flatternden Hosen und der Erwartung irgendetwas unheimliches wird geschehen, ging ich also voran.
Ich rechnete zumindest mit ein paar Ratten - aber nichts. Nur immer dieses "wumm-wumm". Ob es hier vielleicht Geister oder Ungeheuer gab? - Quatsch - gibts nicht !
- o - o - oder vielleicht doch -???
Weiter, Schritt für Schritt, keiner von uns beiden sagte einen Ton. "wumm-wumm" Wachs tropfte mir auf die Finger, aber wer spürt so was schon im Angesicht des Todes.
Dann endlich war es geschafft, wir waren am Abzweig "wumm-wumm"
Laut und deutlich konnte man nun das "wumm-wumm" aus dem Abgang hören. Immer wieder in unregelmäßigen Abständen "wumm-wumm".
Der kleinere Kanal führte, der Richtung nach zu Urteilen, direkt unter der Straße durch. Die Straße war an dieser Stelle etwa 10 Meter entfernt, weil hier ein Schacht nach oben führte, war dies (oberirdisch) klar zu erkennen.
Und jedes mal wenn ein Auto diesen Kanal kreuzte "wumm-wumm".
Damit hatten wir das erste Rätsel dieses Tunnels ergründet - keine Monster - einfach nur Autos - irgendwie schon enttäuschend, aber was soll's ...
Aber noch etwas muss man dazu sagen - der Rückweg war nicht ohne. Wir drehten uns um und gingen zurück. Man muss sich dass so vorstellen, die Füße seitlich über dem Rinnsal und den Körper vornüber gebeugt. Der Rückweg war deshalb so unangenehm, weil ich jetzt der letzte Mann war und die Dunkelheit hinter mir, im Rücken hatte. Die Erleichterung war groß, als ich wieder das Tageslicht erblickte. Ich war heil wieder raus gekommen, ich lebte noch. Ich hätte geschworen, man hat den Felsbrocken, der mir vom Herzen gefallen ist, weithin hören können.
Aber die Angst nimmt mit Raum und Zeit ab. Und wie der Mensch nun mal so ist - Neugierig - entschlossen wir uns eines Tages, eine Expedition bis zum anderen Ende des Tunnels zu machen.
Die Vorbereitungen begannen. Fünf Mann, im Alter von 10 - 12 Jahren, mit Nerven aus Stahl, machten sich daran, das größte Geheimnis östlich der Köddelbecke zu erkunden.
Jeder traf für sich seine eigenen Vorbereitungen.
Um jeglichem Schwächeanfall vorzubeugen, begann schon einige Tage vorher ein ausgiebiges, gut ausgearbeitetes Trainingsprogramm, um für das Leben in der Unterwelt gefeit zu sein. Mein Trainingsprogramm begann mit dem Frühstück, wo ich für die Vorbereitung nur noch Schokoladenbrot aß (Du weißt schon, son bekanntes Nussnougatzeugs). Übrigens war das alles während der Winterferien. Neben der Schule wäre der Stress zu groß gewesen. Das Training bei mir sah weiterhin wie folgt aus: Rausgehen; spielen; Plattenspringen (vormittags); Mittagessen, nicht so viel, damit der Magen im entscheidenden Moment nicht verrückt spielt. Vor allem aber, keinen Spinat und wenn dann nur ein winziges bisschen (würg). Das einzige was man in großen Massen zu sich nehmen konnte, waren die Grundnahrungsmittel für Kinder: Pommes; Eis (selbst im Winter); Schokolade.
Nachmittags rausgehen, Laufspiele - z.B. Fangen usw. . Gegen 16.00 Uhr reingehen und Fern sehen (Geistige Vorbereitung).
Abends, Ausrüstung überprüfen: Taschenlampe; Streichhölzer; Taschenmesser; Kerzen; Kampfanzug (Parker, Gummistiefel) ; auslaufsichere Unterhosen usw.
Du fragst Dich, ob unsere Eltern damit einverstanden waren?
Wie kannst Du nur solche Fragen stellen?
Natürlich - selbstverständlich ... nicht !
Es war nicht nur verpönt solche Sachen den Eltern zu erzählen, sondern auch unverantwortlich. Die hätten dass erstens verboten und zweitens sich womöglich Sorgen gemacht, dass wir es trotz Verbot tun. Was ja wohl auch vollkommen logisch gewesen wäre, denn wer lässt sich schon durch ein Verbot, von einer elementar wichtigen Mission, von der das Schicksal der gesamten Menschheit abhängen konnte, abhalten?
Na eben - kein noch so kleiner Mensch.
Der Morgen der Entscheidung brach an. Noch einmal umdrehen, ein bisschen Mullern (im Bett rumkuscheln), um noch Kräfte zu sammeln. Sozusagen letztes Aufbautraining.
Dann endlich war es so weit, fünf gestandene Männer, fünf geistig aufeinander abgestimmte Kampfmaschinen, Forscher und Abenteurer. Die Zeit, in die Röhre zu gucken wurde abgelöst durch die Zeit, in die Röhre zu gehen. Wortlos liefen wir in einer Reihe hintereinander die Platten herunter, übersprangen den Bach noch einmal und dann noch einmal zurück, auf die ebene Fläche des Betonkastens - der Ausgangsposition.
Der Wind preschte uns hart durch die Bäume entgegen, als wolle er uns von der "Höhle des Löwen" wegdrücken. Ich, damals ein Leichtgewicht und Spargeltarzan, hatte Mühe mich dagegen anzustemmen.
Bei meinen heutigen 220 Pfund wünsch ich mir manchmal diese Figur zurück.
Ein fernes Grollen machte sich in den Lüften breit. Das war weit weg, heute durfte es nicht regnen, heute nicht. Zu lange hatten wir uns auf diesen Tag vorbereitet. Die Expedition durfte und konnte nicht ins Wasser fallen, alle waren bereit.
Wir traten vor den Eingang "wumm-wumm" .
Das altbekannte Geräusch - an diesem Tag schien lauter, intensiver als sonst zu sein - als wolle es uns warnen.
Es lag ein Hauch von Abenteuer in der Luft, aber unverkennbar auch der Geruch von Gefahr "wumm-wumm" . Jeder schickte noch ein Gebet zum Himmel.
Wir zogen unsere Mützen tiefer ins Gesicht. Die Taschenlampen und Kerzen wurden angemacht. Von Kerzen wussten wir, wenn sie ohne sichtbaren Grund ausgehen, fehlt Sauerstoff.
Wir betraten das Tor ins Ungewisse.
Irgendwie schien es, als ob diesmal mehr Spinnenweben unter der Wölbung des Eingangs vorhanden waren, als sonst. Aber selbst wenn es alles Zeichen sein sollten, wir ignorierten sie "wumm-wumm". Äußerlich unerschrocken, machten wir uns auf den Weg. Fing es draußen gerade an zu regnen an? Oder war es nur Einbildung? Egal, das Wort "Rückzug" war aus unserem Vokabular gestrichen worden "wumm-wumm". Ich bildete das Schlusslicht, nicht weil ich der Ängstlichste war, sondern weil sonst keiner das "Nichts" im Rücken haben wollte, wenn wir das weltliche Licht hinter uns lassen würden "wumm-wumm". Es ging langsam vorwärts, das Kerzenlicht flackerte und - erlosch. Die Ursache war ein eisiger Wind, der wie der Hauch des Todes, durch die unterirdische Anlage strich "wumm-wumm". Es ging weiter, tiefer in den Schlot der Finsternis. Der Abzweig "wumm-wumm". Hier nun also begann die Welt, die noch nie eines Menschen Fuß auf sich gespürt hatte "wumm-wumm". Mickrig drang fahles Tageslicht durch die schmalen Schlitze der rechteckigen Schachtabdeckung "wumm-wumm". Tropfen hingen an dem Durchlass, ich bekam einen auf die Stirne und erschrak. "Was ist?" wurde ich gefragt und es schallte laut, dann immer leiser werdend durch die Gänge. "Nichts" flüsterte ich, "ich glaube es regnet".
Keine Erwiderung. "Weiter". Dieses "Weiter" kam von demjenigen, der mich gerade so laut gefragt hatte, nun auch nur noch im Flüsterton "wumm-wumm". Unser Fußgetrappel übertönte bald darauf dieses ständige "wumm-wumm". Wir mochten gute 300 Meter im Rohr gewesen sein, als mein Vordermann plötzlich wegrutschte und dabei seine kampferprobte Pudelmütze verlor.
Diese Spinnenwebensicherheitsmütze landete genau im Wasser (uah). Was tun? Er konnte sie so nass schließlich nicht mehr aufsetzen.
Alle sprachen seltsamerweise nur im Flüsterton.
Jemand von den Kumpels sagte: "Leg sie an den Rand, zum trocknen, wir nehmen sie auf dem Rückweg mit". "Jau ey, die Idee is knorke". Gesagt - getan. Durch die schrägen Wandungen und den rauen Beton war dass auch gar kein Problem. Und bei dem 10 cm breiten Rinnsal -? War das kleine Bächlein breiter geworden oder dies nur Einbildung? Egal, wir waren zu weit vorgestoßen um jetzt noch umzukehren. Also weiter. Hin und wieder drehte ich mich um, weil ich sicher sein wollte, das hinter mir alles in Ordnung war (also wegen Muffensausen). Das "wumm-wumm" war kaum noch wahrzunehmen, allerdings machte allmählich ein anderes Geräusch auf sich aufmerksam. Ein Rauschen drang langsam, aber unaufhaltsam in unsere Gehörgänge ein. Je weiter wir vordrangen, desto lauer wurde es. Ein weiterer Schacht, diesmal ein runder Gullydeckel. Sparsam fiel das Licht in den Schacht, ohne die Dunkelheit wirklich zu durchdringen, dafür aber jede Menge Regenwasser.
Auch das Abwasser konnte nun seinen immer höher werdenden Pegel nicht mehr verleugnen. "Lasst uns wenigstens noch sehen, wo das Rauschen herkommt". Nun gut - dann weiter der Hölle entgegen. Das Rauschen wurde immer lauter, man musste mittlerweile laut sprechen, um sich zu verständigen ... wenn man denn wollte. Da vorne ist Ende - nein - doch nicht - ein Knick."
Tatsächlich, wir näherten uns der Stelle, die Ursache des Getoses, musste unmittelbar hinter dem Knick zu finden sein. Die Wasserbreite betrug mittlerweile etwa 20 cm. Die Zeit lief uns davon.
Endlich - in ungefähr 500 Meter Entfernung vom Eingang, da sahen wir sie. "Sie" war keine Frau oder so, wie ihr jetzt vielleicht denkt, sondern mit "Sie" meine ich die kleine Halle, die sich hinter der Ecke verbarg. Eine Halle, wo aus einer kleineren Röhre Wasser kam, welches an unseren Füßen vorbeilief und eine Rinne aus Beton, in Bauchhöhe etwa, die im Bogen in diese Halle hineinragte. Das Rauschen kam zum einen von dem überschwappenden Wasser dieser Rinne, dass durch eine sehr hohe Fließgeschwindigkeit, quasi über den Rand katapultiert wurde und zum anderen aus den Tiefen der kleineren Röhren.
Aber ansonsten irgendwie anheimelnd, gemütlich und wenn nicht so weit weg gelegen, ideal für eine Bude - wenn man von den Überflutungen mal absieht.
Außer uns war in diesem Teil der Welt kein einziges Lebewesen zu sehen. Keine Spinne, keine Käfer, kein Garnichts. Nur ein kühler, aus dem Hochgeschwindigkeitskanal kommender Luftstrom und das tosende Wasser, erzeugten hier eine Art von Lebendigkeit.
Vor lauter Faszination, vergaßen wir fast, dass wir hier auch wieder heraus mussten.
Für einen Moment hatte ich den Eindruck, als wäre ich kurz eingenickt - Sauerstoffmangel? Nichts desto trotz, das Wasser stieg langsam aber stetig, es wurde höchste Zeit zu gehen. Wir machten uns auf den Rückweg. Als wir beim ersten Schacht ankamen, war das "Rinnsal" schon bis auf eine Breite von etwa 40 cm angewachsen.
Wir wollten raus, also entschlossen wir uns, einen kürzeren Weg zu probieren und stiegen den Schacht empor. Zwei von uns schafften es gemeinsam den Deckel anzuheben und beiseite zu schieben.
Wir kamen hinter der, damals bei uns existierenden, Tankstelle, am Fundament einer Fußgängerbrücke heraus. Es goss in strömen.
Wir, die tollkühnen Fünf, hatten diese Expedition ins Reich der Finsternis mit heiler Haut überstanden. Der Auslaufschutz hatte gewirkt und kein Geist oder Ungeheuer hatte es gewagt uns herauszufordern. Naja, vielleicht gibt es ja doch keine Gespenster und Monster. Wie dem auch sei, wir waren die Mutigsten dies- und jenseits der Köddelbecke. Der Kumpel mit der nassen Pudelmütze fragte, was jetzt aus dieser werden würde, er könne doch nicht ohne sie heimkommen. Wir meinten, er könne sie ja holen, wir würden so lange warten und aufpassen, dass keiner den Deckel zu macht.
"Äh - öh ... kommt einer mit?"
Andererseits war es auch schon sehr spät.
"Ach weißt du, es ist schon spät, ich muss nach Hause"
Diese und ähnlich gewichtige Argumente gestatteten uns nicht, die Mütze aus den Klauen der Unterwelt zu befreien.
Aber einem mit so viel Mut ausgestatteten Kerl, wie der Eigentümer dieser Mütze nun mal war, konnte nichts mehr abschrecken.
Er tat also das einzig Mögliche in dieser Situation.
Er würde seinen Eltern sagen, er habe die Pudelmütze verloren, ohne es zu merken, oder eine ähnlich nahe der Wahrheit liegende Erklärung abgeben.
Die Anspannung war für diesen Tag groß genug gewesen, wir hatten unser Ziel erreicht. Die Weltkarte war wieder etwas vollständiger geworden. Dank unserer Forschung war dieser ehemals blinde Fleck im Wissen der Menschheit von nun an für alle Zeiten im Buch der Kenntnis vermerkt.
Ich glaube, keiner von uns ist noch einmal so weit in diese Röhre hineingegangen. Seltsam fand ich nur, das keinerlei Getier in dieser Abwasserleitung zu finden war, mal abgesehen von ein paar Spinnen am Eingang und in den Schächten. Es ist mir durchaus bewusst, wie gefährlich diese Aktion damals war, aber wer fragt in dem Alter schon danach.
Die lange Zeit, die seither vergangen ist, mag auch einige Erinnerungsfehler bei mir verursacht haben, was Details betrifft. Aber die Fakten stimmen. Die Expedition; die Pudelmütze; das ansteigende Wasser; die Halle; der Ausstieg usw.
Heute sind die Spuren verwischt. Durch Renaturierung und Abwassertrennung sind weder die Betonplatten, noch die Röhren zu sehen. Und auch die Tankstelle und die Fußgängerbrücke gibt es dort nicht mehr.
Als einziges existiert heute nur noch der Buckel in der Wiese.
"Und warum bist Du nun Wasserhüter?"
Du erinnerst Dich an die Pudelmütze?
"Ja, wieso?"
"Als ich später zu Hause meine Sachen auspackte, war in meiner rechten Parkertasche die Pudelmütze meine Kumpels"
"Wie?"
"In der Pudelmütze war das Gerät eingewickelt"
"Was für ein Gerät?"
"Dieses hier, ich nenne es den "H2O-Controller""
"Den was?"
"Der Apparat, der mich in die Lage versetzt, Wasserverunreinigen auf der ganzen Welt aufzuspüren"
"Aber ich dachte ..."
"Mein Computerprogramm und die Satelliten? Nur um den Schein nach außen zu wahren - okay es funktioniert zwar einigermaßen, aber gegenüber dem H2O-Controller nur ein Spielzeug"
"Und wer ...?"
"Außerirdische !"
"Außerirdische?"
"Außerirdische !"
"Und wie ...?"
"Ich habe oft darüber nachgedacht und die einzige Erklärung, die ich finden konnte war: Es muss passiert sein, als ich den Eindruck hatte, ich wäre kurz eingenickt, denn irgendwie fehlte mir da ein kleines bisschen Zeit und ich nehme an, den anderen ging es ähnlich, wir haben aber nie darüber gesprochen"
"Und warum Du?"
"Ich habe lange Nachgeforscht und schon bald keimte in mir ein Verdacht auf. Und schließlich habe ich herausgefunden, das einer meiner Vorfahren ein Findelkind war. Um meinem Verdacht weiter nachzugehen, habe ich meine Gene durchforstet - und eine leichte Andersartigkeit festgestellt. Zwar nichts Gravierendes aber vielleicht dafür ausschlaggebendes."
"Du spinnst - Du nimmst mich auf den Arm. Ich glaub Dir kein Wort. Nichts von dem was Du mir erzählt hast, ist war. Und das "Gerät" was Du da am Arm hast ist eine stinknormale Uhr."
"Doch, es ist so, die "Uhr" ist H2O-Controller und nur ich kann ihn bedienen, er reagiert nur auf mich. Gewissermaßen bin ich hier ausgewählt worden, um eben diese Aufgabe zu erfüllen - davon bin ich heute überzeugt"
"Zeig mir den Buckel !"
Du willst ihn sehen - wirklich?
Nun gut, Du findest ihn in Marl, in Westfalen (Deutschland), an der Hervester Straße, in einer Wiese, nahe dem Weiherbach - Du wirst es sehen, wenn Du daran vorbeifährst.
Dort ist auch noch der rechteckige Schacht zu sehen. Und wenn Du Dein Ohr an die Schlitze hältst und ein Auto fährt vorüber, kannst Du es vielleicht sogar hören - dieses "wumm-wumm" ...



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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