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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Befängnis
© Jennifer Clare
Irgendwas störte mich schon die ganze Zeit, aber ob es der weiche Geruch nasser Stoffsitzbezüge oder das rhythmische Gequietsche der Scheibenwischer war, wusste ich nicht genau. Das winzige Fenster zu meiner Linken war feucht-beschlagen, draußen flitzten unkontrolliert gelbe Punkte vorbei, die mit einem hellen Klang Wasser aufspritzen ließen und dann wieder ins neblige Nichts entschwanden, ein decrescendierendes Rauschen hinterlassend, Auto auf Regen auf Asphalt, unverkennbar. Wie zum Teufel konnte Jasmin sehen,
wohin sie fuhr?
Langsam kroch die Nässe von dreißig Sekunden (von der Haustür zur Autotür) durch meine dünne Hose, hinterließ ein ekliges Gefühl auf der Haut. Auf meiner Jacke perlten Tropfen, rannen den gewachsten Stoff herunter und benetzten noch zusätzlich meine Hose und die Sitze in Jasmins Auto. Meine Frisur war wohl auch nicht mehr zu retten, die brummende Lüftung vorne am Armaturenbrett war viel zu schwach. Ich lehnte mich zwischen den beiden Vordersitzen nach vorne, blickte raus in die Nacht. Der Regen ohrfeigte das
kleine Auto von allen Seiten, bekämpft durch den unermüdlichen Scheibenwischer. Ti-quietsch, Ti-quietsch… Als Jasmin dann fragte, warum keiner etwas sagte, wusste ich's selbst nicht. Wahrscheinlich ebenso wenig wie der komische Typ da vorne ("So n Kumpel von der Jasmin kommt dann auch noch mit.") oder Nicole neben mir. Ich sagte, was weiß ich denn, gibt nichts zu erzählen, und fühlte mich weiterhin in meiner nassen Kleidung unwohl. "Scheiß Wetter halt", bemerkte Nicole knapp, der Typ sagte
gar nichts. "Ja ja, ich seh hier überhaupt nichts!" Jasmins letzter Satz blieb unangenehm in Raum stehen; ich glaube, jeder hatte das Gefühl, was sagen zu müssen. Ich überlegte zu erzählen, dass ich neulich im Nebel nach Hause gekommen war und fast unsere Garagentür mitgenommen hätte, weil ich nichts gesehen hatte. Nicole hätte das sicher lustig gefunden, und Jasmin hatte das selbst schon geschafft. Aber der Typ, der würde das sicher doof finden, kennt man ja, so Kerle denken ja immer, dass Frauen eh
nicht Autofahren können...
"Seid ihr jetzt irgendwie schlecht drauf oder so?" War schwer zu sagen, meine Haut fühlte sich klamm an, die Hose klebte an mir fest, und in meiner haarsprayfixierten Frisur hatten sich kleine Sprühtropfen festgesetzt, die von meinen Haaren langsam annektiert wurden und sie zu blonder Masse werden ließen. Aber es gab Wichtigeres, mein Gott! Der Kerl da vorne sorgte sich bestimmt auch nicht darum, dass seine Haare am Kopf anlagen und aussahen wie der Helm von Sir Lancelot!
"Nö, nur weil's nichts zu sagen gibt...?" Schweigen. Draußen Regen, platschiges Geräusch der Reifen auf der Autobahn. Jasmin rutschte auf ihrem Sitz herum; ob, weil sie sich auch fühlte wie ins Wasser gefallen, oder aus einem anderen Grund, war mir nicht klar. Der Typ sagte gar nichts, saß da wie ein Fels, blöder nasser Sack. Irgendwie war er mir... nein, das konnte ich nicht beurteilen, ich hatte ihn vor zehn Minuten das erste Mal in meinem Leben gesehen, aber doch...ja, er war unbestreitbar unsympathisch.
Aber was sollte das, ich würde den Abend mit ihm verbringen müssen, da musste man sich doch irgendwie arrangieren, war ja nicht so, dass ich ihn gleich heiraten musste. Smalltalken, dann zum Abschied die einzige Umarmung meines Lebens mit ihm austauschen, eineinhalb Sekunden nasse Jacke auf nasse Jacke, und ihn dann bestenfalls, wenn man ihn mal traf, im Bus oder so, kurz mit "Hi", begrüßen und weitergehen, sich nicht mal dazustellen, mehr war das doch nicht! Ich hatte seinen Namen jetzt schon vergessen,
und sein Gesicht würde ohne Zweifel morgen, spätestens übermorgen, folgen. "Freut ihr euch denn auf gleich?" Jasmins Stimme durchbrach meinen Gedankengang wie ein Flugzeug die Schallmauer. "Jor...", brummten Nicole und ich beinahe synchron, mehr nicht. Der Kerl nickte kurz, was eine Welle des Hasses in mir aufsteigen ließ. Sollte sich doch Jasmin um diesen komischen Menschen kümmern! Wer hatte den denn angeschleppt, sie, verdammt noch mal! Normalerweise würde eine von uns Mädels da sitzen,
wo er jetzt hing, und man würde eine Unterhaltung führen können, ohne das Gefühl zu haben, sich zu blamieren.
Jasmin zog rechts ran, weil der Typ ihr zugemuffelt hatte, er wolle noch Zigaretten kaufen. Auch das regte mich ungemein auf, ließ mich "Typisch!" denken, obwohl Nicole ja auch rauchte, was mich nie großartig störte.
Kaum dass er raus war, drehte sich Jasmin zu uns nach hinten um. "Irgendwas ist doch mit euch, oder? Ihr seid so komisch..." Ich sagte gar nichts. "Redet der eigentlich mal?", platzte Nicole heraus, "leicht merkwürdiger Zeitgenosse, oder?" "Ach, weiß nicht", Jasmin zuckte die Achseln, "wenn man mit ihm länger redet, ist er wirklich nett." "Ja schon, vielleicht, also jaa..." Ich spähte nach draußen und sah ihn am Automaten stehen, widerlicher Typ. "Warum
hast du den angeschleppt?", schrie ich plötzlich, "der macht alles kaputt, die ganze Fahrt, den ganzen Abend, alles! Der passt voll nicht zu uns, man, merkst du das nicht?!" Jasmin sah mich erschrocken an, beinahe verletzt. "Der hat dir überhaupt nichts getan, ich versteh nicht, was du hast! Soll ich ihn jetzt rausschmeißen oder was?" Jasmin tat mir leid, aber ich war in einer blöden Stimmung. "Ja, mach doch!", schrie ich. "Er kommt", zischte Nicole. Die Autotür öffnete
sich und er kam mit einem unangenehm kalten Schwall Luft herein. Ich fand einfach alles an ihm ärgerlich, die Art, wie er den Kopf einzog um einzusteigen, die Art, wie er Sprühtropfen mit hineinbrachte, die Art, wie er das Päckchen Zigaretten in seine Hosentasche stopfte, die Art, wie er "Kannst weiterfahren", brummte, ohne sich den Sicherheitsgurt anzulegen. Schlagartig war wieder das Gefühl da, in einer Konservendose zu sitzen, in der es nichts zu sagen gab, die Stille aber unangenehm das Trommelfell
penetrierte. Kommentarlos setzte Jasmin den Blinker und fuhr los, und während mir klar wurde, was die ganze Zeit gestört hatte, umplätscherte der Regen weiterhin haltlos mein Gefängnis, bekämpft nur durch den unermüdlichen Scheibenwischer.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.