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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

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Halt den Mund, und iss weiter

© Achim Stößer


Wirklich, ich hatte sie satt, diese Lüg-nicht-du-kaust-ja-noch-Witze.
Ach, bringen Sie mir doch bitte noch ein Weizen!
Als sie vor drei Monaten auftauchten, war ich dummerweise nicht in Kalifornien. Sicher haben Sie in den Nachrichten davon gehört. Es schien, als würden sie mitten in der Luft entstehen, ein paar hundert Meter über dem Erdboden. Zuerst nur wenige, die verdrängte Luft knallte, als ob du auf eine Kakerlake trittst, dann immer mehr, wie explodierende Knallfrösche. Es gab eine Panik, natürlich. Trotz ET und Alf dachten alle an eine Invasion. Nun ja, die Kanker sind nicht niedlich und putzig und pelzig und kulleräugig.
Blauglänzender, ellipsoider Körper, vierzig Zoll lang, vierundzwanzigeinhalb breit, fünfzehn hoch (genaues Messen ergibt den Goldenen Schnitt, entstanden durch Evolution!), fingerdicke, aber mehrere Meter lange Beine -abgesehen von ihrem Elefantenrüssel sehen sie wirklich aus wie Riesenspinnen, obwohl sie Wirbeltiere sind. Darum nennen wir sie auch Daddy-longlegs - Weberknecht oder Kanker.
Ja, danke, Fräulein.
Wissen Sie, früher habe ich sogar Witze gesammelt. Ich hatte über viertausend Glühbirnenwitz: "Wie viele Soundsos braucht es, um eine Glühbirne auszuwechseln?" Zum Beispiel:
- Wie viele Generäle braucht es, um eine Glühbirne auszuwechseln? Eine Million und einen. Einen, der sie auswechselt, und eine Million, die die Zivilisation wieder bis zu einem Punkt aufbauen, an dem Glühbirnen benötigt werden.
Oder:
- Wie viele Polizisten braucht es, um eine Glühbirne hineinzudrehen? Wieso, die Glühbirne hat sich ganz von alleine hineingedreht.
Nein? Das erinnert mich an folgenden:
- Wie viele Deutsche braucht es, um eine Glühbirne auszuwechseln? Einen. Wie viele denn sonst? Ich verstehe nicht. Soll das ein Witz sein?
Als ich ihn zum ersten Mal erzählte, sah ein ehemaliger Kommilitone, der in San Diego zu Besuch war (ich habe hier in Heidelberg studiert, habe ich das erwähnt?), mich merkwürdig an und sagte: "Versteh' ich nicht. Dabei sollte ich ihn verstehen, schließlich bin ich Deutscher." Er meinte es völlig ernst.
- Wie viele Katholiken braucht es, um eine Glühbirne auszuwechseln? Sechs.
Zwei, die sie hineinschrauben, und vier, die dir versichern, dass sie von dem Moment an leuchtet, in dem sie beginnen, sie hineinzuschrauben.
Schön, es verliert in der Übersetzung. To screw a bulb into a socket, eine Glühbirne in die Fassung schrauben, und to screw someone, jemanden ... nun, Sie wissen schon.
Deshalb kann ich auch meinen Lieblingswitz nicht erzählen ... also gut:
- Die Sintflut ist vorüber, Noah steigt aus der Arche und läßt die Tiere frei. Zwei Giraffen. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Elefanten.
Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Tausendfüßer. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Zebras. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Pinguine. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Rüben, äh, nein, sagen wir: Bienen. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Zwei Asseln. Zwei Kamele. Zwei Schnecken. Zwei Affen. Zwei ... und so weiter, ich denke, Sie haben den Punkt, nicht? Dann kommen zwei Schlangen. Noah sagt: "Gehet hin und mehret euch!" Darauf eine der Schlangen: "Wir können uns nicht mehren, da wir Nattern sind." Noah denkt nach, geht in den Wald, kommt zurück mit einem Tisch, den er gemacht hat, und sagt: "Hier habt ihr einen Tisch aus einem Holzklotz, auf dass ihr Nattern euch mehren könnt." Tisch aus einem Holzklotz, verstehen Sie, table of logs, das heißt Logarithmentabelle. Natter: adder, vermehren: multiply. Mit einem Tisch aus einem Holzklotz können Nattern sich vermehren - mit einer Logarithmentafel können Addierer multiplizieren.
Sie sind kein Mathematiker, wie? ... Maurer, so. Auch ein schöner Beruf, nicht wahr? Ich habe in Heidelberg Mathematik studiert. Schöne Stadt, Heidelberg. Und das deutsche Bier - Fräulein! -, ja, wissen Sie, bei uns in den Staaten muss auf jeder Bierflasche stehen, dass ab soundso viel Gläsern Gehirnschäden entstehen können. Scheußlich! Vor ein paar Jahren war ich in Indien, dort gab es auch deutsches Bier. Auf dem Etikett war ein dickes Swastika, äh, Hakenkreuz. Kein Witz!
Vielen Dank.
Natürlich sind die Kanker keine Invasoren. Leider aber auch keine Forscher.
Sie sind Touristen! Und so benehmen sie sich auch. Sieht richtig albern aus, ein Kanker in vier Paar Jeans, die ihm gerade bis zum obersten Knie reichen, einem Hut, den er in Ermangelung eines Kopfs auf dem Rücken trägt, und einer Sonnenbrille, die er kaum auf dem Rüssel balancieren kann. Als sie erschienen, über der Stadt, hatten sie nichts anderes an, als die Gurte ihrer Gleitdrachen, mit denen sie dann auf Häusern und in den Straßen landeten. Sie ahmen fast alles nach. Nur mit dem Essen sind sie heikel, natürlich. Touristen eben. Wenn du sie fragst, wie sie hergekommen sind, antworten sie: "Über die Transitstation Sowieso", mehr wissen sie nicht darüber. Ich meine, wenn Sie nach Kenia fliegen, können Sie dann den Eingeborenen beibringen, wie ein Passagierflugzeug gebaut wird? Außerdem sind die Kanker nicht besonders interessiert an einem Kontakt mit uns Einheimischen. Aber das Schlimmste sind die Witze.
Sie erfinden sie nicht. Sie ändern nur unsere ein wenig ab:
- Wie viele Menschen braucht es, um eine Glühbirne auszuwechseln? Einen. Und eine Menge toter Tiere, die er zu einem Haufen aufschichten kann, bis er die Glühbirne erreicht.
Sicher kennen Sie den über das Vegetarier-Ehepaar:
- "Jack, komm zu Tisch, das Essen wird welk!" Ich kann nichts dafür, dass er so sexistisch ist. Sagen Sie: Jill, meinetwegen. Bei den Kankern heißt er:
- "Mohammed, komm zu Tisch, das Essen verwest!" Irgendwie haben sie herausgefunden, dass Mohammed der häufigste Name bei uns Menschen ist, und um niemanden zu beleidigen, verwenden sie ihn. Wir sehen für sie ohnehin alle gleich aus.
- Mohammed kommt an Thanksgiving ... zum Erntedankfest, mit seinem gebratenen Truthahn in die Tierklinik und fragt: "Herr Doktor, können Sie ihn noch retten?" Der Tierarzt: "Ich fürchte, eine Amnesie wird zurückbleiben." Manchmal übernehmen sie unsere Witze unverändert, aber dadurch scheinen sie eine viel tiefere Bedeutung zu gewinnen:
- Klein-Mohammed: "Mami, mein Ei schmeckt so komisch." Die Mutter: "Halt den Mund, und iß weiter!" Klein-Mohammed: "Mami, muss ich den Schnabel auch mitessen?" - "Mohammed, mögen Sie Kinder?" - "Ja, vor allem in einem leckeren Rotweinsößchen." - Mohammed kommt in eine Metzgerei: "Einen Eimer Blut, bitte!" Der Metzger ist verwirrt, bringt ihn aber. Mohammed setzt den Eimer an die Lippen und trinkt ihn in einem Zug aus. Am nächsten Tag kommt er wieder, bestellt einen Eimer Blut und trinkt ihn aus. Am dritten Tag das gleiche. Doch am vierten Tag stürzt er durch die Tür und ruft: "Schnell, einen Laib Brot!" - "Das hier ist eine Metzgerei, wozu brauchen Sie denn Brot?" - "Draußen war ein Unfall, ich möchte es eintunken." - Ein Mann kommt in eine Bar, verlangt einen Zahnstocher, bekommt ihn und geht wieder. Ein paar Minuten später kommt ein zweiter, verlangt einen Zahnstocher, bekommt ihn und geht wieder. Dann ein dritter. Als schließlich ein vierter kommt, fragt der Wirt: "Wollen Sie auch einen Zahnstocher?" - "Nein, einen Strohhalm. Draußen hat jemand erbrochen, aber die Bröckchen sind schon alle weg." Ach, ja:
- Mohammed kommt in ein Restaurant und bestellt eine Bouillabaisse. Er wartet eine halbe Stunde, die Suppe kommt nicht, er wartet eine Stunde, er wartet eineinhalb Stunden. Nichts. Da sieht er, dass der Mann am Nebentisch eine Suppe vor sich stehen hat, sie aber nicht anrührt, sondern in der Zeitung liest. Mohammed ist sehr hungrig, also nimmt er die Suppe und ißt sie. Er ist fast fertig, da entdeckt er auf dem Boden eine Flunder, halb verwest und von Tumoren übersät. Er erbricht alles in die Suppenschüssel.
"Sehen Sie", sagt der Mann am Nebentisch, "so weit war ich auch schon." - Mohammed, stockbetrunken, kommt auf dem Jahrmarkt an einen Schießstand, nimmt ein Gewehr, zielt, schießt, trifft und gewinnt eine lebende Schildkröte. Nach einer halben Stunde kommt er zurück, noch betrunkener, nimmt ein Gewehr, zielt schwankend, schießt, trifft und gewinnt eine zweite.
Nach einer weiteren Stunde kriecht er auf allen vieren zum Schießstand, stemmt sich auf die Theke, nimmt ein Gewehr, zielt - alle Leute gehen in Deckung -, schießt, trifft und gewinnt eine dritte lebende Schildkröte.
"Verdammt," flucht er, "nicht schon wieder so ein hartes Fischbrötchen!" Hören Sie mir überhaupt zu? Nehmen Sie doch den Kopf vom Tisch, wenn ich mit Ihnen rede! - Fräulein, noch ein Weizen!
Sie kommen überall hin, so etwas wie Privatsphäre kennen sie nicht. Einmal spazierte eine Familie mit drei Kindern in mein Arbeitszimmer. Ich bin Zahlentheoretiker, Dozent an der University of California, San Diego, habe ich das schon erwähnt?
"Knarr, tick, tack?" oder jedenfalls etwas ähnliches, fragte das kleinste.
Es hing knapp zwei Meter über dem Boden in seinem Beingerüst. Sein Körper, noch blassblau, beinahe weiß, mit schwarzblauen Warzen und Bauchlamellen, sah fast aus wie ein Zierkürbis. "Was machst du da?" tönte es aus dem Übersetzungsgerät, das es am linken Vorderbein trug, wie wir eine Armbanduhr. Ich arbeitete gerade an der Fermatschen Vermutung. Das heißt, eigentlich gehörte das nicht zu meiner Arbeit, war mehr ein Hobby. Noch ehe ich etwas sagen konnte, schnarrte es weiter: "Knatter, schnippedi-klick! - Oh, das machen wir auch gerade in der Lerngruppe, die in etwa einer Junior High School entspricht!" Der Übersetzter hatte offenbar mit einigen Ausdrücken gewisse Schwierigkeiten. Weiß der Teufel, wie das Kankerkind mit unseren mathematischen Symbolen zurechtkam. Sie haben drei obere und einen unteren Fingerwulst an ihren Rüsseln; damit griff es einen Bleistift und schrieb die Lösung hin. Einfach so. Vielleicht sollten wir versuchen, mit den Kindern zu reden, statt mit den Erwachsenen. Sehen Sie: Die diophantischen Gleichungen dritten und höheren Grades - danke sehr - äh, besitzen laut Fermat keine nichttrivialen ganzzahligen Lösungen für Exponenten größer als zwei, für den Exponenten zwei ist es natürlich Pythagoras, nicht wahr, war übrigens auch Vegetarier ... verflixt, wenn auf dem Rand des Bierdeckels mehr Platz wäre, könnte ich es Ihnen zeigen.
Buh! Oh, habe ich Sie geweckt? Ja, die Kanker sind auch so schreckhaft. Dann lassen sie sich auf den Boden fallen und wickeln die Beine um den Körper, so dass sie aussehen wie Riesenwollknäuel.
Sie tragen mit Schlagworten bedruckte T-Shirts. Sicher kennen Sie den
Spruch: Kissin' a smoker's like lickin' an ash-tray - einen Raucher küssen ist wie einen Aschenbecher auslecken. Die Kanker ersetzten den Raucher durch einen Fleischesser: Kissin' a meat-eater's like lickin' a casket.
Ach, könnte ich etwas zu Essen bekommen? Haben Sie etwas ohne Fleisch? ...
Würstchen mit Kartoffelsalat? Aha. Nein, bringen Sie mir lieber noch ein ...
ja, danke.
Sie singen sogar, die Kanker, meine ich, wie die Burschenschaftler da drüben, aber mit Hilfe ihrer Übersetzer:
Mary had a little lamb,
her father shot it dead.
Now she goes to school with it,
between two lumps of bread.
Augenblick, das müßte doch auch im Deutschen funktionieren:
Mary hatt' ein kleines Lamm,
ihr Vater schoß es tot.
Jetzt nimmt sie es zur Schule mit,
auf einer Scheibe Brot.
Sie übernehmen viele unserer schlechten Angewohnheiten, auch die, Witze auf Kosten anderer zu machen. Und das Schlimme ist, ich fürchte, sie haben Recht. Deshalb bin ich nach Deutschland gekommen, denn sie verlassen aus irgendeinem Grund Kalifornien nicht. Vielleicht haben sie zu viele amerikanische Science-fiction-Filme gesehen.
Kennen Sie den Cartoon mit dem Ehepaar, das verzweifelt vor dem entnadelten Weihnachtsbaum steht? "Aber, Liebling, ich konnte doch nicht ahnen, dass Millers Vegetarier sind." Die Kanker zeichnen mit ihrem geschickten Rüssel ein Kanarienvogelskelett in einem Bauer.
- "Mohammed, wo ist denn das Reh?" - "Ich weiß nicht." - "Lüg nicht, du kaust ja noch!" - "Mohammed, wo ist denn die Katze, das Schwein, das Kaninchen, der Hund, der Goldfisch, der Papagei ...?" - "Ich weiß nicht." - "Lüg nicht, du kaust ja noch!" - "Mohammed, wo sind meine Fischköder?" - "Ich weiß nicht." - "Lüg nicht, du kaust ja noch!" - "Klein-Mohammed, hast du dein Schwesterchen gesehen?" - "Nein, Mami." - "Lüg nicht, du ..." Und so weiter.
Fräulein, bringen Sie mir doch bitte die Würstchen mit Kartoffelsalat. Aber lassen Sie die Würstchen weg.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



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