Kurzgeschichtenwettbewerb Kurzgeschichten Wettbewerb Kurzgeschichte Schlüsselerlebnis   www.online-roman.de

Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"

www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Der Traummann

© Silvana Lanzillo


"Na, was machst Du denn dieses Wochenende?" fragte meine Kollegin Beate mich herausfordernd. Sie saß mir gegenüber am Schreibtisch und hatte mich genau im Blick. Es war Freitagnachmittag. Ich hasste diese Fragen. Welcher Single hasste sie nicht? Diese Fragen wurden ausnahmslos von verheirateten Frauen gestellt, bestenfalls noch von anderen Singles, die ein Date für das Wochenende suchten. "Ich weiß noch nicht so genau", antwortete ich knapp. "Kino, Disco, Städtetrip - kann alles passieren." Im Geheimen dachte ich an mein leeres Konto und wusste, dass ich das Wochenende mit Nudeln vor dem Fernseher verbringen würde. Ich war vor nicht allzu langer Zeit von meinem Lebensgefährten verlassen worden, aber er hatte vorher gründlich den Kreditrahmen unseres gemeinsamen Kontos gesprengt. Dann war er in der Versenkung verschwunden und ich war auf den Schulden sitzengeblieben und zahlte und zahlte.
Beate sah mich scharf an. "Ja, sicher. Weißt Du, Dir wird auch noch der Richtige begegnen. Mach' Dir da keine Gedanken. Du darfst jetzt aber nicht in Trübsinn versinken. Das mag kein Mann leiden." Abschätzend sah sie mich an, dann lächelte sie selbstzufrieden. "Das wird schon wieder, ganz bestimmt." Wieder taxierte sie mich. Leider war ich nicht besonders attraktiv und meine Figur war nach dem Fiasko mit meinem Ex-Freund auch nicht in Bestform. Beate, die aussah als wäre sie einem Vogue-Magazin entstiegen, war jetzt ein Jahr verheiratet und ihr Ehegatte war ein wahrer Traummann, der ihr Rosen schickte, an alle wichtigen Tage dachte, wie z. B. Geburtstag, Hochzeitstag und sie einfach auf Händen trug. Nach einem Gespräch mit ihr verspürte ich immer das Verlangen mich besinnungslos zu betrinken oder einfach aus dem Fenster zu springen. Aber ich wusste, dass sie nicht nur auf mich so wirkte und das tröstete mich ein wenig.
Triumphierend sprang sie auf."Also dann, ciao, wir werden dieses Wochenende in Paris verbringen", sie machte eine bedeutungsvolle Pause, "der Stadt der Liebe!" Frau Müller, die bald das Rentenalter erreicht hatte, erschien hinter Beate und verdrehte die Augen gen Himmel. Ich prustete los. Beate sah verwirrt drein. "Was ist denn daran so lustig?" fragte sie verständnislos. "Gar nichts", antwortete Frau Müller, "aber denken Sie daran, wenn Sie nach Paris fahren: das ist die Hauptstadt Frankreichs, also spricht man dort französisch und "ciao" heißt dort "au revoir"." Sie lächelte breit. Beate hatte sich zu ihr umgedreht und meinte von oben herab. "Wie dem auch sei, bisher sind wir immer zurechtgekommen." Sie hob trotzig das Kinn und schob den Brustkorb vor. Frau Müller blickte auf ihren Busen und sagte: "Da bin ich mir ganz sicher." Wieder lächelte sie allwissend. Beate drehte sich beleidigt um und ging zur Tür. "Schönes Wochenende allerseits!" rief sie zum Abschied und dann war sie fort.
Frau Müller sah mich an. "Lassen Sie sich von der nicht ins Bockshorn jagen. Es wird längst nicht so heiß gegessen wie man kocht. Und Sie sind ein gutes Mädchen. Los, gehen Sie schon und amüsieren Sie sich." Ich sah auf die Uhr. Es war tatsächlich schon Feierabend. An diesem Freitagnachmittag wusste ich noch nicht, wie wahr die Worte waren, die Frau Müller sprach und die mit ihrer Lebenserfahrung Beate längst durchschaut hatte.
Ich fuhr mit der Straßenbahn nach hause und überlegte, wie ich mir das Wochenende angenehm gestalten konnte. Wenn man 25 Jahre alt war und kein Geld hatte, war es nicht einfach das Wochenende aufregend zu verbringen. Mir fiel ein, dass ich Berge von Wäsche waschen musste, eine Menge Papierkram zu erledigen war und mein Mutter auf einen Besuch meinerseits wartete. So stieg ich frustriert aus der Straßenbahn. Ich schloss die Haustüre auf und ging an die riesige Briefkastenanlage. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass in diesem Hochhaus hundert Mieter wohnten. Noch immer suchte ich meinen Briefkasten. Aber der Vorteil war seinerzeit, dass ich direkt einziehen konnte. Unsere gemeinsame Wohnung musste ich schnellstens kündigen, da sie für mich alleine viel zu teuer war. Da - da war mein Briefkasten, 10. Reihe entspricht 10. Obergeschoss und zweite Türe von links, eigentlich gar nicht so schwer. Ich hatte Post, wahrscheinlich wieder irgendwelche Rechnungen.
Der Aufzug ließ wieder auf sich warten und hielt dann natürlich auf jeder Etage. Endlich ließ ich mich in der Küche auf einen Hocker fallen. Zufrieden sah ich mich um - klein, aber mein. Es war nur ein Ein-Zimmer-Apartment, aber für mich war es der Himmel auf Erden, ein Ikea-Traum sozusagen. "Es hilft nichts", seufzte ich und nahm mir die Post vor. Immerhin, fünf Briefe lagen vor mir auf dem Tisch. Da waren meine Konto-Auszüge, eine Katalog-Rechnung und drei Werbebriefe. Ich wollte sie schon ungelesen ins Altpapier werfen, da fiel mein Blick auf das kleine Rätselspaß-Logo auf dem Umschlag. Das war eine meiner Freuden, die ich mir noch leisten konnte - Kreuzworträtsel! Aber wieso schrieben die mir und woher hatten die meine Adresse. Kurzerhand riss ich den Umschlag auf und las das Anschrieben, las es noch mal und noch mal.
Ich konnte es nicht fassen. Ich hatte einen Preis gewonnen. Ich las laut: "Eine Reise nach Paris und zwar schon heute Abend! Ja, so kurzfristig, sind die denn wahnsinnig?" Dann fiel es mir wieder ein. Es war schon länger her, dass ich teilgenommen hatte, damals wohnte ich noch mit meinem Freund zusammen. Ich sah noch mal auf den Umschlag - und richtig. Der Brief hatte eine schöne Odyssee hinter sich, bis er mich unter meiner neuen Adresse erreichte. Da hatte ich ja Glück gehabt. Fieberhaft las ich den Text durch. Abflug am Freitag, dem 19. April, um 19:30 Uhr, ab Düsseldorf, Ticket liegt am Air France Schalter zur Abholung bereit. Jetzt musste ich mich beeilen.
Eilig packte ich das Nötigste ein. Jeans und Pulli mussten reichen. Wie war das Wetter in Paris? Ausweis, Geld, Handy, Schlüssel und natürlich den Brief - und auf geht's. Das Taxi wartete schon vor dem Haus als ich endlich unten ankam. Während der Fahrt rief ich schnell meine Mutter an. "Ich kann nicht kommen", brüllte ich so laut, dass der Fahrer missbilligend nach hinten sah. "Ich hab' eine Reise nach Paris gewonnen!" brüllte ich unbeeindruckt weiter. "Ja, Paris!" quietschte ich glücklich ins Telefon. "Ich melde mich wieder. Bis dahin."
Schnell drückte ich die Auflegen-Taste, um den gut gemeinten Ratschlägen meiner Mutter zu entkommen. Es war 18:30 Uhr als ich am Flughafen Düsseldorf ankam. Ich rannte so schnell es ging zum Air France Schalter. Nach Prüfung meines Ausweises händigte man mir den boarding pass aus und ich ging mit klopfendem Herzen zum gate 47. Wie auf Wolken bestieg ich den Flieger und ließ mich auf meinem Platz nieder. Dann erst fiel mir der Brief wieder ein. Schön, ich saß jetzt im Flieger, aber wo sollte ich denn übernachten? Mit fiebernder Hast zog ich den Brief aus meiner Handtasche und überflog den Text. "Ach, ja, da", murmelte ich. "Hotel des fleurs." Das klang hübsch. Die Stewardess bat mich, mich anzuschnallen und bald schon erhoben wir uns in die Lüfte.
In Paris angekommen nahm ich mir wieder ein Taxi zum Hotel. Ich wäre wahnsinnig gerne Metro gefahren, hatte aber nicht die geringste Ahnung, wie ich zum Hotel kommen sollte. Wahrscheinlich wäre die Metro auch schneller gewesen. Der Taxifahrer schimpfte in einem fort über den Verkehr, versäumte aber nicht, Mademoiselle zwischendurch auf Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen und in den Rückspiegel zu lächeln. Ich seufzte. Diese Franzosen!
Das Hotel war in einer kleinen Seitenstraße und ich war inzwischen so müde, dass ich froh war, auf mein Zimmer zu kommen und sofort einzuschlafen. In meine Träume mischte sich eine keifende Frauenstimme aus dem Nebenzimmer, die seltsam vertraut klang. Bis ich darauf kam, wem sie gehörte, war ich schon eingeschlafen.
Morgens weckte mich ein Klopfen an der Tür. Als ich nachschaute, fand ich ein Tablett mit Kaffee und einem Croissant. Gut, verhungern würde ich nicht. Ich griff das Tablett, setzte mich auf das Bett und ließ es mir schmecken. Dann überlegte ich, wie ich am besten durch Paris kam. Ich würde einfach mal an der Rezeption fragen. Sicher hatte man hier wenigstens einen Stadtplan. Da hörte ich wieder diese Frauenstimme durch die Wand. "Das darf doch nicht war sein! Da sind wir einmal in Paris und Du willst Sport sehen?" Ich sah mich im Zimmer um. Hier war jedenfalls kein Fernsehen. "Jedes Mal dasselbe", fuhr die Stimme fort. "Da fahren wir zwei Tage, nur zwei Tage, weg - und Du musst Sport sehen!" Dann schluchzte sie: "Ich hasse Dich! Ich lasse mich scheiden, dann kannst Du sehen wie Du zurecht kommst. Du hast versprochen, mir alle Wünsche von den Augen zu lesen." Verzweifelt brach die Stimme ab und weinte vor sich hin. Auweia, das klang nach handfestem Ehekrach. Woher nur kannte ich nur diese Stimme?
Ich war voller Unternehmungsgeist und ging daran, Paris zu entdecken. Wie erhofft hatte der nette Herr an der Rezeption einen Stadtplan von Paris auf dem auch alle Sehenswürdigkeiten verzeichnet waren. Das Hotel lag gar nicht so ungünstig und ich konnte zu Fuß zum Arc de Triomphe und von dort aus die Champs Elysee herunterschlendern. Es war ein wunderbarer, sonniger Tag und ausnahmsweise fühlte ich mich rundum glücklich und zufrieden. Ein kleines Cafe hatte draußen gedeckt. Es war bereits Mittag und mein Magen knurrte. "Bonjour, Monsieur", sagte ich zu dem Kellner, der geeilt kam und mich freundlich anlächelte. "Une omelette, s'il vous plaît, et un petit salade." Dann lehnte ich mich wieder in meinem Stuhl zurück und genoss die Sonne.
Plötzlich drang wieder diese Frauenstimme an mein Ohr. "Oh, bitte, lass uns wenigstens in den Louvre gehen, wenn wir schon mal hier sind. Was soll ich denn meinen Kolleginnen erzählen? Dass wir in einer Kneipe waren, um uns ein Fußballspiel anzuschauen?" Irritiert sah ich mich um. Da, plötzlich ein Stück die Straße herunter entdeckte ich Beate! Deshalb kam mir die Stimme bekannt vor! Erschrocken hielt ich mir die Karte vor das Gesicht. Hoffentlich sah sie mich nicht. Oh, da war ja auch ihr Göttergatte. Er sah wirklich gut aus, schien aber nicht sonderlich interessiert an dem, was sie sagte. Gerade drehte er sich zu ihr um und sagte: "Pass auf, Beate. Du wolltest nach Paris, wir sind in Paris. Jetzt lass mir wenigstens meinen Sport und geh' meinetwegen allein in den Louvre. Du kannst mich ja hier abholen. Hier wird das Spiel gezeigt und ich werde es sehen." Dann drehte er sich um und verschwand in einer Bar. Beate stampfte wie ein wütendes Kind mit dem Fuß auf und ging dann an mir vorbei. Endlich atmete ich aus.
Der Kellner kam und stellte das Essen vor mir ab. Er lächelte mich freundlich an. "Eh, voilà, Madame!" Dann verschwand er wieder. Ich war noch ganz benommen. Beate und ihr Ehemann, der, der ihr angeblich jeden Wunsch von den Augen abliest. "Tststs", sagte ich zu mir selbst und aß mit Appetit. Was hatte ich für ein schönes Leben! Mein Freund war weg, gut, er hatte mir alle Schulden hinterlassen, aber ich war frei und konnte ein neues Glück finden. Beate war mit diesem Mann verheiratet, der wohl genau wusste, was er wollte, aber das entsprach nicht dem, was Beate gerne von ihm hätte. Worum hatte ich sie eigentlich beneidet? Nein, ich wollte nicht mehr mit ihr tauschen! Sollte sie sich mit ihm rumschlagen bis zum Nimmerleinstag. Mir war es ab heute egal!
Inzwischen war das kleine Café in dem ich saß recht voll geworden. Ein netter Franzose kam an meinen Tisch und fragte. "Madame?" Ich sah ihn an. Er sah sehr nett aus und schlimmer als Beates Mann konnte er nicht sein. Ich wies lächelnd auf den Stuhl und sagte: "S'il vous plaît." Er bedankte sich artig, setzte sich und fragte freundlich, wie mir Paris gefalle.



Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.



»»» Kurzgeschichten: Humor, Satire, Persiflage, Glosse ... «««
»»» Kurzgeschichten: Überblick, Gesamtverzeichnis «««
»»» Kurzgeschichtenund Gedichte «««
»»» HOME PAGE «««

Blog-Empfehlungen Lustige Gedichte
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Lustige Gedichte «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» Limericks «««
»»» HOME PAGE «««