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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Aus Witz
© Michael Ernst
Kommt ein Mann zum Friedhofswärter und bestellt sich einen Platz. Für nächsten Monat. Ist schon alter Mann, hat Schnauzbart, ausgedünnt, aber schnarrige Stimme. Friedhofsmann blickt in Unterlagen, will anbieten, was frei ist, fragt nach Mannes Vorstellungen, was Preis betrifft. Preis geht von Bestlage und teuer bis Friedhofs Randbezirk, aber auch dort nichts geschenkt. Bestlage ist überteuert, sagt Wärter, trotzdem kaum noch was frei. Billiggrab unscheinbar, wenig gepflegt und nur schlecht zu finden.
Kommt nicht auf Geld an, sagt Mann zum Friedhofswärter. Am besten Heldengrab, aber unauffällig. Soll für mich sein. Komme nächsten Monat.
Der Beamte horcht auf und fragt nach. Ein Verrückter. Macht aber nichts.
Urne oder Sarg? Stein oder Platte? - Nächsten Monat?! Woher wissen Sie...
Zeit abgelaufen, sagt der Mann, jetzt Endsieg. Nein: letzte Schlacht. Aus!
Und vorbei. Weggetreten. Bin total verkannt, aber Zeit wird wiederkommen.
Dann! Endlösung. Auferstehung. Totaler Sieg! Darum Urnengrab, völkisch und schlicht, deutscher Friedhof, aber viel Platz ringsum. Zeit wird wiederkommen. Wenn Endsieg, dann Ausbau der Stätte. Möglichst ohne Umbettung. Also viel Platz ringsum! Zahle später in bar. Hinter mir sind Millionen.
Linke Hand von Totenwächter kratzt Hinterkopf, rechte schlägt Buch auf.
Nimmt Stift und will Formular füllen. Name?
Hitler.
Friedhofsmann schaut auf. Sieht funkelnd schwarze Augen gegenüber, in schlaffem Gesicht des Todeskandidaten. Denkt, die sterben auch nie aus, vergöttern immer noch ihren Adolf, der hier trägt sogar Rest von Bart. Ihr Name!
Hitler! Adolf Hitler.
Friedhofstift wird auf Formular gelegt. Wärteraugen schauen zum Mann.
Schweigen. Nochmal von vorn: Sie wünschen?
Mann sagt: Will Platz für nächsten Monat. Urnengrab. Viel Platz ringsum. Für später. Wenn Endsieg. Mein Name Adolf Hitler. 1889 bis 2000.
Sie sind Adolf Hitler, fragt Wächter von Friedhof in Büroraum hinein. Sie wollen Adolf Hitler sein?! Der ist schon lange tot! Hat sich 1945 das Leben genommen. Davongemacht. Also wer sind Sie? Wo sind Sie geboren? Und wann?
Braunau am Inn. Geboren 1889. Sterbejahr ist 2000. '45 war Farce, Verschwörung. Bin nicht gestorben und nirgends begraben. Oder?! - Hier bin ich. Nächsten Monat, Urnengrab!
Hinterm Schreibtisch Verlegenheit. Nein, Hitler ist nie gefunden worden, damals nur Gerüchte und später Schweigen. Aber das kann doch nicht sein...!
Das ist doch nicht möglich!!! Er denkt laut und setzt Brille auf, sieht Kunden genauer an. Alter Mann, fahl, schütter, aber nicht ohne Energie. Vor allem im Blick. Sitzt kerzengerade und will sein Grab für nächsten Monat.
Das ist doch billiger Trick! Ein Schauspieler vielleicht.
Was soll das: Sie wissen und ich weiss, Adolf Hitler ist tot. Jetzt kommen Sie und machen schlechte Scherze. Aber nicht mit mir! Verstehen Sie: Hier ist nicht der Platz dafür! Hier keine Witze!
Ich willl ein Grrab für näksten Monnatt, mit viell Platz rringsum für Endsick! Dann kommt grrosses Denkmal auf Urne! Hörren Sie!! Ich binn Addollfff Hittlerrr!!!
Gut. - Friedhofsamt braucht Kundschaft, Wärter kann niemanden ablehnen, riskiert sonst Posten hier und Büro. Gast sieht ja auch wirklich so aus wie Hitler aussah, nur älter. Also: Wo haben Sie so lang gesteckt?
Das grauschwarze Bärtchen zuckt: Gehtt Sie garr nichts ann!! Aber gut, Führer braucht Friedhof. Reden wir.
Der Mann beruhigt sich, der Andere hört, beunruhigt.
'45 kam plötzlich Zusammenbruch. Unerwartet. Überall Verräter. Verräter und Feiglinge! Steckten alle unter einer Decke. Die meisten auch mit Eva. Eva Braun, die Erste Verräterin! Haben ihren Preis bezahlt, alle, im Bunker. Nur schade um Hund, Hund war treu. Der war treu! Dann verliess ich Gross-Berlin, ging nach Bayern. Diesmal nicht Landsberg, diesmal Nürnberg. Die Prozesse, verstehen Sie? Ich im Hintergrund, alle Fäden in dieser Hand: Rache!
Ein verdutzter Friedhofswärter wie nie: Sie haben die Nürnberger Prozesse...
- aus Rache?
Rache für jeden, der unter Decke von Eva... Aber nicht alle. Es gab auch Treue. Deutsche Treue! Habe ich belohnt mit Posten von Ministerpräsident Baden-W. und Vorstandschef IG Farb, beste Tat war Blutschutz-Globke, hab ihn ins Bundeskanzlamt gesetzt. Dank für Volksrichtshof ging an Rentenwitwe Freisler. Bis vor kurzem auch viele Freunde in deutschen Botschaften. Wissen Sie das nicht? Hat gut geholfen, in ganzer Welt, von Südamerika bis zum Judenstaat. Jetzt muss neue Generation! Wird werden.
Hatten Sie nie Angst, entdeckt zu werden?
Ich, Angst? Und ob! Grosse Angst, als rote Gefahr von der Elbe bis nach China... Denken Sie an Deutsch-Südwest! Jetzt nur noch Kuba, kein Grund zur Angst, kann ruhig sterben. Will Urne, viel Platz ringsum! Endsieg ist nahe!!
Friedhofswärter schwitzt. Hat immer Schreckschusspistole in Schreibtischschublade. Denkt jetzt daran. Denkt auch an Telefon, Polizei rufen. Polizei rufen? Deutsche Polizei?! Erschiessen eher ihn als Adolf Hitler oder diesen Doppelgänger da. Nein, nicht Polizei rufen. Besser an Chef denken, an Umsatz, und Urnengrab verkaufen. Nix weiter fragen. Der Mann ist verrückt. Red ich weiter mit dem, werd ich verückt. Will nicht, so kurz vor Rente.
Wer lange auf Friedhof arbeitet, nur Tote um sich, redet - gern einsilbig.
Neugierig sein hat er abgewöhnt. Aber hab du mal einen Toten vor dir, der lebt! Und alle denken, der ist tod! Wer lange nur Tote sieht, Lebensjahre und Sterbedaten schreibt, hat ein Gefühl für Recht und Unrecht. Der Friedhofswärter fragt nach Auschwitz. Die Antwort wie Pistole:
Auschwitz nie gehörrt! Stalingrad war verschwörrt! Meine Freunde fahren heute noch Auto mit Sterrn drauf. Wird Leichenwagen auch für mich. Ewige Treue!
Das war wirklich Adolf Hitler, der da vor ihm sass! Leibhaftiger Teufel!!
Der hat überlebt, ist durchgekommen, traut sich wieder!!! Keine Furcht mehr vorm Tod, weil, jetzt längst Sterbehilfe von Söhnen und Enkeln. Totengräber denkt trotzdem, er träumt.
Träumt aber nicht, spricht mit Hitler über Führergrab. Schliesst Bürotür ab, stellt Schild ins Fenster: Heute nicht wirklich geöffnet. Unwirklich zu.
Wegen Kundschaft verschlossen.
Und die öffnet sich nun: Spricht vom offenen Versteck - in Hinterzimmern und Vereinsstuben, in Parteien und Aufsichtsräten, als Gesetzgeber und Gartenzwerg. Fünfundfünfzig Jahre Scheintod, ein schweigsames Selbsturteil, weil um ihn nur heimliche Treue. Von Geschichtsschreibern vor allem. Jetzt wird Lauterkeit lauter, auf deutschem Boden und nicht nur - nun will er den Totenschein. Und deutsches Grab. In deutscher Erde!
Ruhe sanft, denkt Schaufeltod. So nennen ihn, die er Ewichgestrich nennt. Ob das alles Gefolgsleute dieses Kandidaten? Dann ist Wahnsinn unsterblich und bleibt Angst verräterisch sinnlos.
Friedhofswärter nimmt Schaufel aus Ecke, schließt Bürotür nie wieder auf - zwei Tage später brennt Friedhof. Alles wird nicht wieder gut.
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors / der Autorin.