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Kurzgeschichtenwettbewerb "Schlüsselerlebnis"
Was ist schon Liebe?
© Axel Aschenberg
Harald und Simone lieben sich. Zumindest glauben sie das.
Simone zieht jetzt sogar bei Harald ein. Harald ist ein bisschen aufgeregt, doch er weiß nicht warum und Simone nimmt ihn fest in ihre Arme und sagt zu ihm: "Wir schaffen das!" Für den Abend hat sich ein Freund angekündigt
der das neue maßgeschneiderte Bett vorbeibringen will. Simone freut sich riesig darauf. Harald jedoch ist nachdenklich.
Dann klingelt der Freund. Alle müssen zusammen anpacken um das ganze Holz nach oben zu schaffen. Als Simone merkt, dass Harald immer noch grüblerisch gestimmt ist, sagt sie zu ihm: "Gehe doch ruhig in den Semestereröffnungsgottesdienst. Das wird dir gut tun. Der Freund nickt und meint, wir schaffen das schon mit dem Aufbau vom Bett.
Er verlässt das Haus und radelt zur Kirche. Er hofft in dieser Black box Ruhe zu finden. Die Zwiesprache mit Gott soll seinen Kopf ordnen. Er drückt die Klinke. Da er etwas spät dran ist, richten sich alle Blicke auf ihn. Der jugendliche Pfarrer und die Studenten schauen. Da die Studentengemeinde recht überschaubar ist, hat sich ein kleiner Halbkreis rund um den Altar gebildet. Harald geht mit flinken Schritten auf den Altar zu, sagt leise: "Entschuldigung" und nimmt auf einem Holzstuhl Platz.
Kaum sitzt er, formen sich die Lippen der Anwesenden zu einem Lied. Licht fällt durch Glasmalereien mit Heiligenbildern. Sein Blick fällt auf eine rothaarige Schönheit mit den auffällig hohen Backenknochen. Die Exotin wirft ihm einen energischen Blick zu. Auf einmal ist der Gottesdienst für Harald nur noch lästiges Kaperletheater. Er sieht einen wild fuchtelnden, gestikulierenden Pfarrer in schwarz-weiß. Zeit quält ihn heute, obwohl er sie sonst in der Kirche immer vergisst.
Ab und zu einen Blick der verführerisch Schönen. Der Pfarrer sagt Amen und es bilden sich an den Tischen mit Häppchen Gesprächstrauben. Obwohl Harald an sich ein schüchterner Mann ist, findet er schnell den Weg zu der selbstbewussten Irina aus Tiflis. Schnell finden sich Fragen und Antworten, schnell begeistert ihn ihr leicht russischer Akzent. Der Pfarrer der seine Freundin kennt, wirft ihm einen gestrengen Blick zu.
Doch Harald hat sich schon an ihr wie an jungem Wein berauscht. Die restlichen Mitglieder der Studentengemeinde sind an diesem Abend nur noch Statisten für die beiden Turteltäubchen. Ein junger Student der sich verspätet zum Umtrunk in der Kirche gesellt, fragt Harald, ob er ihm nicht seine neue Freundin vorstellen wolle. Harald schaut etwas irritiert, doch Irina lacht selbstbewusst und schaut ihn wissend an. Das baut Harald auf.
Als der Nachhauseweg ansteht, übernimmt Harald gerne den Heimbringservice. Irina sagt zu ihm, als er einen hastigen Schritt mit Fahrrad im Schlepptau vorlegt: "Langsam wir haben Zeit. Wir wollen den Spaziergang genießen." Dann beginnt sie russische Lieder zu singen. Harald fühlt sich, als habe er überraschend eine Hauptrolle in einer Oper bekommen.
Doch als Irina sich bei ihm einhakt, zögert er. Ihm fällt seine Freundin ein. Er hat ein schlechtes Gewissen. Irina hingegen wertet seine Zögerlichkeit als Schüchternheit. Sie lacht und geht langsam auf ihn zu und gibt ihm einen Kuss auf den Mund.
Er fühlt sich nun im siebten Himmel. Doch er kann seine Freundin nicht vergessen. So werden an diesem Abend auch keine Intimitäten weiter ausgetauscht, sondern er verabschiedet sich höchst anständig bei Irina vor ihrem Studentenwohnheim. Der Pfarrer, der in der Nähe wohnt, und die Szene zufällig sieht, freut sich über das tadellose Verhalten des jungen Mannes.
Geschwind radelt Harald nach Hause. Auf dem Fahrrad sitzend kommt es ihm vor, als würde ihn sein Schatten vom Laternenlicht andauernd überholen. Als er seine Wohnung betritt, fühlt er sich wie ein Fremder. Seine Freundin begrüßt ihn freudig als er das Schlafzimmer betritt: "Schön dich zu sehen! Geht es dir jetzt besser?" Er bekommt kein Wort heraus. Er ist kein Routinelügner. "Mach' dir doch nichts daraus; jeder ist mal nicht so gut drauf. Doch deine Augen strahlen schon wieder, da scheint dein
Kirchenbesuch das richtige gewesen zu sein." Verhalten sagt er: "Ja". Er will kein Schwein sein, doch er weiß, dass heute mehr als ein Kuss passiert ist.
"Übrigens werde ich am Wochenende meine Freundin Anna auf der Musikhochschule in Freiburg besuchen." "Das ist klasse, dass du die mal wieder siehst," erwidert er und ist erschrickt wie leicht man betrügen kann. Das ist tatsächlich nicht eine vom Film ausgebeutete Möglichkeit der menschlichen Existenz, sondern jeder Mensch ist nur eine kleine unschuldige Litfasssäule auf der er bestimmt, was seiner Umwelt angezeigt wird.
Mit einem mulmigen Gefühl verabschiedet sich Harald am Freitagnachmittag von seiner Freundin. Er bringt sie zum Bahnhof. Eigentlich ist alles wie sonst. Und eigentlich weiß Harald, dass es das Wort eigentlich gar nicht gibt. Seine Freundin winkt vom Zug aus mit dem Taschentuch und er rennt sogar dem Zug ein Stück weit hinterher, was Simone freut.
Harald sitzt vor dem Treffen mit Irina wie auf Kohlen. Wie wird es sein, das erste Mal mit ihr? Sie zu sehen. Wie hat ihn die Beziehung mit Simone angeödet. Ein Dasein wie unter Rentnern mit Sonntagnachmittagsloch, wo sie beide regelmäßig nicht wussten, was sie mit sich, geschweige denn miteinander anfangen sollten. Trotzdem mag Harald Simone sehr und er hat sie auch gerne in der harten Zeit ihrer Prüfungsvorbereitungen für ihr Mathediplom betreut, aber irgendetwas hat gefehlt….
Er will Simone schon aus Loyalität nicht betrügen. Doch Irina zieht ihn immer mehr an. Wenn er aber mit Simone Schluss macht, bevor er mit Irina ins Bett geht, riskiert er, dass Simone Kopf und Verstand verliert evtl. sogar ihre Abschlussprüfung in den Teich setzt. Was soll er nur tun?
Eingereicht am 28. Februar 2005.
Herzlichen Dank an den Autor / die Autorin.
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